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Wie China nach Deutschland greift

Stück für Stück hat sich Peking in die deutsche Wirtschaft eingekauft: China hält Beteiligungen an Konzernen wie Daimler und kauft immer mehr Mittelständler auf. Eine Übersicht zeigt: Die Politik muss reagieren, steckt aber in einem Zwiespalt.

Von Thorsten Giersch

Selten hat ein Staat so schnell einen Wandel vollzogen: Ein ländlich geprägtes, zerfasertes Land holte seinen Rückstand rasant auf nach dem Motto „Dreistigkeit siegt“. Erst kopierten die hiesigen Unternehmen hemmungslos und nutzten dann die niedrigen Lohnkosten, um gegenüber den Weltmächten rasch konkurrenzfähig zu sein. Irgendwann waren die Unternehmen des Landes besser als die ehemalige Konkurrenz und kauften dort sogar Betriebe auf. Die Rede ist vom Deutschen Reich im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Aber die Parallelen zum heutigen China sind nicht zu übersehen. Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz in dieser Woche das Reich der Mitte besucht, wissen er und die Wirtschaftsfunktionäre in seinem Gefolge genau, mit wem sie sprechen: Mit einem Land, das den Anspruch hat, Nummer eins in der Wirtschaftswelt zu werden und dabei möglichst unabhängig von ausländischer Technik zu sein. Wie so oft handelt China nach einem langfristigen Plan. 2015 entwickelte die Parteiführung die Strategie „Made in China“: Bis 2025 will das Land technologisch und wirtschaftliche führend sein in der Welt. Alle zehn Schlüsselindustrien müssen bis dahin voll digitalisiert sein.

Diese Ziele werden auch durch Zukäufe und Beteiligungen in Europa verfolgt – und besonders in Deutschland. Ein bekanntes Beispiel ist Mercedes-Benz, wo die BAIC-Group mit knapp zehn Prozent der größte Einzelaktionär ist. Der zweitgrößte ist mit Li Shufu ein weiter Chinese. Der Gründer der Geely-Gruppe hält 9,7 Prozent der Anteile. Überhaupt hat die Staatsführung in Peking einen Narren an der deutschen Autoindustrie gefressen – egal ob für Hersteller oder Zulieferer. Selbst die hierzulande beinahe vergessene Marke Borgward wurde 2014 vom Pekinger Nutzfahrzeughersteller Beiqi Foton Motor gekauft und machte keine halben Sachen: Der zur staatlichen BAIC-Gruppe gehörende Käufer investierte zwischen 2015 und 2018 immerhin 1,2 Milliarden Dollar in Borgward. Doch der Deal ging nicht auf, 2019 verkaufte man den Autobauer für 570 Millionen Dollar weiter – Zukunft ungewiss.

Neben der Autoindustrie interessiert sich China stark für Infrastruktur – wie zuletzt heiß diskutiert in Deutschlands Häfen. Aus dem Duisburger Hafen steigt die Staatsrederei Cosco gerade aus, nachdem sie Milliarden im Ruhrgebiet investiert hat. Dafür bekommt Peking eine Minderheitsbeteiligung beim Hamburger Hafen (Link). Aufgrund der Sensibilität dieser Einrichtungen ist wieder die Debatte entbrannt, wie weit man chinesischen Unternehmen erlaubt, in Deutschland zu investieren.

Ein Blick in die Historie solcher Beteiligungen zeigt, dass die Bundesregierung längst angefangen hat, China Grenzen aufzuzeigen: 2009 hat China in Deutschland lediglich im Rahmen von einigen Millionen Dollar zugekauft. Eine Handvoll Fusionen und Übernehmen waren kaum der Rede wert. Doch in den zehn Jahren danach zündete Peking eine Raketenstufe nach der anderen: 2016 waren es bereits 68 „Mergers and Acquisitions“ im Rahmen von 12,6 Milliarden Dollar, ein Jahr drauf sogar 13,7 Milliarden. Die deutsche Politik reagierte und zog erste Abwehrmaßnahmen hoch. So verbot der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) zum Beispiel den Kauf von Leifeld, weil das Unternehmen wichtig für die Nuklearindustrie sei und man solche Firmen nicht in ausländische Hände gäbe. Ähnliche Käufe von Chinesen waren in den Jahren davor noch durchgewunken worden. 2020 sorgte zusätzlich die Corona-Pandemie für einen starken Rückgang des chinesischen Kaufrauschs auf gerade einmal 380 Millionen Euro.

Doch China schätzt immer noch vieles an Deutschland. Jeder zehnte ausländische Student an unseren Universitäten kommt aus der Volksrepublik – rund 37.000 waren es vor der Corona-Pandemie. Das Reich der Mitte braucht hochkompetente Akademiker. Und investiert auch gern in Unternehmen, wo das vorhanden ist. So hat das im Zuge der Corona-Pandemie weltberühmt gewordenen Mainzer Unternehmen Biontech auch einen chinesischen Hintergrund: Kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie begann Fosun eine Kooperation mit Biontech. Chinas mächtigster privater Mischkonzern hält zwar nur einen rund einprozentigen Anteil an Biontech, aber es gibt millionenschwere gemeinsame Projekte.

Die Gesundheitsbranche gilt als eine der zehn Schlüsselindustrien Pekings, ein anderer ist die industrielle Fertigung: Neben der Übernahme des Autozulieferers Grammer und der Roboterschmiede Kuka durch Midea gilt Putzmeister als einer der bekanntesten Fälle. Als 2012 der württemberger Betonpumpenbauer von Sany aufgekauft wurde, ging ein Raunen durch die Region – gerade weil es sich um einen Hidden Champion handelte mit hohem Technologiewissen. Heute gilt Sany als erstklassig in der Branche und ist selbst der Weltmarktführer. Und die Region hat davon durchaus profitiert: Die IG Metall zeigte sich mit den Tarifabschlüssen zufrieden, es gibt eine Beschäftigungsgarantie bis 2028 und das 10.000-Einwohner Örtchen Aichtal ist die Weltzentrale von Sany. Ein Finanzinvestor hätte das wohl nicht so mitgemacht, sagen sie bei Putzmeister.

Sehr wichtig ist der chinesischen Staatsführung auch der Bereich Abfallwirtschaft. Und die deutsche Umwelt- und Entsorgungstechnik gehörte eine Zeit lang zu ihren wesentlichen Zielen: 2016 übernahm die Beijing Enterpreise Holdings Limited (BEHL) für 1,6 Milliarden Euro die frühere Eon-Tochter EEW Energy von der Waste GmbH, Deutschlands größtem thermischen Abfallverwerter. Im selben Jahr kaufte der chinesische Schrottverwerter Chiho-Tiande den Metall-Recycler Scholz, als das schwäbische Unternehmen in einer prekären Situation war. Der bekannteste Fall ist in diesem Bereich aber die Alba-Gruppe. Als die Berliner 2016 unter starken finanziellen Druck gerieten, kaufte ihnen Chengdu Techcent Environment ihr Chinageschäft nur unter einer Bedingung ab: Die Chinesen wollten bei der Alba-Tochter Interseroh die Mehrheit übernehmen. Notgedrungen verkaufte Alba 60 Prozent der Anteile ihrer Tochter.

China hat unabhängig von der Branche einen Faible für Traditionsunternehmen. Ein großer Name ist die Hotelkette Steigenberger: 2019 erwarb der Schanghaier Hotelbetreiber Huazhu Grozp für 780 Millionen Dollar sämtliche Anteile an der Deutschen Hospitality AG, zu den Steigenberger gehört. Wer dort an der Bar übrigens einen Whisky der bekannten Marke Loch Lomond bestellt, trinkt quasi auf das Wohl des chinesischen Finanzinvestors Hillhouse Capital. Viele Eltern kennen den Kindersitz-Hersteller Cybex aus Bayreuth – seit 2015 ein chinesische Unternehmen. Viel früher gingen bekannte Marken wie der Uhrenhersteller Junghans ins Reich der Mitte oder die Norddeutsche Bleistiftfabrik. Oft kaufen die Chinesen Unternehmen, die in Not geraten sind wie 2002 den Unterhaltselektronikbauer Schneider oder 2013 den Nähmaschinenproduzenten Pfaff aus Kaiserlautern. Der Essener Computerbauer Medion hat sich nach der Übernahme durch Lenovo stabilisiert.

Bei praktisch jeder Übernahme durch chinesische Firmen steckt die Bundesregierung in einer schwierigen Lage. Zum einen will man den Handelspartner nicht brüskieren, zum andere keinen Knowhow-Transfer und die Unabhängigkeit vom Reich der Mitte soll auch möglichst hoch bleiben. Ironischerweise liegt die Lösung für Deutschland in der chinesischen Kultur – dem Prinzip des goldenen Mittelweges. Die Meinungen von unabhängigen Fachleuten lassen sich so zusammenfassen: Es ist weder ratsam, sich einzukapseln und jede chinesische Übernahme zu verbieten. Noch darf Europa dem Treiben unbeteiligt zusehen. China muss wissen, dass Europa nicht einfältig ist und seinen Wert kennt. Bei aller Emotionalität und Vorsicht muss man derzeit bilanzieren: Gemessen an der Bedeutung der beiden Länder füreinander halten sich die aktuellen Übernahme-Investitionen in deutsche Firma im Rahmen.

01.11.2022 | 11:22

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