Der nächste Gau: Wie Russlands Atomkonzern Rosatom Europa in Schach hält
Während gegen russische Energiefirmen harte EU-Sanktionen gelten, gibt es für Rosatom und seinen Chef eine Ausnahme. Die russischen Uranverkäufer machen ungehindert ihre Deals in Europa, denn die Abhängigkeit von ihnen ist gewaltig. Die deutsche Regierung, die jetzt den Weiterbetrieb zweier Atomkraftwerke beschlossen hat, schaut ungerührt zu.
Durch die Entscheidung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Grüne), zwei Atomkraftwerke in Süddeutschland länger als bis zum Jahresende laufen zu lassen, gerät die Bundesregierung in einen neuen Konflikt: Einer der wichtigsten Lieferanten für Brennstäbe selbst und für das Uran, das zu Herstellung der Brennstäbe gebraucht wird, ist der staatlich russische Konzern Rosatom. Falls die AKW’s länger als wenige Wochen über das eigentliche Abschaltdatum hinauslaufen müssen, braucht die Bunderegierung eine klare Haltung zum Uranlieferanten Rosatom. Die aber hat sie nicht. Denn während die allermeisten russischen Staatsbetriebe einem strengen Sanktionsregime seitens der EU und damit auch Deutschlands unterliegen, betreibt der größte Atomkonzern Russlands weitgehend ungehindert seine Geschäfte in der EU. Der Grund ist eine fatale Abhängigkeit, in die sich nicht nur Deutschland, sondern auch andere EU-Staaten begeben haben, und die ein Kappen der Beziehungen zu Rosatom schier aussichtslos macht.
Es ist die österreichische Regierung, die das Problem immerhin erkannt hat und jüngst eine ausführliche Studie beim Umweltbundesamt in Wien über die Verflechtungen von Rosatom mit der EU in Auftrag gegeben hat. Das Ergebnis: Es besteht „eine starke Abhängigkeit der EU von Rosatom“. Damit erhöhe die Nutzung der Kernenergie keineswegs die Versorgungssicherheit, sondern habe die EU in eine Abhängigkeit von Russland gebracht. Liegt hierin der Grund, weswegen die EU Rosatom und auch dessen Chef, den Alexej Likatschew nicht auf die Sanktionsliste gesetzt haben? Likatschew kann sich ungehindert in der EU bewegen und verhandelte erst vergangenen Woche in Wien wieder mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien. Thema war diesmal das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja, das seit der russischen Besetzung ebenfalls unter der Kontrolle von Rosatom steht.
Die staatliche Atomenergiegesellschaft Rosatom ist eine klassische Holdingstruktur und umfasst rund 300 Unternehmen. Rosatom arbeitet nicht nur in der zivilen Nutzung der Kernenergie, sondern mit 90.000 der insgesamt 275.000 Beschäftigten auch für das russische Militär. Die EU-Staaten kooperieren nach wie vor in unterschiedlichen Formen mit dem Staatskonzern. Importiert werden russische Uranprodukte, Brennelemente und Dienstleistungen im Bereich Bau, Betrieb und – für die deutschen Betreiber von Atomkraftwerken besonders interessant – Abriss von Kernkraftwerken.
Die EU importiert bislang 99,5 Prozent ihre benötigten Natururans. Rund 20 Prozent kamen 2020 aus Russland und 19 Prozent aus dem politisch russlandnahen Kasachstan. Bezogen auf die Uranproduktion Russlands gilt: 90 Prozent davon werden nach Europa exportiert. Rosatom ist der zweitgrößte Uranproduzent der Welt. Im Jahr 2021 versorgte Rosatom 21 Kernreaktoren in der EU mit Brennelementen: Bulgarien, Ungarn, Slowakei und Tschechien sind vollständig von Brennelementen von Rosatom abhängig - Finnland zu 35 Prozent. Im Zuge einer Kooperation zwischen Rosatom und dem französischen Atomkonzern Framatome werden drei Reaktoren in Westeuropa mit Brennelementen versorgt.
Verflechtungen zwischen Rosatom und europäischen Unternehmen gibt es laut den Autoren des österreichischen Umweltamts auch mit Siemens und Nukem. Im niedersächsischen Lingen, wo der französische Atomstromproduzent Framatome sein Jahrzehnten Brennelemente herstellt, gehört Rosatom zu den Standart-Lieferanten. Beide Seiten wollten noch im vergangenen Jahr ihre Zusammenarbeit vertiefen. Bernard Fontana, CEO von Framatome und sein russischer Kollege Likatschew haben damals Verträge über eine weitreichende Zusammenarbeit unterzeichnet. Die Anlage in Lingen ist nur ein Teil davon. „Durch die enge Zusammenarbeit mit unserem Industriepartner Rosatom stärken wir unseren Beitrag zur sicheren und zuverlässigen Erzeugung sauberer Energie, die von den Kernkraftwerken unserer Kunden erzeugt wird“, sagte Bernard Fontana bei der Unterzeichnung und kündigte sogar Rüstungskooperationen an: „Gemeinsam bauen wir auf unsere Expertise für die Aufrechterhaltung des Betriebs der bestehenden Nuklearflotte und die Vorbereitung auf die nächste Generation der Kernenergie.“ Sein Kollege von Rosatom lobte die Zusammenarbeit vor dem Hintergrund der Klimadebatte: „Heute hat die Welt endlich erkannt, dass es unmöglich ist, CO2-Neutralität ohne Kernenergie zu erreichen. Daher müssen wir unsere gemeinsamen Anstrengungen beschleunigen, um die globalen Dekarbonisierungsziele zu erreichen“, sagte Likatschew.
Inzwischen hat sich der Wind zwar gedreht, aber nur etwas. Mehr als 50 Fässer Material zu Brennstäbe-Produktion, die in diesem Monat aus Russland in Lingen ankommen sollten, wurden von Rosatom umdirigiert und landeten direkt bei Framatome in Frankreich. Umweltschützer, die sich vor dem Werk in Lingen postiert hatten, warteten vergeblich. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) hatte aktuelle Transporte von Russland in die Brennelementefabrik nach Lingen zuvor bestätigt. Grundlage seien Genehmigungen aus dem Jahr 2021, sagte ein BASE-Sprecher.
Umweltschützer gehen deswegen auf die Barrikaden. Wladimir Sliwjak, russischer Aktivist Träger des Alternativen Nobelpreises, fordert schon lange, die Kooperation mit dem „russischen Regime“ zu stoppen und Rosatom zu sanktionieren. „Rosatom hat eine aktive Aufgabe im Ukraine-Krieg: die Koordination der russischen Truppen bei der Besetzung von Atomkraftwerken – ganz konkret in Saporischschja“, sagt Sliwjak. „Rosatom muss deshalb sanktioniert werden als fossiler und militärischer russischer Atomkonzern.“
Auch die ukrainische Regierung verlangt Sanktionen. Energieminister German Haluschtschenko hat sich erst in der vergangenen Woche mit US-Energieministerin Jennifer Granholm getroffen und das Thema auf den Tisch gebracht, wie die ukrainische Nachrichtenplattform Ukrinform meldet. Die ukrainische Forderung, Sanktionen gegen mehr als 700 Personen und Organisationen im Zusammenhang mit Rosatom zu verhängen, stößt dabei jedoch bislang auf taube Ohren. Rosatom hat auch Großkunden in den USA.
Von deutscher Seite gibt es nur ausweichende Stellungnahmen: Aus dem Umweltministerium heißt es „Rosatom ist ein wesentlicher Player im nuklearen Bereich. Daher ist davon auszugehen, dass absehbar manche Ausbaupläne erneut auf den Prüfstand gestellt werden.“ Und Habecks Wirtschaftsministerium teilt auf Anfrage schmallippig mit: „Sanktionen werden gemeinsam von den EU-Mitgliedstaaten beschlossen. Die Liste von sanktionierten Gütern und Personen wird von der EU veröffentlicht.“ Das Ministerium gebe zu „Einzelfällen keine Auskunft“.
Oliver Stock
28.09.2022 | 18:07