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Was wäre wenn

Angesichts der unsicheren Energie bedrängen Mittelständler unterschiedlicher Branchen den Wirtschaftsminister: Sie wollen Klarheit über die denkbaren Szenarien.

Für Thomas Stammel, Technik-Vorstand des Sanitär-Herstellers Duravit in Hornberg ist klar: „Wir brauchen mehr Planbarkeit.“  Der Mittelständler beschäftigt in Deutschland rund 900 der insgesamt 7000 Mitarbeiter davon mehr als 400 in der Produktion. Natürlich wollen auch die Beschäftigten des seit 1817 bestehenden Unternehmens im Schwarzwald wissen, wie es weiter geht. Das kann ihnen aber niemand sagen: „Wir wissen nicht, ob und wie viel Gas wir künftig in welchem Fall bekommen. Hier brauchen die Unternehmen eine klare Ansage, um für die Zukunft auch kalkulieren zu können“, fordert Stammel, der damit rechnet, dass der Gaspreis 2023 um den Faktor vier steigen wird.

Aus Sicht von Duravit ist die labile Gasversorgung ein „überwiegend deutsches und osteuropäisches Problem.“ Im elsässischen Werk in Bischwiller - gut 100 Kilometer weiter westlich - ist die Energieversorgung gesichert und stabil. Gleichwohl geht Stammel nicht davon aus, dass die Produktion in Deutschland völlig zum Erliegen kommt. Er kalkuliert mit einem Rückgang von bis zu 25 Prozent. Angesichts dieser Ausgangslage will Stammel Kurzarbeit nicht ausschließen, doch das Unternehmen ist fest entschlossen, die Beschäftigten zu halten.  Zu Erdgas aus dem vorhandenen Netz gibt es aus Sicht des Schwarzwälder Unternehmens jedoch keine Alternative. Auch eine Verwendung von Flüssiggas (LPG) ist derzeit keine Option. Die Genehmigungsverfahren sind ebenso aufwändig wie langwierig und der Standort für Gasspeicher muss bestimmte Bedingungen erfüllen, um den Sicherheitsanforderungen zu entsprechen.

Gaspreisdeckel gefordert

Der Handel fordert angesichts der explodierenden Energiekosten dringend eine Entlastung. Die Stromsteuer sollte auf ein Minimum reduziert werden und die EU muss Modelle für einen gemeinsamen, dann günstigeren, Gaseinkauf angehen. Denkbar seiauch ein Gaspreisdeckel wie in Spanien und Portugal, so Stefan Genth Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE). Mit der Energieagentur sei der Verband im Austausch um sicher zu stellen, dass bei Gasknappheit die Unternehmen weiter beliefert würden.

Sorgen bereiten dem Einzelhandel die stark gestiegenen Energiekosten. „Bei einem durchschnittlichen Supermarkt sind sie von 80.000 auf inzwischen 140.000 Euro hochgeschnellt“, rechnet Genth vor. Diese Kosten könne der Handel nicht komplett an die Verbraucher weitergeben. Zudem fordert der Verband die Anpassung der bestehenden KfW-Kredit-Programme für von den hohen Energiepreisen überforderte Unternehmen. Derzeit können laut HDE die meisten Handelsunternehmen aufgrund der bestehenden Zugangshürden nicht daran teilhaben.

Strom wird nach Frankreich verkauft

„Die Berliner Politik hängt den Entwicklungen Monate hinterher. Wir haben im März von der Bundesnetzagentur einen Stresstest gefordert, um sicherzugehen, dass auch im Winter die Versorgungssicherheit Bayerns gewährleistet ist, wenn Russland zu wenig Gas liefert und wir an Silvester die Atomkraft abschalten. Die vorläufigen Ergebnisse kamen jetzt verspätet und sind schon wieder überholt, weil offenbar in Berlin niemand wusste, dass wir in diesem Sommer Strom an Frankreich liefern müssen oder die Menge deutlich unterschätzt wurde. Jetzt wird wieder neu gerechnet und wir haben vier Monate Zeit verloren.,“ kritisiert Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger.

Zweiter Stresstest für die Energieversorgung

Tatsächlich hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im eigenen Haus schon einen zweiten Stresstest in Auftrag gegeben. Dabei sollen Fachleute prüfen und modellieren, wie belastbar die deutsche Stromversorgung unter „weiter verschärften Bedingungen“ ist. Gemeint ist damit, wenn noch weniger Gaslieferungen ankommen und zudem weniger Atomstrom aus Frankreich geliefert wird. Die Energiefachleute zeigen sich allerdings überwiegend recht zuversichtlich, dass das Netz der Belastungsprobe gewachsen sein wird: „Ich persönlich bereite mich nicht auf einen Blackout vor“, so Tobias Federico, Geschäftsführer beim Beratungsunternehmen Energy Brainpool im Gespräch mit der FAZ. Er erwartet trotz der Abschaltung der letzten deutschen Kernkraftwerke zum Jahresende im Winter keine großen Engpässe beim Strom, auch weil Steinkohlekraftwerke aus der Reserve geholt würden.

Notfallplan nicht langfristig angelegt

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) verlangt, die Versorgung mit Erdgas für den Fall eines Mangels neu zu regeln. „Die aktuellen Priorisierungsregeln in einer Gasmangellage wurden für eine kurzfristige Unterbrechung einzelner Leitungen geschaffen“, erklärt BDI-Präsident Siegfried Russwurm. „Für die harte neue Energie-Realität muss die Politik in Berlin und Brüssel eine neue Regelung schaffen. Diese hat alle Teile der Gesellschaft entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit in die Pflicht zu nehmen.“ Russwurm erwartet, dass auf Deutschland „ein langfristig andauernder Gasmangel“ zukommt. Jetzt zähle „jede eingesparte Kilowattstunde Gas und Strom.“ Neben Unternehmen, Kommunen und Ländern müssten Privatverbraucherinnen und -verbraucher Teil der massiven Energiesparkampagne werden.

Andreas Kempf

20.07.2022 | 14:35

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