Warum es in Deutschland nicht läuft, entlarvt ein Satz: „Für die Zukunft bin ich gar nicht so“
Die Wirtschaft in Deutschland geht den Bach runter. So jedenfalls stellen es Verbände und Ökonomen dar und zeigen mit dem Finger auf die Ampelregierung. Doch die Schuldigen sitzen nicht nur auf der Regierungsbank, sondern überall dort, wo Einzelinteressen Kompromisse verhindern. Zum Beispiel in einem Gewerbegebiet bei Stuttgart, das es trotz jahrelanger Planung noch immer nicht gibt.
Von Oliver Stock
Zu bürokratisch, zu langsam, zu wenig digital: Deutschland steckt in der Rezession. Die Konjunkturaussichten verschlechtern sich, die Stimmung in der Wirtschaft ist mies - und die Kritik an der Regierung groß. Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft schlagen Alarm: „Wenn wir eine der führenden Industrienationen bleiben wollen, müssen wir an vielen Stellschrauben drehen“, sagt etwa Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. So weit, so schlecht.
Doch ist es immer die Regierung? Sind es immer die gleichen Ampelpolitiker von Olaf Scholz über Robert Habeck bis zu Christian Lindner, die für den Zustand von Land und Wirtschaft verantwortlich sind? Sitzen sie an den Stellschrauben?
Schwaben gelten in Deutschland als besonders fleißig und tatsächlich: Wer nach Baden- Württemberg blickt, erkennt, dass das „Ländle“ überproportional viel zur deutschen Wirtschaftsleistung beiträgt. Hier sitzt der deutsche Mittelstand vom Weltmarktführer für optische Geräte Zeiss bis zum Maschinenbauer Voith, hier befindet sich die Herzkammer der Automobilindustrie von Mercedes bis Porsche. Der Sportwagenhersteller ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Name. Denn Porsche ist auf der Suche nach neuen Flächen, weil es bei den Schwaben rund läuft. Was sie produzieren, ist purer Luxus für die, die es sich leisten können, und davon gibt es – Krise hin oder her – stets genügend. Die Planer in der Unternehmensführung haben deswegen ein Auge auf eine Region um die Ecke von Stuttgart geworfen, genauer gesagt: auf Korntal-Münchingen. Dort soll ein 25 Hektar großes Gewerbegebiet entstehen, gut angebunden zwischen Bundesstraße und Autobahn und direkt im Anschluss an ein schon bestehendes Gewerbegebiet. Die ersten Pläne dazu stammen aus dem Jahr 2020, im vergangenen Jahr signalisierte Porsche sein Interesse. Passiert ist seither aber: nichts.
Das liegt nicht am Trio Scholz, Habeck, Lindner sondern zum Beispiel an der Initiative „Kostbarer Strohgäuboden“, einem Zusammenschluss von Naturschutzverbänden und Bauern. Die Macher hinter dieser Initiative sehen in den 25 Hektar nicht nur ein Stück Kartoffelacker und braunes Land, das zwischen zwei Schnellstraßen eingeklemmt ist, sondern sie eröffnen eine gänzlich neue Sicht auf die Dinge: Seit mehr als 1000 Jahren gebe es Ackerbau an dieser Stelle, was aus ihrer Perspektive ein Argument ist, dass es auch mehr als 1000 Jahre noch so bleiben soll. Denn die Böden in Münchingen gehören zu den frucht-barsten Böden in ganz Deutschland. Außerdem habe sich die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg zum Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch bis zum Jahr 2035 auf null zu senken. Da passe kein neues Gewerbegebiet ins Bild. Das geplante Gewerbegebiet wäre „eine Barriere für den Luftaustausch - die Frischluftschneise für Münchingen würde abgeschnitten“. Neue Arbeitsplätze würden den „Zuzugsdruck“ erhöhen. 1000 bis 2000 neue Bürgerinnen und Bürger würden zusätzliche Kindertagesstätten, Schulen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen erforderlich machen. Und dann gibt es noch das Rebhuhn. Es lässt sich in Baden-Württemberg immer weniger blicken - was weniger mit wachsenden Gewerbegebieten, sondern vor allem mit der intensiven Landwirtschaft zusammenhängt, wovon bei der Initiative allerdings nichts zu lesen ist.
Die Initiative, die das überschaubar große Stück Ackerboden schnell zur „Kornkammer Baden Württembergs“ erklärt und Schilder mit „Lerche will leben“ und Landerhalt statt Asphalt“ gemalt hat, erreichte gemeinsam mit anderen Gegnern des Gewerbeparks, dass die Planungen zurechtgestutzt wurden. Die zur Verfügung stehende Fläche schmolz um mehr als ein Drittel von 25 auf 15 Hektar. Die lokale Politik, die das Vorhaben zunächst mit Blick auf steigende Gewerbesteuereinnahmen begrüßt hatte, knickte ein. Markus Rösler von den Grüne betont zwar, sich vor einer Positionierung erst beide Seiten anhören zu wollen. Gegenüber den Gegnern des Gewerbegebiets sagte er jedoch: „Es müssen schon sehr gute Argumente sein, um das Gebiet zu befürworten.“ In einem Fall wie hier, in dem das Gewerbegebiet nicht einmal an die Schiene angeschlossen sei und ohnehin immer mehr Flächen in der Umgebung versiegelt werden sollen, „da müssen die Argumente noch viel besser sein“. Und dann kam ein Satz, der den Planern vorkommen musste, wie das „Zurück auf Los“ beim Monopoly: „Es wird Zeit, dass, wenn so ein Projekt von der Gemeinde geplant wird, sie nicht nur das ,Wie‘ klärt, sondern erst mal das ,Ob‘ und das ,Warum‘.“
Ziemlich fassungslos beobachtet der parteilose, erst jüngst abgetretene Bürgermeister von Korntal-Münchingen die Diskussion. Für Joachim Wolf gibt es „kaum Alternativen“, mit Blick darauf, dass die Kommune unbedingt mehr Gewerbesteuereinnahmen brauche und Gewerbeflächen in der ganzen Region Stuttgart dringend benötigt werden. Sporthalle, Musikschule – all so etwas müsste finanziert werden. Dennoch musste Wolf im vergangenen Jahr verkünden: Alle Aktivitäten rund um das Gewerbegebiet würden erst einmal gestoppt. Der Zuschnitt der verfügbaren Flächen passe nicht mehr. Um anschließende den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, schwebt den Machern nun ein verkleinertes, maximal nachhaltiges, ökologisches Gewerbegebiet vor, schnell ist die Rede von einem „Leuchtturmprojekt“ - was immer das ist. Porsche kam Wolf zur Hilfe und teilte mit, aktuell prüfe man, wie eine Beteiligung aussehen könnte. „Die werksnahe Lage zu Zuffenhausen und die gute Anbindung zu den weiteren Porsche-Standorten in der Region bieten unterschiedliche Nutzungsoptionen, die die Verkehrssituation entlasten könnten.“ Im geplanten Vorhaben sehe Porsche ein ebenso innovatives wie nachhaltiges Zukunftsprojekt, das Leben und Arbeiten verbinde und die Belange des produzierenden Gewerbes mit Bedürfnissen von Gesellschaft und Umwelt in Einklang bringe.
Genützt hat auch das nichts. Das Projekt ist derzeit so verfahren, dass sogar Heute-Journal-Moderator Christian Sievers kürzlich vorbeischaute. Er besuchte den prominenten Architekt Wolfgang Frey, der die Entwürfe für das jetzt „Ökopark“ getaufte Gewerbegebiet entwickelt hat. Sievers trifft ihn an, nachdem der Architekt gerade in China ein Mega-Projekt fertiggestellt hat - in nur zwei Jahren. Im selben Zeitraum wurde in Schwaben nur diskutiert. Es gebe in Deutschland keinen, der die unterschiedlichen Interessenslagen einem Kompromiss zuführt, hat Frey als Hauptproblem erkannt. Sehr oft habe er den paradoxen Fall: „Am Schluss sind alle Partikularinteressen erfüllt, das Projekt ist gestorben.“
Sievers fragt dann nach bei einer betroffenen Anwohnerin, die den Acker hinter ihrem Garten nicht bebaut sehen will. Es könne doch nicht sein, gibt der Reporter die Gegenseite wieder, dass jeder Zukunft gut finde, „aber bitte nicht bei uns“. Die Antwort lässt den erfahrenen Interviewer sprachlos zurück: „Für Zukunft bin ich gar nicht so“, bescheidet ihm die Frau. „Es läuft doch gut.“
Dass dieser Eindruck trügt, stellen derzeit Manager, Unternehmer und ihre Verbände fest. Bei den Menschen vor Ort ist das allerdings noch nicht in jedem Fall angekommen.
01.08.2023 | 17:24