Karrierealle Jobs


Volkswagen: Herz-OP erfolgreich?

Das tut gut: Volkswagen hat in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nicht nur die Erwartungen vieler Branchenbeobachter, sondern auch die eigene Leistung im Vorjahr übertroffen. Während sich der folgenschwere Abgasskandal bald zum ersten Mal jährt, ist die VW-Aktie der große Star im DAX. Und das, obwohl der Konzern seine Rückstellungen offenbar erweitern muss.

Mit Schwarzmalerei konnte man bei der Analyse von Volkswagen zuletzt nicht viel falsch machen. Nach dem Abgasskandal, losgetreten in den USA, brachen Klage- und Entrüstungswellen über den Wolfsburger Konzern herein. Der Kurs der VW-Vorzugsaktie fiel in wenigen Tagen um rund 43 Prozent. Immer wieder rutschte das Papier unter die 100-Euro-Marke. Jetzt die Überraschung: Nach der Bekanntgabe vorläufiger Zahlen für das erste Halbjahr 2016 schnellt der Aktienkurs um über fünf Prozent in die Höhe und führt mit knapp 123 Euro das Stück den insgesamt wachsenden deutschen Leitindex an. Damit ist der Volkswagen-Konzern an der Börse wieder über 64 Milliarden Euro wert. 

Grund dafür ist vor allem das operative Ergebnis für die ersten sechs Monate des Jahres. In einer Mitteilung vom Mittwoch heißt es, die Kennzahl sei „deutlich besser als die Markterwartungen“ ausgefallen. Vor Sondereinflüssen betrug das operative Ergebnis demnach „trotz der wirtschaftlichen Auswirkungen der andauernden Abgasthematik“ rund 7,5 Milliarden Euro. Das sind im direkten Vergleich sogar sieben Prozent mehr als Vorjahreszeitraum – ohne Sondereffekte.

Sorgen bereiten indes Rechtsstreitigkeiten in den USA und solche, die eventuell noch aufkommen. Wie mehrere Medien übereinstimmend berichten, erhöht Volkswagen die Rückstellungen für anstehende Strafzahlungen - derzeit 16,2 Milliarden Euro – um eine bislang unbekannte Summe. Sondereffekte führen laut Konzern dazu, dass das operative Ergebnis unterm Strich lediglich 5,3 Milliarden Euro beträgt. Darin sollen allerdings auch andere, vom Unternehmenssprecher nicht genauer bezifferte Kosten enthalten sein. 

Russland-Sorgen und das unkalkulierbare Dieselrisiko

Teuer wird für Volkswagen vor allem der mit US-Behörden und Privatklägern ausgehandelte Vergleich mit einem ungefähren Volumen von 13,8 Milliarden Euro. Doch wenn sich das Kerngeschäft weiterhin so entwickelt wie zuletzt, besteht zumindest eine Hoffnung auf baldige Erholung. Denn Erfolgsgarant war ausgerechnet die Marke VW, die im Mittelpunkt des Abgasskandals steht. Vor allem im zweiten Quartal 2016 hat Volkswagen jedoch von einer erhöhten Automobilnachfrage in einigen europäischen Ländern sowie bei Großkunden profitiert. 

Trotz der unverhofft guten Nachrichten verändert Volkswagen einen Ausblick für das Gesamtjahr nicht. Die Konzernleitung rechnet weiterhin mit einer operativen Rendite zwischen fünf und sechs Prozent nach 6,0 Prozent im letzten Jahr. Allerdings sei auch zu erwarten, „dass in Abhängigkeit von den konjunkturellen Rahmenbedingungen, insbesondere in Südamerika und Russland, der Wechselkursentwicklung und angesichts der Abgasthematik die Umsatzerlöse des Konzerns im Jahr 2016 um bis zu 5 Prozent unter dem Vorjahreswert liegen können.“

Schmerzlindernd sollen Effizienzprogramme bei allen Volkswagen-Marken wirken. Auch die modulare Baukastenstrategie soll dazu beitragen. Mehr wird man wohl erst am 28. Juli wissen, wenn Volkswagen seinen vollständigen Halbjahresfinanzbericht vorstellt. Die Tendenz des Aktienkurses könnte ein Anzeichen für eine bevorstehende, nachhaltige Besserung sein. Darauf hoffen auch zahlreiche Analysten. Jose Asumendi von der US-Bank JPMorgan stuft die Volkswagen Vorzugsaktie unbeirrt mit „overweight“ ein und beließ sie in einer Studie vom Montag bei einem Kursziel von 185 Euro. In dieser Einschätzung war die Nachricht vom jüngsten Erfolg der Kernmarke noch gar nicht eingepreist. 

Analysten einig: Da ist mehr drin

Zeit zum Einstieg also? Bei Exane BNP Paribas ist man davon fest überzeugt. Analyst Stuart Pearson rechnet in einer Studie vom Mittwoch mit einem Kursziel von 131 Euro und bleibt daher bei der Bewertung „outperform“. Er erwartet eine insgesamt positive Quartalsberichtssaison der europäischen Automobilindustrie, ist jedoch aufgrund schlechter Anlegestimmung im Bereich Autoaktien vorsichtiger als sein US-Kollege. Ein höheres Kursziel traut man Volkswagen im Analysenaus Warburg Research zu, nämlich 155 Euro. Marc-Rene Tonn lobt die aktuellen Zahlen der Wolfsburger, erinnert jedoch auch an die schwer einschätzbaren Risiken des Abgasskandals. Zudem stehe die Margenverbesserung bei der Kernmarke VW weiter im Fokus. Tonn bleibt daher bei der Einstufung „hold“. 

Wer derzeit Vorzugsaktien von Volkswagen hält, ist wohl gut damit beraten, sie auch zu behalten. Ob sich ein kurzfristiger Einstieg lohnt, ist eher zweifelhaft. Schließlich ist ein Strohfeuer wie der Kursanstieg nach den Positiv-Nachrichten vom Mittwoch schnell abgebrannt. Mutige können kur vor Bekanntgabe des Halbjahresberichts zuschlagen und auf eine weitere Pole Position im DAX hoffen. Doch wer weiß bei diesem Konzern schon, wie das nächste Halbjahr läuft? Schließlich vermeldete Volkswagen auch im letzten Jahr zunächst Rekordzahlen für die ersten sechs Monate – dann brach das Diesel-Unheil über Wolfsburg herein. 

Marius Mestermann

22.07.2016 | 00:33

Artikel teilen: