Wie die Immobilienkrise nach Europa schwappt
Auf dem Markt für Gewerbeimmobilien tanzen Gespenster. Vor allem in den USA bröckeln Finanzierungen, schwache Konjunktur, steigende Zinsen und wachsende Verschuldung machen Geldhäusern, Investoren und Vermietern mehrere Striche durch die Rechnung. Jetzt kommt die Misere in Europa an. Und sie bleibt nicht auf Banken beschränkt.
Von Reinhard Schlieker
„Diesmal ist alles anders.“ So heißt ein Buchtitel, der im Internet-Hype um die Jahrtausendwende erschienen ist - und dann platzte die Blase. In der Finanzkrise 2008/2009 zogen geschockte Regierungen und Notenbanken eilends neue Streben ins weltweite Finanzgebäude, und „so etwas“ sollte nun wirklich nie wieder passieren. Es passierte dennoch etwas: Es kam die Schuldenkrise der Staaten mit der Folge extrem billigen Geldes und einer Inflation, die jetzt die Zinsen hochtreibt. Nebenbei explodierten 2022 die Kryptowährungen, bis dahin Hoffnungswert einer Investorengeneration. Man sieht: Die Zutaten ändern sich, das Gebräu bleibt das gleiche. Und auch diesmal ist natürlich vieles anders als zuvor, aber das Brodeln klingt vertraut. Ausgehend vom Immobilienmarkt in den USA pflanzt sich eine Welle durch die westliche Welt fort, die am Ende zu erheblichen Verwerfungen auch bei den privaten Bürgern führen dürfte – wenn nicht jemandem mit Macht und Geld etwas Geniales dazu einfällt. Wie heikel die Situation ist, mag man daran ablesen, dass viele Banken in Deutschland bei Anfragen dazu nur abwinken: Zu diesem Thema will man sich lieber nicht äußern, heißt es bei den Kreditinstituten hierzulande fast geschlossen.
Wie zuvor in ähnlichen Krisen stehen Notenbanken und Regierungen an erster Stelle der möglichen Rettungsfront. Was bisher geschah: Die bekannt hohe Inflation sowohl in Übersee als auch in Europa forderte deutliche Zinsschritte der Zentralbanken, die auch in schneller Folge kamen – manche sagen, zu spät. Denn zunächst fürchteten die Geldhüter, die Konjunktur abzuwürgen und warteten ab, ob nicht die Preissteigerung eine vorübergehende Erscheinung werden würde. Wurde sie nicht, und daher befindet man sich in einem Zinserhöhungszyklus, der die Geldentwertung mit der bekannten Vorlaufzeit nun tatsächlich zu bremsen scheint. Ein Ende der restriktiven Haltung von EZB, Federal Reserve und anderen ist in der Ferne zu erkennen – was aber nicht mehr reichen wird, um die Kollateralschäden zu verhindern. Deren teuerster zeichnet sich seit Monaten ab und betrifft die Immobilienwelt und mit ihr Banken, Schuldner und Investoren.
„Die US-Inflation hat in den vergangenen Monaten eine ähnliche Entwicklung genommen wie in Europa und zu Unsicherheiten am amerikanischen Immobilienmarkt geführt. Unter anderem infolge steigender Zinsen und der nachfolgenden Verteuerung von Immobilienfinanzierungen hat sich der Transaktionsmarkt deutlich abgekühlt und zu Preiskorrekturen bei fehlendem Investoreninteresse geführt“, konstatiert nüchtern der Research-Spezialist Martin Lippmann von der Fondsgesellschaft der Deutschen Bank DWS. Hinter dieser Erkenntnis tut sich eine gefährliche Mischung auf. Gewerbliche Immobilien kosten im Zuge steigender Zinsen erheblich höhere Kreditzahlungen, zumal viele von ihnen mit einem variablem Zinssatz finanziert sind. Marktveränderungen schlagen sich mit geringer Verzögerung in den Kosten nieder. Natürlich gibt es dadurch vermehrt Zahlungsausfälle, was wiederum die Banken belastet. Oft haben die Geldhäuser einen großen Teil ihrer Bilanzguthaben in vermeintlich sicheren Staatsanleihen angelegt. Das Szenario, das hier offenbar nicht vorhergesehen wurde, tritt nun aber ein: Einige Banken, zunächst waren es regionale Institute in den USA, müssen, weil sie Geld brauchen, ihre Anleihen zu geringeren als den Einstandskursen auf den Markt werfen, denn ein Kursverlust ist die unvermeidliche Folge steigender Zinsen bei verzinslichen Wertpapieren. Damit ist die Tür geöffnet für nervöse Bankkunden, die nicht warten wollen, bis ihr Institut womöglich pleitegeht – und daher ihre Gelder abziehen. Folge ist ein Bank Run, jeder drängt zum Ausgang, koste es, was es wolle. In der deutschen kollektiven Erinnerung ist die Hyperinflation und der Bankencrash vor hundert Jahren noch lebendig. Erinnerungen an Schlangen vor den Bankschaltern von Northern Rock in der Finanzkrise 2008 werden wach. Die Grundlage für das, was die Amerikaner einen „perfekten Sturm“ nennen, ist gelegt.
Bekannt wurde in Deutschland die eigentlich wenig bedeutende kalifornische „Silicon Valley Bank“, jüngst gab es ähnliche Schlagzeilen über die PacWest Bankcorp und zahlreiche weitere kleinere Bankhäuser. Mit abgestuften Mitteln intervenierten die Behörden und die Politik, als Bankenretter stand JPMorgan bereit, eine der größten amerikanischen Investmentbanken. Der allerdings die Regionalbank First Republic erst kaufte, nachdem die US-Notenbank sie schon übernommen hatte. Mit Preisabschlag daraufhin, natürlich, schreibt die „New York Times“. Immerhin: „Mit Blick auf die Zinsentwicklung in den USA scheint der Druck jedoch etwas nachzulassen. Inflationsraten gehen sukzessive zurück und haben im April 2023 mit 4,9% den niedrigsten Monatswert seit April 2021 markiert. Trotz hoher Kerninflation und Volatilität im Markt dürfte dies der Fed weitere Handlungsoptionen bieten“, so Marktexperte Martin Lippmann.
Wenigstens sind die Gläubiger breiter gestreut als noch vor fünfzehn Jahren, die Schulden werden in der Regel von den Regionalbanken teils an Versicherungen und andere professionelle Investoren weitergereicht. Um jedenfalls die Geldhäuser mit schnellen liquiden Mitteln zu versorgen, damit diese nicht ihr Tafelsilber womöglich zum Preis für Messing verkaufen müssen, deutete die US-Notenbank Fed zusätzlich zu ihrem aktuellen Bankenfinanzierungsprogramm (BTFB) auch an, die Absicherungsgrenze für Bankguthaben von 250.000 Dollar anheben zu können, wobei die Politik mitspielen müsste. Gleichzeitig können Banken nach dem BTFB bevorzugt Gelder bei der Fed abrufen. Ob das reicht, ist unter Fachleuten umstritten. Denn die Kaskade könnte wesentlich teurer werden als die 2,5 Billionen Dollar allein an Immobilienkrediten, die kurz- bis mittelfristig refinanziert werden müssen. Das dicke Ende kommt also erst noch.
Die gute Nachricht: Längst nicht mehr sind Hausfinanzierungen, auch im privaten Sektor, in zweifelhaften Wertpapierkörben gebündelt, und international an teils ignorante Gläubigerbanken verkauft worden, wie dies 2007/2008 der Fall war. Der schlimme Schneeballeffekt ist also wohl abwendbar. Dennoch bleibt der private Hauseigentümer nicht ungeschoren. Die starken Zinsanstiege beeinträchtigen inzwischen auch die deutschen Käufer und Vermieter; Gewerbeimmobilien und deren Marktertrag müssen neu kalkuliert werden, ebenso Mieten. Der EZB-Leitzins liegt nach straffen Erhöhungen bei 3,75 Prozent. Vor nicht allzu langer Zeit bewegte er sich noch im Minus. Seit also das Pendel umschlägt, und Immobilien nicht mehr den dazu notwendigen Ertrag bringen, drohen Verkäufe unter Druck, oder aber notleidende Kredite. Das könnte bei Banken zu restriktiverer Darlehensvergabe führen, denn schließlich gilt es, jede Menge aufsichtsrechtliche Vorschriften, zum Beispiel zu eigenen Kapitalreserven, einzuhalten. Auf dem deutschen Markt ist die Zurückhaltung im Bau bereits deutlich spürbar, der Wirtschaftszweig steht unter Druck. Die Zahl der Pleiten ist gegenüber 2022 im ersten Quartal sprunghaft angestiegen, große Wohnungsbauunternehmen werden an der Börse skeptisch betrachtet. Was ist der Bestand wirklich wert, heute, unter diesen Vorzeichen? Und das alles bei gleichzeitig anerkannter Knappheit von Wohnraum. Was im übrigen neben Deutschland weitere große europäische Staaten betrifft, darunter vor allem Großbritannien. Und: Schweden. Das sprichwörtlich stabile Land ist in Europa ein Beispiel dafür, was den übrigen noch bevorstehen könnte. Denn dort sind die größten Banken des Landes unter Druck geraten, weil sinkende Renditen im Immobiliengeschäft bei gleichzeitig steigenden Zinsen der Schwedischen Reichsbank eine schwer verdauliche Mischung erzeugt haben. Der größte Vermieter von Gewerbeimmobilien, SBB, wurde von den Ratingagenturen kürzlich auf Bonität „Ramschniveau“ herabgestuft, strich seine Dividendenzahlung und kämpft offenbar um Liquidität, so die Finanznachrichtenagentur Bloomberg: Der rasante Verfall der Immobilienwerte in Schweden belastet zunehmend die SBB-Bilanz. Ende noch offen.
Im Gegensatz zu deutschen Häuslebauern finanzieren Schweden – wie auch Briten – ihre privaten Darlehen bevorzugt zu variablen Zinssätzen, Erhöhungen treffen die Schuldner also wesentlich schneller als hierzulande. Allerdings: Wer in Deutschland knapp kalkuliert hat und bald zur Unzeit neu finanzieren muss, könnte unter Druck geraten. Mehr Zwangsversteigerungen wären die Folge. Welchen Einfluss die Krise nun auf die Gesamtkonjunktur haben wird, kann noch niemand sagen. Experte Lippmann bleibt verhalten optimistisch: „Der deutsche Bankensektor ist im Vergleich zu den US-(Regional-) Banken stärker reguliert. Die Indikation aus dem Markt geht dahin, dass Anschlussfinanzierungen tendenziell teurer werden, Banken aber weiterhin Liquidität bereitstellen. Natürlich dürften auch hier die verschlechterten Konditionen am Markt die Immobilienperformance belasten, letztlich aber keine grundlegende Finanzierungsknappheit drohen.“ Immerhin also, eine regelrechte Kreditklemme ist nicht absehbar.
In den angelsächsischen Ländern, Vorreiter wie so oft, kommt seit dem Abklingen der Corona-Pandemie noch ein gänzlich unerwarteter Faktor zur Immobilienmisere hinzu, und der hat bereits zur Aufgabe riesiger Bauprojekte geführt, ob in New York, Chicago oder Los Angeles: Mitarbeiter wollen einfach nicht zurück ins Büro. Sie bleiben, wenn es geht, im Home Office. Und es sind so viele, dass die vorgesehenen Erweiterungen riesiger Firmenzentralen auf Eis gelegt oder Neubauten ganz gestrichen werden. Dafür steigen, etwa in Großbritannien, noch die Preise für Einfamilienhäuser im Verhältnis gegenüber denen von Wohnungen. Man braucht offenbar Platz fürs Arbeitszimmer; hat in Coronazeiten einmal die berufliche Freiheit geschnuppert, mutmaßt die „Times“. Und macht einen ganz neuen Problemtrend beim Management aus. „Warum bloß wollen die Mitarbeiter meiner Abteilung nicht zurück?“, so die selbstzweiflerische Frage manch einer Führungskraft. Ein ganz neues Betätigungsfeld für Unternehmensberater und Psychologen. Immerhin – dieses Phänomen scheint nicht unmittelbar konjunkturbremsend zu wirken.
19.05.2023 | 11:18