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Wer soll das bezahlen?

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist auf einem Tiefstand, weil der Staat alle auffängt. Die Bundeswehr hat 100 Milliarden bekommen und derzeit bastelt das Wirtschaftsministerium an einem Ausgleich für die hohen Energiepreise. Das alles führt zu neuen Schulden. Langsam wird die Situation unübersichtlich.
 
Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld? – bezeichnenderweise im Jahre 1949 machte der Karnevalsschlager mit diesem Refrain von sich reden. Nach der Katastrophe, aber schon mit dem Wirtschaftswunder fern am Horizont. Die heutigen Verpflichtungen des Staates, nämlich 2,37 Billionen Euro, Tendenz steigend, konnte sich damals niemand vorstellen, und auch heute können es wohl die wenigsten. Wie kommen solche Summen zustande? Was für Schulden sind das? Und: Wer zahlt sie zurück?
 
Zum letzteren Punkt kann man, sei es beruhigend oder nicht, klar sagen: Niemand. Staatsschulden werden in aller Regel niemals zurückgezahlt. Würden sich Bund, Länder und Kommunen mitsamt all ihrer Schattenhaushalte, Eigenbetriebe und Hilfsfonds etwa für kleine und mittelständische Unternehmen in Existenznot dies vornehmen, so käme nach heutigem Stand eine vollständige Tilgung im Jahre 2216 heraus – so hat es der Bund der Steuerzahler gerade errechnet. Voraussetzung: Es werden keine neuen Kredite aufgenommen, und es wird eine Milliarde Euro im Monat an Zins und Tilgung geleistet. Das Szenario ist natürlich völlig unrealistisch, rückt die Dinge aber in Perspektive. Die oft gehörte Feststellung, dass Schulden auf künftige Generationen verschoben werden, wird da natürlich unmittelbar deutlich.
 
Die Tatsache, dass Staatsschulden bei Fälligkeit stets durch die Aufnahme neuer Kredite, vor allem durch Ausgabe von Staatsanleihen, abgelöst werden, bedeutet allerdings keineswegs, dass für die heutigen Bürger keine nennenswerten Belastungen entstehen. Ganz im Gegenteil: Je nach Konjunkturlage, Zinsniveau und Bonität der staatlichen oder quasi-staatlichen Emittenten von Anleihen steigen die Kosten durchaus an. Die alte Weisheit, „die Schulden von heute sind die Steuern von morgen“ stimmt durchaus, wobei das Morgen immer näher rückt.
 
Rein optisch summierten sich die deutschen Staatsschulden Ende des Jahres 2021 auf knapp 59 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also der jährlichen Wirtschaftsleistung. Damit lag Deutschland gerade noch unter der Schwelle, die neben dem Haushaltsdefizit (maximal drei Prozent) als sogenannte Maastricht-Kriterien Teil der Verträge über die Währungsunion ist. Wobei in die Ermittlung keineswegs unterschiedslos alle Schulden von Staat und staatlichen Unternehmen einfließen. Diese Begrenzungen werden sich in Kürze kaum noch einhalten lassen, ebensowenig die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Als plausiblen Grund kann man die Existenz einer außergewöhnlichen Notlage anführen, die zunächst durch die Corona-Pandemie und dann durch den Krieg in der Ukraine und dessen Folgen ausgelöst wurde. Ein Beispiel für eine wie aus dem Nichts auftauchende Verpflichtung des Staates: Das sogenannte Sondervermögen Bundeswehr von 100 Milliarden Euro zur Stärkung der Armee.
 
Dies führt zum Thema der Neben- oder Schattenhaushalte. Denn natürlich ist das „Sondervermögen“ nicht etwa aus einem zufällig entdeckten Geldspeicher entnommen. Es ist auch kein Vermögen, sondern es sind Schulden. Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) zählte schon im Jahr 2020 24 Schattenhaushalte neben den offiziellen verabschiedeten Haushaltsplänen von Bund, Ländern und Gemeinden. Der Bundesrechnungshof kommt aktuell auf 30 solcher Fonds und seitlichen Rücklagen. Das sind coronabedingte Sondertöpfe (WSF), unaussprechliche finanzielle Eingreiftruppen wie „Kommunalinvestitionsförderungsfonds“, aber auch langlaufende Finanzvehikel auf deutscher ebenso wie europäischer Ebene.  Ebenfalls den staatlichen Verpflichtungen zuzurechnen ist natürlich die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) als Förderbank des Bundes. Sie refinanziert sich durch eigene Anleihen und fördert nach festgelegten Kriterien Wirtschaft und Verbraucher, derzeit vor allem auf dem Gebiet Umweltschutz. Angesichts der bedrohlichen Situation in Hinblick auf die Energieversorgung, Inflation und womöglich Rezession dürfte die KfW in naher Zukunft noch sehr viel stärker gefordert sein. Zahlreiche Unternehmen, vor allem kleinere und mittlere, schrammen momentan nur dank staatlicher Hilfe am Konkurs vorbei.
 
Da der Staat also vor den Herausforderungen einer bislang ungekannten Veränderungssituation steht, müssen auch bisherige Gewissheiten überdacht werden: „Der Begriff Zeitenwende wird zum Codewort unserer Epoche, denn er markiert einen historischen Umbruch,“ so der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Neben den Herausforderungen, die derzeit in aller Munde sind – wie etwa Deglobalisierung, Lieferkettenprobleme, Inflation und Verschuldung auch privater Haushalte und Unternehmen – sind ja die schon länger wirkenden negativen Einflüsse keineswegs verschwunden. Die Demographie, also Alterung der Bevölkerung, ist einer davon. Die unvermeidliche Digitalisierung ein weiterer, wobei hier auf staatlicher Ebene der Mangel jedem Bürger entgegentritt, sprichwörtlich beim Faxverkehr der Gesundheitsämter, zuletzt drastisch in Hinblick auf die neue Grundsteuerveranlagung.
 
Vor einer Zerreißprobe steht zudem womöglich die Währungsunion. Angesichts steigender Zinsen bei gleichzeitig zunehmender Inflation dürfte die Europäische Zentralbank vor weiteren kostspieligen Hilfsaktionen für viele Länder der Eurozone stehen; dies, wie auch die diversen Fonds der EU, sind Verpflichtungen, für die eines Tages wird bezahlt werden müssen. Die Alternative wäre allerdings ein Zusammenbruch der Eurozone, und die Folgen möchte sich niemand ausmalen.
 
Unter den jetzigen Umständen ist die Frage, wer das alles bezahlen soll, vermutlich müßig – denn statt des Bezahlens geht es derzeit eher um weitere Kreditaufnahmen. Durchaus konservativ schätzte das Kiel Institut für Weltwirtschaft noch im Juni den diesjährigen Verschuldungsgrad Deutschlands auf 65 Prozent der Wirtschaftsleistung – das dürfte kaum zu halten sein. Die Inflationsrate wird wahrscheinlich kaum zurückgehen – gerade erst lösten die jüngsten Inflationsdaten aus den USA mit unerwarteten 9,1 Prozent einen neuerlichen Schock an den Finanzmärkten aus. Dies ist auch ein Menetekel für die Eurozone. Galt einst die Weisheit, dass eine Inflation nebst Lohnsteigerungen quasi nebenbei für eine Entwertung der Staatsschulden sorgt, da ja nominal die gleichen Beträge zu zahlen sind, diese jedoch real günstiger werden, so ist auch diese Erkenntnis in der neuen Wirtschaftswelt nicht mehr ohne weiteres gültig. Denn der Prozess der weiteren Schuldenaufnahme gelingt europaweit nur zu höheren Zinsen, die Tragbarkeit der Schuldenlast verbessert sich keineswegs. Schon ein Prozentpunkt höhere Zinsen, so der Bund der Steuerzahler, erhöht die Zinsbelastung des Staates um 14 Milliarden Euro jährlich. Im fast besten Umfeld aller Zeiten musste Deutschland nur vier Milliarden für den Schuldendienst aufwenden – das war 2020 und ist wohl unwiederbringlich vorbei. Die demnächst sicherlich einsetzende Diskussion um höhere Steuern und Abgaben wird das Lied davon singen, und der Refrain lautet: Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld?

Reinhard Schlieker

14.07.2022 | 10:09

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