(Bild: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)



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Wenn AKK geht, bleibt die Truppe nur bedingt einsatzbereit

Die Amtszeit der Verteidigungsministerin neigt sich dem Ende zu. Was hat ihr Einsatz der Truppe gebracht? Während interne Kritiker Schwachpunkte schonungslos aufdecken, geht die Ministerin nach außen noch einmal in die Offensive.

Den Auftrag für 120 000 neue Sturmgewehre zum Preis von 250 Millionen Euro erteilt die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im September 2015. Spätestens 2019 soll die Truppe, in der mancher sein Gewehr zärtlich als „Braut des Soldaten“ bezeichnet, ein Nachfolgemodell erhalten. Doch während sich für von der Leyen mit Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) vor bald zwei Jahren prompt eine Nachfolgerin gefunden hat, ist es um die Nachfolge für das bisherige G36 Standardgewehr noch immer schlecht bestellt. Schuld ist nicht mangelnde Ingenieurskunst, sondern die nach wie vor hoffnungslose Verstrickung der heimischen Rüstungsindustrie in staatlich gelenkte Vergabeverfahren.

Eigentlich war Kramp-Karrenbauer angetreten, um diesen Dschungel zu lichten. Doch nun, während sich ihre Amtszeit als Verteidigungsministerin mit den Bundestagswahlen im September einem absehbaren Ende entgegenneigt, wird klar: Einen Sprung nach vorne hat die Material-Beschaffungsstrategie der Bundeswehr auch unter Kramp-Karrenbauer nicht gemacht. Vielleicht war ihre Amtszeit zu kurz. Vielleicht raubte ihr auch das zwischenzeitliche Amt der CDU-Vorsitzende die nötige Kraft, um die Beschaffungsmaschinerie der Bundeswehr, die sich immer wieder in Stellungskriegen verheddert, nachhaltig ins Rollen zu bringen. Vielleicht gibt es auch zu viele hergebrachten Interessengruppen, die das einfordern, wovon sie glauben, dass es ihnen zusteht.

Dabei ist die mühsame Entwicklung und Anschaffung neuer Gewehre nur ein Symbol, der Auftrag ist für Bundeswehrverhältnisse finanziell überschaubar. Um ein Vielfaches geht es bei dem Bau und der Lieferung von neuen U-Booten, die gemeinsam mit Norwegen im vergangenen Sommer bei Thyssen-Krupp Marine-Systems bestellt werden sollten. Weil sich die Beteiligten offenbar nicht auf die genauen Anforderungen an die Tauchboote einigen können, ist der Auftrag bis heute nicht raus.

Keine Lösung in Sicht ist auch beim Thema Drohnenabwehr. Die Flugabwehrpanzer Gebhard wurden ausgemustert, moderne Nachfolger fehlt. Dabei spielen Drohnen in Kriegen, wie etwa im vergangenen Jahr dem zwischen Armenien und Aserbeidschan um Bergkarabach, eine entscheidende Rolle. Das vorhandene System „Ozelot“ bezeichnet das Verteidigungsministerium selbst als „veraltet und unzureichend“. In eine Modernisierung des Patriot-System wird erst ab 2023 Geld gesteckt. Für den Aufbau eines eigenen Systems, was die Bundesweher mit anderen Armeen in der EU angehen will, fehlen aber bislang vier Milliarden Euro.

Geradezu grotesk ist, was den findigen Bundeswehr-Beschaffern manchmal als Ausweg aus der Dauerkrise einfällt. So braucht die Marine für ihre durstige Flotte neue Tankschiffe, die beiden vorhanden „Treibstofftransportschiffe“ mit den Namen „Rhön“ und „Spessart“ sind umgebaute zivile Öltanker aus den siebziger Jahren. Langsam geht an ihnen jede Menge kaputt, für neue Tankschiffe stehen rund eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung. Weil die vorliegenden Angebote aber fast doppelt so teuer sind, sollen jetzt Billig-Versionen die alten Kästen ersetzen: mit weniger Bewaffnung, mit größerem Tiefgang und geringerem Transportvolumen als geplant. „Grau angemalte Tanker“ nennt sie gegenüber dem „Handelsblatt“ eine derjenigen Personen, die mit am Verhandlungstisch sitzen.

Wer sich im von Kramp-Karrenbauer geführten Ministerium angelegentlich nach einer Bilanz der Ministerin zu Rüstungsthemen erkundigt, erhält eine ausweichende Antwort. Eine Sprecherin verweist auf all das, was öffentlich nachzulesen ist. Mit besonderem Stolz präsentiert das Ministerium da die von Kramp-Karrenbauer Anfang 2020 gestartete „Initiative Einsatzbereitschaft“. Sie habe „bereits spürbare Verbesserungen“ gebracht, heißt es in einem Kommentar des Verteidigungsministeriums zum Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, der regelmäßig die materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr prüft: Die Einsatzbereitschaft aller 69 Hauptwaffensysteme der Bundeswehr habe zugenommen und liege im Durchschnitt bei nunmehr 74 Prozent, zitiert das Verteidigungsministerium freudestrahlend den Bericht. Das ist so weit richtig.

Die Einschränkung, die Zorn macht, lässt des Ministerium jedoch unter den Tisch fallen. Tatsächlich stellt der in der Truppe wegen seiner umfassenden Kenntnisse hochangesehener General fest: Auch wenn der Positivtrend erfreulich sei, „so ist die Zahl aufgrund der fortbestehenden großen Streuung zwischen den einzelnen Waffensystemen nicht zufriedenstellend. So liegt die materielle Einsatzbereitschaft beispielsweise bei den fabrikneuen ungeschützten LKW bei über 90 Prozent, bei Hubschraubern jedoch bei knapp 40 Prozent.“ Zorn beschreibt damit nüchtern, dass neun von zehn solcher Lastwagen, wie sie millionenfach über die Autobahn nageln, auch bei der Bundeswehr problemlos funktionieren. Bei der etwas selteneren Gattung der Hubschrauber fallen allerdings durchschnittlich sechs von zehn Maschinen aus. „Die erhoffte Konsolidierung im Bereich Hubschrauber ist ausgeblieben“, ist das Fazit aus dieser Misere, das der Generalinspekteur zieht. Er erwarte für das laufende Halbjahr den „notwendigen Turnaround“.

Natürlich ist das auch der Ministerin gut bekannt. Der Rüstungsbericht aus ihrem eigenen Haus listet neben dem, was „überwiegend planmäßig“ gelaufen ist, auch Mängel auf: Vom Schützenpanzer Puma kamen weniger Modelle an als bestellt. Eigentlich sollte die Marine zwei weitere neue Schiffe erhalten. Tatsächlich konnte bisher nur eine Fregatte ausgeliefert werden. Auch die Lücke in der Luftüberwachung und die hakelige Auftragsvergabe bei den U-Booten werden thematisiert. „Stabil geblieben“ so heißt es im Bericht, seien die Verzögerungen bei den Projekten, die im Mittel bei etwa neun Monate gegenüber den gültigen Verträgen und Abgabefristen liegen. Mit einem freudigen Ausrufungszeichen haben die Autoren des Rüstungsbericht ihre Aussage: „Der Verteidigungshaushalt wächst weiter!“ versehen. Mit 46,8 Milliarden Euro liege er rund 1,2 Milliarden über dem Jahr 2020. Eine Tabelle dahinter zeigt allerdings, dass der Anteil für „Militärische Beschaffungen“ zwischen den Jahren 2021 bis 2024 um ein Viertel von rund acht auf sechs Milliarden Euro sinkt. Offenbar kostet die Verwaltung der Bundeswehr mehr, während beim Material eher gespart wird. Richtig froh machen, kann die Ministerin das alles nicht.

Kramp-Karrenbauer, die befreit von der Last des CDU-Vorsitzes, sich jetzt darauf konzentriert, an der eigenen Bilanz als Verteidigungsministerin zu feilen, versucht es immerhin in diesen Tagen noch einmal mit einer letzten Offensive. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland warnt sie vor „systemischen Auseinandersetzungen“ zwischen Deutschland und Russland genauso wie zwischen Deutschland und China. Sie verbindet ihre Warnungen mit einer Schlussfolgerung: „Wenn wir sicher und in Wohlstand leben wollen, müssen wir in unsere Sicherheit investieren.“ Konkret heißt das für sie: Die Verteidigungsausgaben müssen steigen. Die aktuelle „mittelfristigen Finanzplanung“ sehe „einen Anteil der Verteidigungsausgaben von 1,2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt" vor. Das sei „nicht tragbar“ und „nicht einmal annähernd ausreichend für die Weiterentwicklung unserer Fähigkeiten, um den Bedrohungen wirksam begegnen zu können“. Anschließend benennt sie die Defizite, die auch der Bericht aus dem eigenen Haus auflistet. Ihre Mängelliste ist allerdings so umfangreich, dass für die Benennung von Fehlern in der eigenen Zuständigkeit, etwa beim Sturmgewehr, das wegen Patzern im Vergabeverfahren nach fünf Jahren neu bestellt werden muss, keine Zeit mehr bleibt.

Hoffnungen setzt sie auf „die nächsten Koalitionsverhandlungen“, denn bislang haben „SPD-interne Debatten“ bestimmte Rüstungsprojekte wie etwa „bewaffnete Drohnen“ zunichte gemacht. Dass jede andere derzeit denkbare Regierungskoalition, etwa zwischen Union und Grünen oder aus SPD, FDP, und Grünen einem höheren Verteidigungsetat noch abgeneigter gegenüberstünde, erwähnt Annegret Kramp-Karrenbauer nicht. Wahrscheinlich ist es dann auch nicht mehr ihr Problem.

Oliver Stock

08.04.2021 | 12:16

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