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Gefangen in Regeln: Warum Zuwanderer keine Arbeit in Deutschland finden, obwohl sie dringend gebraucht werden

Eine neue Studie zeigt: Es gibt nur ganz wenige Industrieländer, wo die Regeldichte so hoch ist wie hierzulande. Für alles gibt es eine Vorschrift. Damit stellt sich Deutschland jedoch selbst ein Bein. Der Arbeitsmarkt ist das beste Beispiel. Zuwanderer stehen noch immer vor hohen Hürden, wenn sie hier arbeiten wollen, Betriebe aber stöhnen über Arbeitskräftemangel. Die Politik hat das Problem bisher nicht gelöst.

„Abgerutscht sei Deutschland“, lautet der Befund einer Stiftung, zu der sich namhafte Familienunternehmen zusammengetan haben. Der Befund bezieht sich auf das, was in Deutschland alles staatlich geregelt wird. Und wenn die sogenannte „Regulierungsdichte“ hoch ist, dann ist das aus Sicht der Unternehmen schlecht. Da Deutschland bei 21 möglichen Plätzen von Rang 14 auf den drittletzten Platz 19 abgerutscht ist, spricht Stiftungsvorstand Rainer Kirchdörfer von Ergebnissen, „die aufrütteln müssen“.

In der zugrundeliegenden Studie werden mehrere Bereiche untersucht, einer davon ist der Arbeitsmarkt, wo derzeit in Deutschland das Phänomen vorherrscht, dass trotz zunehmend schlechter Wirtschaftslage Arbeits- und insbesondere Fachkräfte Mangelware sind. Die Situation spitzt sich zu, weil immer mehr Menschen in Rente gehen, aber immer weniger eine Arbeit aufnehmen, wohinter das demographische Problem einer alternden Bevölkerung steckt. Die Stiftung führt die inzwischen für Unternehmen bedrohliche Situation auch auf eine hohe Regulierungsdichte zurück, mit der beispielsweise Menschen konfrontiert werden, die nach Deutschland einwandern und hier arbeiten wollen. Zuwanderung würde helfen, aber die wenigsten Zuwanderer können helfen, weil sie sich in Regeln verheddern, bevor sie überhaupt einen Handschlag getan haben, lautet die Kritik, die Wirtschaftsverbände und Personalchefs von Unternehmen einhellig erheben.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und seine Partei- und Kabinettskollegin Innenministerin Nancy Fraser sehen, dass die Wirtschaft hier einen Punkt hat, und wollen – nicht zum ersten Mal - eine einfacherer Zuwanderung von Fachkräften aus Staaten außerhalb der EU ermöglichen. Vor zwei Jahren bereits hatte Heil das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg gebracht – der Erfolg ließ jedoch zu wünschen übrig. Die Fachkräftesicherung sei entscheidend für die Wohlstandssicherung in Deutschland, hat der seit viereinhalb Jahren amtierende Minister inzwischen erkannt. „Wenn es nicht gelingt, das jetzt zu wuppen, wird es zur Wachstumsbremse.“ Ein Bestandteil des neuen Konzepts von Fraser und Heil ist ein Punktesystem, Heil spricht von einer „Chancenkarte“. Auf der Grundlage eines jährlich festzulegenden Kontingents sollen dann Arbeitsuchende aus Drittstaaten nach Deutschland kommen können, wenn sie drei von vier Kriterien erfüllen. Das seien Ausbildung, Sprachkenntnisse, Alter und Berufserfahrung, sagte Heil – was unterm Strich allerdings auch eher wieder nach mehr, als nach weniger Regulierung klingt.

Das schwelende Thema beschäftigt auch die staatlich finanzierte Bundeszentrale für politische Bildung, die an sich nicht für regierungskritische Stellungnahmen bekannt ist. In einem Positionspapier schreibt sie: Die Herausforderungen bei der Arbeitsmarktintegration seien nicht behoben. „Das kann die Attraktivität des deutschen Arbeitsmarktes für gut ausgebildete internationale Arbeitskräfte mindern und hinsichtlich der bereits vorhandenen und prognostizierten Fachkräfteengpässe sowohl wirtschaftlich aber auch gesamtgesellschaftlich problematisch werden.“ Es zeigten sich insbesondere in Handwerks- und Bauberufen sowie in der Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege Engpässe bei der Besetzung von Fachkräftestellen, die eine Berufsausbildung voraussetzen. Aber auch der Bedarf an Hochqualifizierten, vor allem in den Berufsbereichen Humanmedizin und Informatik, könne derzeit nicht vollständig gedeckt werden. Berechnungen bis zum Jahr 2040 verdeutlichten, dass sich die Engpässe weiter verschärften.

Das Problem ist dabei stets vor allem die Regulierung. Denn Deutschland beharrt darauf, dass Zugewanderte über einen Berufsabschluss verfügen, der im Rahmen eines Anerkennungsverfahrens formal als gleichwertig mit deutschen Standards angesehen wird. Und da bereitet das duale Ausbildungssystem, auf das die Deutschen stets besonders stolz sind, in der Praxis Probleme. Der weltweit einzigartige Ansatz, die Ausbildung auf den Betrieb und die Berufsschule aufzuteilen, führt nämlich regelmäßig dazu, dass kompetente Einwanderer hierzulande nicht entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten können – weil der Ansatz eben einzigartig ist. Ist eine Gleichwertigkeit nicht auf Anhieb feststellbar, aber über entsprechende Weiterbildungen zu erreichen, ermöglicht das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auch eine Nachqualifizierung in Deutschland, was aber bedeutet, dass Zuwanderer zunächst die Sprache lernen müssen. Englisch ist in solchen Kursen oft keine Option.

Im Koalitionsvertrag stellten die Parteien in Aussicht, Geflüchteten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Den rechtlichen „Spurwechsel“ vom Asylsuchenden zur begehrten Fachkraft fordert die Wirtschaft schon lange. Das würde vielen Unternehmen die Beschäftigung dieser Menschen ermöglichen und für Rechtssicherheit sorgen. Immer wieder passiert es, dass perfekt integrierte Mitarbeiter über Nacht abgeschoben werden. Ändert sich das, hätten die Geflüchteten gleichzeitig einen sicheren Start in Deutschland. Allerdings ist hier über die Absichtserklärung aus dem Koalitionsvertrag hinaus noch wenig geschehen.

Der Frankfurter Arbeitsrechtler Axel Boysen hat kürzlich in einem Fachbeitrag für die Zeitschrift „Markt und Mittelstand“ die tatsächlichen Gründe für den mangelnden Erfolg von Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt so erklärt: Neben der fehlenden Anerkennung von Abschlüssen, seien ein geringes Lohnniveau und unzureichende Englischkenntnisse in den zuständigen Behörden ein Hindernis. Deutschland zähle deswegen keineswegs zu den weltweit beliebtesten Fachkräfteeinwanderungsländern, das sich vor einreisewilligem qualifiziertem Personal kaum retten kann. „Vielmehr sorgen zahlreiche Hürden und Eigenheiten des hiesigen Arbeitsmarktes dafür, dass sich die betroffenen Personen im Zweifelsfall lieber für die skandinavischen Länder, die Vereinigten Staaten oder den Klassenprimus Kanada entscheiden“, schreibt Boysen.

Er macht folgende Rechnung auf: Viele systemrelevante Berufe wie Krankenpfleger werden im internationalen Vergleich besser bezahlt als in Deutschland. „Die mangelnde Wertschätzung den Arbeitnehmern gegenüber, die teilweise bis zur Erschöpfung arbeiten müssen und dafür keine angemessene Entlohnung erhalten, schreckt potenzielle Interessenten frühzeitig ab.“ Mit Blick auf eine OECD-Studie hat Boysen recht: Luxemburg zahlt Krankenpflegern durchschnittlich 114.064 Euro im Jahr. Auf den Plätzen zwei und drei folgen Belgien (89.445 Euro) und die USA (77.670 Dollar). Hierzulande beläuft sich das Durchschnittsgehalt einer Pflegekraft laut der Studie auf lediglich 42.000 Euro.

Ein weiterer Faktor, den Arbeitsrechtler Boysen ausmacht und der Deutschland auf dem Weg zum attraktiven Fachkräfteeinwanderungsland noch hemmt, hat ebenfalls mit Regulierung zu tun. Er besteht darin, dass in den Behörden keine englischsprachigen Dokumente zur Verfügung stehen. Nur Deutsch wird als Verwaltungssprache anerkannt. Fremdsprachige Einwanderer stoßen bei den obligatorischen Behördengängen auf eine erhebliche Barriere. Boysen schlägt vor, Englisch als zweite Verwaltungssprache anzuerkennen und es Migranten mit geringen Deutschkenntnissen aber hoher fachlicher Kompetenz so einfacher zu machen.

Friedrich Heinemann, Studienautor für die Stiftung Familienunternehmen und Professor am Leibniz Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim stellt fest: „Auf einigen Feldern wie etwa dem Bau von Flüssiggas-Infrastruktur beobachten wir in der Energiekrise eine erstaunliche Schnelligkeit der Genehmigungsverfahren. Noch ist das aber die große Ausnahme.“  Diese Geschwindigkeit beispielsweise auch am Arbeitsmarkt umzusetzen wäre ein Vorgehen, das Betriebe, die händeringend Arbeitskräfte suchen, begrüßen würden.

Oliver Stock

13.10.2022 | 10:16

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