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Wir finanzieren Putins Krieg mit 7000 Euro pro Sekunde

Auch nach dem Stopp der Gaslieferungen an Polen und Bulgarien zahlt die EU Geld für Energielieferungen an Russland. Die Summe macht etwa die Hälfte des gesamten russischen Staatshaushalts aus. Fehlte sie, könnte Putin seinen Krieg nicht finanzieren. Aber auch die Ukraine profitiert vom Energiehunger der EU.

Polen und Bulgarien erhalten kein russisches Gas mehr, im Gegenzug zahlen diese Länder auch nicht mehr an Russland. Der Stopp ist jedoch mehr ein Warnschuss von russischer Seite, als dass er wirklich die Richtigen trifft: Beide Länder haben Verträge mit Gazprom, die Ende des Jahres sowieso auslaufen. Und beide hatten bereits im vergangenen Jahr angekündigt, die Abkommen nicht verlängern zu wollen, weil sie alternative Lieferanten gefunden haben: Polen erhält Gas aus Norwegen, in Bulgarien kommt Gas zum Beispiel aus Aserbeidschan. Dazu kommt: In beiden Ländern spielt Gas als Energielieferant nur eine untergeordnete Rolle. Sie tauchen in den einschlägigen Berechnungen der Analystenhäuser wie etwa des Cebntre for Resaerch in Energy and Clean Air (Crea) als Gasgroßabnehmer Russlands deswegen gar nicht erst auf.

Polen und Bulgarien sind keine Großkunden

Entsprechend leicht zu verschmerzen ist es für Russland, auf die Einnahmen aus dem Gasverkauf an diese beide Länder zu verzichten. EU weit sieht das ganz anders aus. Was die Gasimporte anbelangt, sind innerhalb der EU Deutschland und Italien jene Länder, die das meiste russische Gas beziehen – und entsprechend die Kriegskasse des Kreml-Machthabers Wladimir Putin füllen. Die Summen, die Moskau aus dem Energiehandel mit der EU einnimmt, sind gigantisch. Nach Schätzungen des Crea fließen etwa 7000 Euro in der Sekunde auf russische Konten. Rund 43 Milliarden Euro sind es, die innerhalb der ersten zwei Monate seit Ausbruch des Krieges überwiesen worden sind. (https://crea.shinyapps.io/russia_counter/) 26 Milliarden davon wurden für Gas bezahlt, rund 15 Milliarden für Öl, den Rest gaben die EU-Länder für russische Kohle aus. „Die Abhängigkeit der Europäischen Union von russischen fossilen Brennstoffen füllt Russlands Kriegskasse", fasst Virginijus Sinkevičius, EU-Kommissar für Umwelt, das Dilemma, in dem die Mitgliedsstaaten stecken, zusammen.

Das Geld aus der EU machte laut der Internationalen Energieagentur 2021 knapp die Hälfte des russischen Staatshaushaltes aus. Der Anteil dürfte inzwischen gewachsen sein, da auf der einen Seite die Preise stark gestiegen sind und auf der anderen Seite der russische Staatshaushalt wegen der Sanktionen gegen das Land geschrumpft sein dürfte. Dass der Handel weiter floriert, wird am hohen Rubelkurs sichtbar. Er war nur kurz nach Kriegsbeginn abgestürzt und hat sich inzwischen wieder deutlich erholt. Er spiegelt die Warenströme wider, die zwischen Russland und dem Rest der Welt ausgetauscht werden. Ein hoher Kurs zeigt, dass Russland nach wie vor mehr exportiert als importiert. Energie und Nahrungsmittel sind dabei die wichtigsten Exportgüter.

Russischer Außenhandel floriert weiter

Paradoxerweise profitiert auch die Ukraine erheblich von dem nach wie vor florierenden Handel, der es Russland ermöglicht, den militärischen Angriff auf das Nachbarland zu finanzieren. Ungeachtet des Krieges lässt die Ukraine nämlich russisches Gas über eigenes Territorium Richtung Westen fließen. Dafür kassiert sie eine Milliardensumme vom staatlichen russischen Gasversorger Gazprom.

Im Westen der Ukraine laufen drei große Trassen für russisches Gas zusammen: Aus dem Norden Sibiriens, vom Gasfeld Urengoi, kommt die Trasse „Bruderschaft“ (Bratstvo). Ebenfalls aus dem sibirischen Norden, von der Jamal-Halbinsel, kommt ein Abzweig der Trasse Yamal-Europa (Yamal) über Belarus. Die dritte Trasse „Einheit“ (Soyuz), kommt aus dem südlichen, zentralasiatischen Teil Russlands bei Orenburg nahe der Grenze zu Kasachstan. Die drei Tassen treffen in einer sogenannten „Verdichterstation“ zusammen und laufen durch die „Transgas“-Leitung, die südlich von Uschhorod die ukrainisch- slowakische Grenze quert.

Ukraine leitet unverdrossen russisches Gas nach Europa

Andreas Schroeder, Leiter der Energieanalyse beim Energiemarktforscher Icis beobachtet die Liefermengen russischen Gases durch die Ukraine kubikmetergenau. Er stellt fest, dass die Ukraine seit Ausbruch des Krieges eher mehr als weniger russisches Gas durch ihre Pipelines fließen ließ – was daran liegen könnte, dass die Durchleitung von Gas finanziell für die Ukraine durchaus attraktiv ist. Bezahlt, so erklärt Schroeder, dessen globales Analysehaus auch in Osteuropa Experten stationiert hat, wird vom staatlichen russischen Energielieferanten Gazprom an die Ukraine pro Kubikmeter durchgeleitetes Gas und pro Kilometer Leitung, die benutzt wird. Bei knapp 110 Millionen Kubikmetern Gas, die täglich durch die ukrainischen Leitungen fließen, und einer Durchleitungslänge von etwa 1000 Kilometern kommt Schroeder beim derzeitigen Durchleitungspreis von 2,66 Dollar pro 1000 Kubikmeter auf knapp eine Milliarde Dollar, die die Ukraine jährlich an Durchleitungsgebühr von Russland erhält.

Würde die Regierung des ukrainischen Ministerpräsidenten Wolodymyr Selensky die Gasleitung unterbrechen, wäre diese sprudelnde Geldquelle schlagartig versiegt, und Selensky würde sowohl gegenüber dem Westen, wie auch gegenüber der staatlichen russischen Gazprom vertragsbrüchig – weswegen in der Ukraine das Thema derzeit lieber nicht auf die Tagesordnung kommt. Auch schießen beide Seiten, die ansonsten zielgenau rollende Panzer und Nebengebäude von Atomanlagen treffen können, an der Gaspipeline bislang vorbei – womit die Debatte über möglichst konsequente Sanktionen nicht einer gewissen Scheinheiligkeit entbehrt.
 

Oliver Stock

28.04.2022 | 11:40

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