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Wie elektrisch wird VW?

VW-Chef Matthias Müller präsentiert dem Aufsichtsrat die Strategie mit Elektrifizierung und Mobilitätskonzepten. Zudem wird ein Jobabbau unvermeidlich. Offizielle Zahlen gibt es nicht, doch es geht um sehr viele Stellen.

Bei Volkswagen steht eine wegweisende Aufsichtsratssitzung an. Vorstandschef Matthias Müller will von den obersten Kontrolleuren des Konzerns seine „Strategie 2025“ absegnen lassen. Müller muss den Spagat versuchen: Besonders die Konzernmarke VW produziert viel zu teuer und ist auf Dauer nicht mehr wettbewerbsfähig. Volkswagen muss viel effizienter werden, am Ende wird das auch Stellen kosten. Zugleich will Müller das Unternehmen auf die Zukunft ausrichten – auf den Elektroantrieb und den Wandel zum Mobilitätsanbieter.

Der Vorstandschef hat schon selbst vor ein paar Wochen vor Führungskräften von VW die Agenda vorgegeben. „Die Mittel, die wir in die Elektrifizierung und in andere Zukunftsfelder investieren, müssen aus dem Kerngeschäft mit den bestehenden Fahrzeugen und klassischen Antrieben kommen“, verkündete Müller.

Im Jahr 2025, so lautet eine der Vorgaben in Wolfsburg, soll jedes zehnte Auto mit Elektro- oder Hybridantrieb ausgestattet sein. Das wären dann also pro Jahr etwa eine Million Autos. Nach dem Dieselskandal ist VW in Sachen Umwelt besonders unter Druck und muss seine Glaubwürdigkeit zurückerlangen. Zudem bereitet sich der Wolfsburger Konzern damit auf schärfere Umweltbestimmungen vor, die wegen des Dieselskandals in den kommenden Jahren für die gesamte Branche zu erwarten sind.

VW ist damit nicht allein, auch andere Autohersteller bereiten sich auf die neue Zeit vor. So will Daimler den Anteil der verkauften Autos mit Elektroantrieb deutlich ausbauen und plant weitere Modelle. „Bis 2020 wird Elektromobilität bei Daimler sechsstellig“, sagt Entwicklungsvorstand Thomas Weber. Auf dem Pariser Autosalon im September wollen die Stuttgarter den Ausblick auf ein rein batterieelektrisches Fahrzeug geben. Es soll mit einer Ladung bis zu 500 Kilometer weit fahren und in den nächsten Jahren auf den Markt kommen.

Nach Dieselgate: gigantische Investitionen

Die Elektrifizierung wird Milliarden verschlingen und steht für die eine Seite von Müllers „Strategie 2025“. Zugleich muss Volkswagen auch sein eigenes Gesicht erneuern. In der Zukunft wird es nicht mehr reichen, ausschließlich nur Autos von den Bändern laufen zu lassen. In den Städten werden die Staus immer länger und die Parkplatznot immer größer. Gerade Städter werden deshalb verstärkt auf den eigenen Wagen verzichten. Ihnen ist es egal, wie sie von A nach B kommen. Sie werden Taxi- und Mobilitätsdienste in Anspruch nehmen, sich mit anderen ein Auto teilen. Die „Sharing economy“ wird davon profitieren.

VW-Chef Müller muss seinen Aufsichtsräten die Schritte präsentieren, wie er sich diesen Wandel des Unternehmens in den nächsten zehn Jahren vorstellt. Ende Mai hat sich Volkswagen bereits mit 300 Millionen Euro am israelisch-amerikanischen Mitfahrdienst Gett beteiligt. Dieses Engagement beim Uber-Konkurrenten kann nur ein erster Schritt gewesen sein, VW wird noch viel mehr machen müssen. Müller will eine eigene Gesellschaft gründen, in der das komplette neue Mobilitätsgeschäft gebündelt wird. Dieses Unternehmen soll seinen Sitz in Berlin haben und vielleicht zur 13. Konzernmarke werden. Die neue Tochter soll auch die Konzepte für das autonome Fahren entwickeln.

VW-Markenchef Herbert Diess drängt darauf, dass der Umbau des Konzern möglichst zügig vonstatten geht. „Dabei dürfen wir keine Zeit verlieren, denn die Veränderungen in unserer Branche kommen jetzt sehr schnell – und sie sind von großer Tragweite“, sagt er. Bis zu diesem Punkt herrscht mit dem mächtigen Betriebsrat Einigkeit. „Wir müssen jetzt beherzt zupacken, damit Volkswagen den Schritt in das neue automobile Zeitalter schaffen kann“, fordert auch Betriebsratschef Bernd Osterloh.

Doch damit Volkswagen die notwendigen Milliarden für die Elektrifizierung und die neuen Mobilitätskonzepte aufbringen kann, muss das existierende Geschäft unbedingt effizienter werden. Das Wort Stellenabbau mag in Wolfsburg bislang noch niemand in den Mund nehmen. „Wenn es um Arbeitsplätze geht, wird es gleich konfliktreich“, begründet Stefan Bratzel, Professor am Center of Automotive Management aus Bergisch Gladbach.

Die Marge der Kernmarke

Wenn Müller dem Aufsichtsrat seine „Strategie 2025“ präsentiert, wird es nicht konkret um einen Arbeitsplatzabbau gehen. Der Konzernchef dürfte allgemeiner bleiben und davon sprechen, dass VW kostengünstiger produzieren müsse. Doppelarbeiten beim Konzern und bei den Markentöchtern müssten verschwinden. Außerdem sollen die Töchter eine größere Autonomie bekommen. Nicht jedes Detail müsse von der Zentrale in Wolfsburg geregelt werden.

Die konkreten Einzelheiten eines solchen Effizienzpaktes sollen die einzelnen Markentöchter in den kommenden Wochen zusammenstellen. Spätestens im Herbst wird es dann detaillierte Pläne geben. Die meiste Arbeit wird auf die Konzernmarke VW zukommen, das schwächste Glied im Markenverbund. Zusätzlich geschwächt durch die Dieselaffäre liegt die Marke VW weit weg von der gewünschten operativen Rendite von sechs Prozent. Im ersten Quartal dieses Jahres waren es gerade einmal 0,3 Prozent, die Marke hat also fast nichts verdient.

Außerhalb des Konzerns ist der Mut größer, auch einmal eine konkrete Zahl zu nennen. „Bis zu 25.000 Stellen könnten gestrichen werden“, glaubt Arndt Ellinghorst, Analyst beim Investmentberater Evercore ISI. In ein bis zwei Jahren werde besonders bei den deutschen VW-Werken etwas passieren. Ellinghorst glaubt, dass es am Ende einen VW-typischen Kompromiss geben dürfte: Das Unternehmen verzichte auf Entlassungen und erreiche den Stellenabbau über Altersteilzeit und natürliche Fluktuation. Den größten Bedarf zu Veränderungen sieht der Autoexperte in der überdimensionierten Verwaltung und in der Komponentenfertigung. Im Unterschied zu anderen Autoherstellern produziert VW noch zu viele Teile selbst und bezieht sie seltener von Zulieferern. VW hat in Deutschland mehr als 120.000 Beschäftigte.

Eine Schlüsselfunktion spielt dabei wahrscheinlich der Bau einer Batteriefabrik, über die bei VW schon sehr konkret nachgedacht wird. Mit den Betriebsräten und der IG Metall ist ein Stellenabbau viel eher zu machen, wenn es einen Ausgleich gibt – die neue Batteriefabrik. Konzernchef Müller könnte seinen Aufsichtsräten schon einige Details zu der neuen Fabrik präsentieren. Doch bis die ersten VW-Elektromobile mit einer Batterie aus eigener Fertigung unterwegs sind, werden noch viele Jahre vergehen.

Erst einmal kommt der Donnerstag dieser Woche: Dann will der Konzernchef auch die Belegschaft und die Öffentlichkeit über sein Zukunftskonzept informieren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürften also noch mehr Details über die Zukunft von Europas größtem Automobilhersteller bekannt werden. Handelsblatt / Stefan Menzel

14.06.2016 | 10:08

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