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Wie Zuwanderer Rentnern aus der Patsche helfen

Wenn mehr Menschen ins Rentensystem einzahlen, bekommen die Rentner mehr raus. Die einfache Formel frohe Botschaft für Zuwanderer. Sie müssten hierzulande Willkommen geheißen werden. Doch die Politik zögert. Ihr steckt die Flüchtlingskrise aus dem jahr 2015 in den Knochen.

Rückblende: 2015 war das Jahr, in dem Deutschland kein anderes Thema kannte als Flüchtlinge. Und am Ende hatten die Stimmen Mühe sich durchzusetzen, die sich für eine kontrollierte Zuwanderung aussprachen. Eines ihrer Argumente: Zuwanderer stabilisieren die Rentenkassen.

Sechs Jahre und zwei Wahlkämpfe später geht es um ganz andere Themen: Klimawandel, Corona, bezahlbare Mieten, all das steht auf der Tagesordnung. Und ja: Das Thema Rente ist immernoch da. Und inzwischen gibt es Studien darüber, was es bringt, wenn Zuwanderer ins Rentensystem einzahlen. Das Ergebnis ist klar: Es hilft.

Ulrich Bieber und Michael Stegmann haben sich im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung das Thema sehr grundsätzlich angeschaut. In einem viel zitierten Aufsatz haben beide nachgerechnet: Es zahlen mehr Zuwanderer ins System ein, als am Ende daraus bezahlt werden. Das heißt: Derzeit lohnt sich Zuwanderung für das System.

Die FDP hat das Thema bereits aufgegriffen. Deutschland brauche mindestens 500 000 Einwanderer pro Jahr, fordert der Vizevorsitzende der FDP im Bundestag, Christian Dürr. Das klinge zunächst nach einer hohen Zahl, aber gemessen an der Größe Deutschlands und im Vergleich zu klassischen Einwanderungsländern wie Kanada oder Australien „ist das nicht viel“, sagt Dürr. Er betont: „Einwanderung ist ein wichtiger Schlüssel für stabile Finanzen.“ Immer weniger Menschen zahlten in die Sozialsysteme ein, und der Zuschuss des Bundes in die Rente werde mit jedem Jahr höher. „Wir müssen jetzt handeln“, mahnt Dürr in einem Interview an. „Wenn wir es schaffen, Deutschland zu einem attraktiven Land für Einwanderer zu machen und gleichzeitig unsere öffentlichen Finanzen zukunftssicher zu machen, gewinnt unsere Gesellschaft doppelt.“

Statistiken geben der Forderung der FDP zusätzlichen Auftrieb. Nach den Zahlen der Deutschen Rentenversicherung hatten Ende 2019 knapp 6,8 Millionen der etwa 39,1 Millionen aktiv Rentenversicherten keine deutsche Staatsbürgerschaft. Ihr Anteil an den Beitragszahlern lag damit bei 17,3 Prozent. Menschen mit türkischem Pass waren mit rund einer Millionen die größte Gruppe unter den Rentenbeitragszahlern, gefolgt von Polen 548.000 Menschen mit polnischer Herkunft zahlen ins deutsche Rentensystem ein. Wissenschaftler errechnen daraus, dass im Fall einer Zuwanderung von netto 500 000 Menschen im Jahr das Rentenniveau im Jahr 2060 um, vier Prozentpunkte höher ausfiele als derzeit vorhergesagt. Derzeit liegt der langjährige Durchschnitt bei der Zuwanderung bei netto 200 000 Menschen, wobei „netto“ die Menge beschreibt, die bleibt, wenn man die Auswanderer abzieht. Einig sind sich die Wissenschaftler aber auch: Migration ist allenfalls eine zusätzliche Maßnahme, um das Rentensystem zu stabilisieren. Allein darauf zu setzen reicht nicht. Höhere Beiträge, eine längere Lebensarbeitszeit – auch daran muss geschraubt werden.

Bisher sind die Fortschritte bei Erleichterungen für Zuwanderer überschaubar. Der Politik steckt die Regierungskrise des Jahres 2015 in den Knochen, die durch Zuwanderer ausgelöst worden waren. Vor diesem Hintergrund geht es bei den Parteien vornehmlich um Einwanderung von Arbeitskräften. Dass die irgendwann Rentner sein werden, steht in der Debatte nicht im Vordergrund. Entsprechend nennt sich das Gesetz, dass die Koalition vor zwei Jahren auf den Weg gebracht hat: Fachkräftezuwanderungsgesetz. Dabei liegt der Fokus auf den Menschen, die bereits ein Hochschulstudium oder eine qualifizierte Berufsausbildung haben. Wenn dies erfüllt ist, und die betreffende Person einen Arbeitsplatz in Deutschland vorweisen kann, darf sie in Deutschland arbeiten - egal in welchem Beruf.

Eine weitere neue Regel sieht vor, dass Fachkräfte, die eine qualifizierte Berufsausbildung haben, sich auch erst in Deutschland einen Job suchen können - und ihn nicht schon vor ihrer Einreise vorweisen müssen. Dafür haben sie sechs Monate Zeit. Das bedeutet: Auch diejenigen, die noch keinen Arbeitsplatz vorweisen können, aber eine entsprechende Ausbildung aus dem Ausland, dürfen sich in Deutschland einen Job suchen. Voraussetzung ist aber: die hierzulande anerkannte Qualifikation und entsprechenden Sprachkenntnisse in Deutsch. Außerdem müssen die Bewerber nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können und nicht auf staatliche Unterstützung in Deutschland angewiesen sind. Unterm Strich wird die Zuwanderung dadurch so sehr begrenzt, dass eine Entlastung der Rentenkassen nur in homöopathischen Dosen sichtbar werden kann.

Andere Länder haben bereits umgeschaltet. So hat beispielsweise Österreich durch eine gezielte Zuwanderung inzwischen eine solidere Basis von Einzahlern erreicht, die die Rente der Älteren stabilisieren. Auf einen Rentner kommen in Österreich 3,4 Erwerbstätige. Zum Vergleich, in Deutschland ist es ein Rentner auf 2,9 Erwerbstätige. Mehr eigene Kinder bekommen die Österreicher allerdings auch nicht, weswegen die breitere Basis von Einzahlern der Zuwanderung geschuldet ist.

Auch Italien setzt bei der Rente auf Zuwanderer. Nach Auffassung von Experten aus dem Land wird der positive Effekt durch einen Blick auf die öffentlichen Finanzen bestätigt. Danach übersteigen die in Italien von zugewanderten Menschen geleisteten Sozialabgaben und Einkommensteuern die Sozialausgaben für Zugewanderte in Milliardenhöhe. Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht hat Italien bereits gute Erfahrungen mit der Integration von eingewanderten Menschen. Im Jahr 2002 wurde ein Gesetz erlassen, wodurch Menschen ohne Arbeitserlaubnis einen Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis erhalten konnten. Der Arbeitgeber musste lediglich 700 Euro Sozialabgaben nachzahlen und einen Arbeitsvertrag für ein Jahr gewähren. So konnten ca. 700.000 Menschen, z.B. aus Albanien, langfristig als Beitragszahlende in das Sozialversicherungssystem integriert werden.

Wie überall gilt allerdings auch in Italien: Solche vorausschauenden Modelle haben immer dann keine Chance, wenn das Thema Zuwanderung ganz oben auf der politischen Agenda steht. Denn dann geht es nämlich eher darum, Ängste vor zu viel Zuwanderern zu schüren. Insofern ist es derzeit eine gute Phase, das Thema in Deutschland anzupacken.

Oliver Stock

29.06.2021 | 14:36

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