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Wie hält es Baerbock mit der Linken?

Wollen die Grünen an die Regierung, brauchen sie Stimmen von Wählerinnen und Wählern aus der Mitte. Für die aber ist eine Regierungsbeteiligung der Linken ein rotes Tuch. Wie also halten es die Grünen mit den Linken? Die Vordenker der Grünen haben sich intensiv mit dem Thema befasst.

Von Oliver Stock / WirtschaftsKurier

Für die Grünen gibt es seit gestern eine Gretchenfrage, die ihre Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock beantworten muss: Wie hält sie es mit der Linken? Die Antwort ist entscheidend, weil die Grünen nur mit Stimmen von Wählerinnen und Wählern aus der Mitte deutlich über 20 Prozent und damit der Regierungsverantwortung näherkommen. Für konservative Wähler ist allerdings die Linke ein rotes Tuch. Sie werden ihr Kreuz nicht bei einer Partei machen, die für eine Koalition mit der Linken offen ist. Wie also steht es um dieses Denkmodell, Frau Baerbock?

Die designierte Kanzlerkandidatin hat gleich nach ihrer Kür am Montag das gesagt, was Kandidaten in solchen Situationen immer sagen: Sie wolle den Wahlkampf ohne Präferenz für eine bestimmte Koalition führen. „Wir trotten nicht anderen hinterher", machte sie klar. „Wir möchten am liebsten diese Regierung anführen“, sagte die 40-Jährige. „In diesem Jahr ist alles drin und alles möglich.“
Bei den Linken selbst herrscht Skepsis gegenüber einer Koalition. Die Linke-Außenpolitikerin und Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen hatte unmittelbar nach der Nominierung Baerbocks bereits die roten Linien ihrer Partei deutlich gemacht: Sie sehe die größten Differenzen zwischen Linkspartei und Grünen „beim Thema Nato-Aggression gegen Russland und China“, sagte sie in einem Interview. Mit den Grünen sei zurzeit eine Entspannungspolitik gegenüber Russland offenkundig nicht machbar. „Im Gegenteil gehören die Grünen noch vor der Union und der FDP zu denjenigen, die stetig nach weiteren Sanktionen rufen.“ Gemeinsamkeiten sieht die Linke-Obfrau im Auswärtigen Ausschuss dagegen beim Thema Rüstungsexporte. „Aber auch hier muss man sehen, dass sich die Grünen einem Verbot von Rüstungsexporten verweigern und in ihrer Regierungszeit zu den größten Förderern von Rüstungsexporten gehörten“, erklärte Dagdelen.

Ein weiterer Streitpunkt zwischen Grünen und Linkspartei sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Dagdelen wies darauf hin, dass der bevorstehende Abzug aus Afghanistan nicht in Berlin, sondern in Washington entschieden worden sei. „Es wäre wünschenswert, wenn der Abzug ein Umdenken bei SPD und Grünen im Hinblick auf Auslandseinsätze der Bundeswehr befördert.“ Sie sei da allerdings skeptisch, weil große Teile der Grünen bis zuletzt an dem Nato-Krieg um geopolitischen Einfluss festhielten.

Uneinigkeit über die richtige Außenpolitik dürfte damit der wesentliche Zankapfel werden, wenn Grüne und Linke Möglichkeiten ihrer Zusammenarbeit ausloten. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hat deswegen kürzlich in einem Interview mit dem „Spiegel“ die Linken eher mit zweifelnden Worten bedacht: „Die Linke muss klären, ob sie regieren will und kann.“ Im Zeitalter der Polarisierung seien „Ausschlüsse und Gesprächsverweigerung das Letzte, was unsere Demokratie braucht“, meinte Hofreiter auf die Frage nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr und fügte hinzu: Manche Positionen seien in einer Regierung nicht umzusetzen. „Die Linke muss entscheiden, ob sie mitgestalten will.“ Dazu gehörten auch Uno-Einsätze, wo sie richtig und sinnvoll seien.

Grüne Vordenker haben das Thema Umgang mit der Linken schon lange auf dem Schirm. Als etwa Claudia Roth vor mehr als einem Jahrzehnt anlässlich einer Landtagswahl in Hessen feststellte: „Die Grünen sind eine moderne linke Partei“, rief sie damit den pragmatischen Parteikollegen und heutigen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann auf den Plan. Der veröffentlichte in einer Serie der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung eine Positionsbestimmung, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat:

Die deutsche Politik tue sich schwer, Parteien als Normalität zu akzeptieren, „die nicht dem sich-immer-auf-der-richtigen-Seite wähnenden Nachkriegs- und Gründungskonsens der Bundesrepublik“ entsprechen. Diese Erfahrung mussten die Grünen ebenso machen wie die Linke. Allerdings sieht Kretschmann einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden: Die Grünen hätten mit der ökologischen Politik einen neuen Ansatz in das Parteienspektrum gebrachte, die Linke dagegen „lediglich den sozialdemokratischen Gedanken radikalisiert“.

Zu Koalitionen schrieb Kretschmann: „Ebenso falsch wie die reflexhafte Ausgrenzung der Linken ist die Verengung des Umgangs auf die Frage von Koalitionen allein nach rechnerischen Gesichtspunkten. Diese Verengung entwickelt in der jetzt beginnenden Diskussion: „Koalieren die Grünen mit der Linken oder mit der CDU?“ eine gefährliche Kraft, wenn es nicht gelingt, in der öffentlichen Diskussion eine weiterführende Ebene der politischen Debatte aufzumachen, die das links-rechts Schema überwindet.“ Roths Aussage von den Grünen als linke Partei hält Kretschmann deswegen für wenig hilfreich. Er wird sehr deutlich: Der Blick nach vorne und nicht das Absingen alter Lieder seien grundlegend dafür, dass die Grünen eine Perspektive haben. Und dann schreibt er seiner Partei ins Stammbuch: „Wenn die Grünen nur mit Parteien koalieren, die in etwa das Gleiche wollen wie sie, wären entweder die Einen oder die Anderen überflüssig. Wenn die Grünen mit Parteien koalieren wollten, die in allen Punkten etwas grundlegend Anderes wollen, macht eine Zusammenarbeit keinen Sinn. Koalitionen sind gut und sinnvoll, wenn verschiedene Pole von politischen Spannungsfeldern zu einer neuen, bisher nicht vorhandenen Lösung verbunden werden können.“

Ein anderer Altgrüner hat sich ebenfalls intensiv mit der Frage einer Koalition mit den Linken beschäftigt. Fritz Kuhn ehemaliger Bundes- und Fraktionsvorsitzender der Grünen, schrieb während seiner aktiven Zeit als Politiker und als die Grünen mit der SPD die Regierung stellten, folgende Sätze, die bis heute Grünen und Linke entzweien: „Die nachrevolutionäre Linke sieht die Hauptaufgabe des Staates in der perfekten Organisation der Umverteilung. Was die einen zu wenig haben, haben die anderen zu viel.“ Ein wesentlicher Punkt grüner Politik sei dagegen „die soziale und gesellschaftliche Emanzipation des Einzelnen. Der Sozialstaat darf nicht entmündigen, sondern soll den Leuten so helfen, dass sie sich selber helfen können. Dies begründet auch ein Misstrauen gegen die großen Sozialstaatsbürokratien. Ökologie, aber auch die Entschuldung der Staatshaushalte sind Konzepte der Generationengerechtigkeit. Sie machen die Freiheit künftiger Generationen zum Gegenstand unserer heutigen politischen Verantwortung.“ Die Grünen verbänden eine linke Grundhaltung mit beträchtlichen wertkonservativen Wurzeln.

Für Baerbock wird es nun darauf ankommen, diese Wurzeln sichtbar zu machen, wenn sie bei den Wählerinnen und Wählern in der Mitte punkten will. Übertreiben darf sie es damit aber auch nicht, sonst verschreckt die Kandidatin ihre Stammkundschaft. Darunter solche wie die 20jährige Anne Kleine-Möllhoff, Jurastudentin aus Köln und seit vier Jahren bei der Grünen Jugend aktiv. Sie äußerte sich unmittelbar nach der Nominierung Baerbocks am Montag in einem Interview so: „Wir als Grüne Jugend hoffen natürlich, dass Baerbock eine Kämpferin für linke Mehrheiten wird.“ Will sie Kanzlerin werden, müsste Baerbock dieser Nachwuchsgrünen einen Korb geben.

21.04.2021 | 10:23

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