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Behaltet eure Kredite

Die deutsche Konjunktur brummt, die Zinsen sind niedrig, die Angst vor ­einem Kollaps der Eurozone ist fast weg. Trotzdem bleiben Banken auf dem billigen Geld sitzen. „In Deutschland ist die Situation so, dass wir Banken gerne mehr Kredite vergeben würden, als die Nachfrage der Unternehmen hergibt“, sagt Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands BdB.

Dabei kommen Unternehmen in Deutschland derzeit so leicht und günstig an Kredite wie selten zuvor. „Die Kredithürde für die gewerbliche Wirtschaft in Deutschland ist auf einen historischen Tiefstand gesunken“, sagt Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Förderbank KfW: Seit Beginn der KfW-Unternehmensbefragung 2001 beurteilten noch nie so viele Firmen aller Größen das Finanzierungsklima so positiv wie aktuell.

Trotzdem stehen die Unternehmen keineswegs Schlange bei den Banken. Die Commerzbank stellt in einer aktuellen Studie fest: Deutschlands Mittelständler stünden auf der Investitionsbremse. Und diejenigen, die Anlagen oder Fabrikhallen finanzierten, wollten das möglichst ohne Hilfe von Banken und Sparkassen tun – zumindest gaben das 66 % der über 4 000 befragten Unternehmen an.

Die Commerzbank bilanziert ernüchtert: „Fremdfinanzierung ist trotz guter Finanzierungsmög­lichkeiten im Mittelstand äußerst unbeliebt.“ Jörg ­Krämer, Chefvolkswirt der Bank, erklärt das Phänomen mit ­„krisenbedingtem Rest-Misstrauen“: „Gerade die kleineren Unternehmen haben in der Wirtschaftskrise die Erfahrung gemacht, schlechter an Kredite zu kommen, und haben deshalb das Bestreben, unabhängiger von Fremdkapital zu sein.“

Insgesamt beträgt der Kuchen der Firmenfinanzierungen derzeit etwa 25 Mrd. Euro. Immer mehr Wettbewerber wollen ein Stück davon. Marktführer bei Mittelstandskrediten ist die Commerzbank, die in diesem Geschäftsfeld sehr früh gestartet ist. Bereits vor zehn Jahren erkannte seinerzeit Martin Blessing, der heutige Vorstandsvorsitzende der Commerzbank, die Chancen, die in diesem Geschäftsfeld liegen, und richtete eine eigene „Bank“ in der Bank ein. Auf Platz zwei bei den Kreditausreichungen an den Mittelstand liegt die HVB, gefolgt von der Deutschen Bank. Von den ehemals stolzen Landesbanken ist nur die LBBW aufgrund ihres starken Firmenkunden-Netzwerks ein nennenswerter Wettbewerber. Die BayernLB beispielsweise, die zwar vollmundig verstärkte Aktivitäten im Mittelstandsgeschäft angekündigt hat, ist momentan zu sehr mit der Aufarbeitung ihrer Altlasten beschäftigt.

Dagegen wittern ausländische Institute ihre Chancen und umgarnen die Zielgruppe. Die ­HSBC oder die BNP Paribas, die ihre Teams in Deutschland aufstocken, wollen verstärkt mit dem attraktiven deutschen Mittelstand ins Geschäft kommen. Auf der Suche nach höheren Renditen klopfen auch Versicherungen und ausländische Pensionsfonds des Öfteren bei den deutschen Großbanken an. Sie würden sich gerne an mittel- bis langfristigen Finanzierungen von Mittelständlern mit guter Bonität zu auskömmlichen Margen beteiligen. Doch solche Angebote sind im deutschen Markt rar. Bei schlechteren Ratings sind zwar die Margen gut, aber sie erfüllen nicht die Sicherheitsstandards der Assekuranz. Oder die Bonitäten sind gut, dann passen den Investoren aber die Renditen nicht. Außerdem sind die Banken nicht auf weitere Liquidität angewiesen. Denn daran besteht bei den Instituten selbst kein Mangel –
zum Teil auch, weil die bereit­gestellten Kreditlinien nicht abgerufen werden.

Viel Geld in der Firmenkasse

Auch Frank Jehle, Finanzvorstand des Autozulieferers Mann+Hummel und Mitglied im Finanzausschuss des Branchenverbands VDA, sieht schlechte Erfahrungen als einen Grund für die zurückhaltende Kreditnachfrage: „Es könnte sein, dass bei Marktschwankungen auf einmal der Geldfluss von Banken nicht mehr funktioniert.“ Zudem haben viele deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahren ihr Eigenkapital gestärkt. „Ein erheblicher Teil benötigt derzeit überhaupt keine externen Mittel“, sagt DIHK-Chefvolkswirt Alexander Schumann. Das gilt auch für die meist mittelständischen Maschinenbauer, wie Experte Josef Trischler vom Branchenverband VDMA erklärt: „Investitionen werden meist durch Innenfinanzierung gestemmt.“ Auch aufgrund der Unsicherheiten über die weitere Entwicklung im Euroraum vermieden die meisten Betriebe Finanzierungskosten.

Der KfW-Umfrage zufolge haben 43 % der Firmen, die investiert haben oder das planen, Bankkredite beantragt. Viele Betriebe setzen jedoch eher auf die eigene Kasse oder Leasingfinanzierungen. Andere Instrumente seien nur für bestimmte Gruppen von Unternehmen sinnvoll, sagt DIHK-Experte Schumann: „Unternehmensanleihen lohnen sich etwa vor allem für Großunternehmen und größere Mittelständler. Auch für Schuldscheindarlehen braucht es eine gewisse Mindestgröße.“

Für Kleinunternehmen könnten hingegen etwa Bürgschaften, Crowdfunding oder der Einstieg mittelständischer Beteiligungsgesellschaften interessant sein. Letzteres sei aber oft nur die letzte Wahl für Familienunternehmen, sagt Peter Bartels, Leiter des Bereichs Mittelstand bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC: „Denn damit ist häufig die Abgabe der Mehrheit am Familienunternehmen verbunden.“

Ohnehin haben es kleine und junge Firmen deutlich schwerer, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Dabei bräuchten gerade die kreativen und innovativen Start-ups Kredite, um ihre Ideen entfalten zu können, sagt KfW-Chef Ulrich Schröder: „Und diese Unternehmen sind wichtig, denn sie bringen unsere Wirtschaft ­voran.“

Start-ups ohne Starthilfe

Die Unternehmensberatung Ernst & Young sieht in der schwierigen Finanzierung gar ein Haupthindernis bei Gründungen in Deutschland: „Der klassische Bankkredit kommt zumeist nicht infrage, da keine Sicherheiten vorhanden sind – stattdessen finanzieren sich die meisten Start-ups zunächst einmal aus Eigenmitteln.“ EY-Partner Peter Lennartz erklärt: „Viele Start-ups kommen – trotz guter Geschäftsidee – nicht über die Anfangsphase hinaus, weil ihnen das Geld ausgeht.“

Ob sich die Situation durch die „Dicke Berta“-Kreditkanonen der EZB bessert, die in diesem Jahr noch im Umfang von 400 Mrd. Euro fließen sollen, wird bezweifelt. Das Geld soll insbesondere an Unternehmen gehen, die keine Kredite bekommen. ­„Alles in allem nehmen die Risiken zu, dass sich die EZB überhebt“, meint der IfW in einem Kommentar dazu. 

dpa/Handelsblatt/hp

02.09.2014 | 09:58

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