Michael Wurmser, Firmenchef von Norge Mining, auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel 2022 am Tegernsee. (Foto: WMG)



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„Wir sind nicht länger von China abhängig“

Norge Mining sucht nach seltenen Rohstoffe in Europa und fördert sie. Vor allem in Norwegen ist das Unternehmen aktiv. Firmenchef Michael Wurmser erklärt den neuen nachhaltigen Förderansatz.

Michael Wurmser ist einer der Gründer von Norge Mining. Der Name des norwegisch-britischen Unternehmens könnte künftig häufiger fallen, denn es hat das weltweit größte Vorkommen an Phosphat-Erzgestein im Südwesten Norwegens entdeckt. Vor allem Batterien und Speicherkapazitäten für die Mobilitäts- und Energiewende sowie Düngemittel lassen sich damit herstellen. Hat Europa damit die Chance, unabhängig von chinesischen, russischen oder afrikanischen Lieferanten zu werden?

Herr Wurmser, erst hat uns die Pandemie im Griff, nun der schreckliche Krieg in der Ukraine, ein teurer Superzyklus bei Rohstoffen und immer löchriger werdende Lieferketten – also wie geht es da einem Rohstoffunternehmer, wie Sie es sind?

Schockiert und betrübt durch die traurigen Umstände mitten in Europa, aber dennoch zuversichtlich, denn die von Bundeskanzler Olaf Scholz propagierte Zeitenwende angesichts des schrecklichen Krieges in der Ukraine unterstreicht, dass es für unsere Politik und Wirtschaft kein Weiter so geben kann und es nun um die Freiheit und Souveränität Europas geht. Und hier beginnt auf einmal auch der Bergbau in Europa wieder eine strategisch fundamentale Rolle zu spielen, um sich von fragwürdigen und politisch problematischen Energieund Rohstofflieferanten unabhängig zu machen.

Welcher Sinneswandel hat dazu geführt?

Zuletzt die Corona-Pandemie, welche zu massiven Lieferkettenunterbrechungen geführt hat und jetzt der furchtbare Krieg in der Ukraine, welcher uns schonungslos aufzeigt, auf welchen tönernen Füßen unsere Wirtschaft steht, die dringend auf Rohstoffe aller Art angewiesen ist, vor allem bei kritischen Rohstoffen. Der Bumerang der jahrzehntelangen Optimierung und Kosteneffizienz kommt jetzt schmerzhaft zurück. Wenn ich wie die EU heute 65 Prozent meiner Rohstoffe aus Ländern wie China oder Russland importieren muss, habe ich jetzt ein großes Problem – wirtschaftlich, strategisch und politisch. Der Handelskonflikt, welcher schon seit längerer Zeit zwischen den USA und China immer weiter hochkocht, erscheint durch die neuen Umstände eines Krieges mitten in Europa nur noch als Nebenschauplatz. Und wir haben durch diesen Krieg in der Ukraine noch ein anderes Problem bekommen ...

Welches?

Der plötzliche Wegfall des weltgrößten Weizenexportpaares Ukraine/Russland wird sich massiv auf die Welternährung auswirken. Beide Länder stellen einen Anteil von mehr als 30 Prozent bei der Grundversorgung von Nahrungsmitteln. Der Ausfall dieser Hauptlieferanten für Getreide, Weizen und Mais droht Unruhen in einigen Teilen der Welt auszulösen. Dem arabischen Frühling und insbesondere der ägyptischen Revolution im Jahr 2011 ging eine große Dürre in Eurasien und ein entsprechender Anstieg der Brotpreise voraus. Wenn man bedenkt, dass Russland und die Ukraine in den kommenden Jahren von den Lieferantenlisten für alle Rohstoffe und Waren gestrichen werden, wird all dies einen großen Einfluss auf die Nachfrage nach Düngemitteln und damit auch auf die Nachfrage nach Phosphat haben, um anderswo die Ernteerträge zu steigern.

Was hat das mit Norge Mining zu tun?

Wir erleben gerade, dass eine ganze Reihe zentraler Rohstoffe wie Phosphat, Titan und Vanadium knapp werden, die wir hier dringend benötigen, sei es durch die hohe Nachfrage sowie die aktuelle geopolitische Großwetterlage, etwa kriegsbedingt durch den Ausfall Russlands als Rohstofflieferant oder die künstliche Verknappung des Rohstoffexports durch China. Und hier können wir mit unseren großen als kritische Rohstoffe bezeichneten Vorkommen einspringen, sei es, um die Stahlindustrie mit dringend benötigten Rohstoffen zu beliefern, die Energie- und Mobilitätswende voranzutreiben oder die Welternährung mit abzusichern.

Was haben Sie in Norwegen konkret bei Ihren Bohrungen entdeckt?

Wir haben sogenannte „kritische Rohstoffe“ entdeckt. Diese Bezeichnung ist eigentlich eine Klassifizierung der EU. Sie meint damit solche Rohstoffe, die eine starke wirtschaftliche und strategische Bedeutung für die europäische Wirtschaft und ihre Industrien haben, dabei allerdings mit einem hohen Versorgungsrisiko verbunden sind. Diese Materialien sind nicht nur kritisch für wichtige Industriesektoren und zukünftige technische Anwendungen, sondern auch für das nachhaltige Funktionieren der europäischen Wirtschaft insgesamt. Wir können vor Ort in Südnorwegen mindestens die nächsten 75 Jahre kritische Rohstoffe fördern, ohne dass sie zur Neige gehen. Europa und der Westen können sich durch diese Ressourcen in Norwegen zumindest von drei Rohstoffen die komplette Unabhängigkeit sichern und sind nicht länger von Drittstaaten wie zum Beispiel von Russland, Marokko, Kasachstan, aber insbesondere von China abhängig. Rohstoffunabhängigkeit oder wie man sagt „onshoring“ von Rohstoffen reduziert die Gefahr von Lieferkettenunterbrechungen, bedeutet aber auch unabhängig zu sein von politischen Repressalien.

Wofür werden diese kritischen Rohstoffe aus Ihrem Vorkommen verwendet?

Es geht um Phosphat, Titan und Vanadium. Phosphat ist zum einen ein Grundbestandteil der Düngemittelbranche und somit Teil der Ernährungssicherheit- und Versorgung der Weltbevölkerung. Phosphat ist nicht substituierbar und die weltweiten Vorkommen sind begrenzt. Man
braucht es aber auch, um stickstoffbasierte Düngemittel abzulösen, die ansonsten Stickoxide abgeben und den Klimawandel beschleunigen. Vanadium gewinnt als Rohstoff für Stromspeicher erneuerbar produzierter Energieformen enorme Bedeutung. Es kann die herkömmlichen Lithium-Ionen-Nickel-Batterien ablösen, die giftige Schwermetalle enthalten und schwer zu recyclen sind. Sie sind bislang Teil einer Kette von verantwortungslosem Konsum. Natürliche Phosphatdünger und langlebige Vanadium-Batterien tragen zu einem erheblichen Teil zur Lösung dieses globalen Problems bei. Auf internationaler Ebene werden Vanadium-Redox-Flow-Batterien die Antwort auf die Speicherung riesiger Mengen an erneuerbarer Energie sein, um die schädliche Kohlenstoffabhängigkeit hinter uns zu lassen. Phosphat ist aber auch Bestandteil der neuen Lithium-Eisen-Phosphat-Batterie (LFP Batterie), welche bereits bei Tesla, Volkswagen und anderen Autobauern eingebaut werden. Titan ist sehr fest und leicht. In der Luft- und Raumfahrtindustrie sowie in der Rüstungsindustrie ist es nicht mehr wegzudenken. Die meisten dieser Rohstoffe kommen bisher aus Russland, China oder Nordafrika. Wie wackelig die Versorgung ist, erleben wir derzeit. Der größte Titanproduzent ist Russland mit 40 Prozent Weltmarktanteil. Das US-amerikanische Unternehmen Boeing hat zum Beispiel nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine seine Titankäufe beim russischen Lieferanten VSMPO-Avisma komplett aufgekündigt und steht nun vor einem Problem. Deswegen sind das eben kritische Rohstoffe. Diese liegen bei uns übrigens schon in geringer Tiefe vor.

... und hinterlassen beim Abbau eine mit Chemikalien verseuchte Kraterlandschaft, die unbewohnbar ist, mitten in den Naturschutzgebieten von Norwegen.

Auf gar keinen Fall. Wir nutzen ausschließlich erneuerbare Energien aus Wasser- und Windkraft für die Stromversorgung unseres Unternehmens. Zudem können diese Mineralien ohne chemische Zusatzstoffe komplett aus dem Erzgestein gewonnen und voneinander getrennt werden. Nach der Rohstoffförderung planen wir eine Renaturierung des jeweiligen Abbaugebietes, überschüssiger Abraum wird unter anderem an die Niederlande, Dänemark oder Schottland für die Aufschüttung ihrer vom steigenden Meeresspiegel bedrohten Küsten verkauft werden. Bei allem, was wir tun, steht Nachhaltigkeit im Mittelpunkt. Es wäre ja völlig irrsinnig, Rohstoffe zu fördern, die uns helfen sollen, den Klimawandel zu bekämpfen, um dann beim Abbau das Gegenteil zu machen. Ein unter allen Gesichtspunkten schonender und umweltfreundlicher Abbau ist die unbedingte Voraussetzung für uns. Wir respektieren und verschonen alle Schutzgebiete und stehen in enger Verbindung mit den lokalen Umweltschutzgruppen. Es ist genug Platz vorhanden und gibt überhaupt keinen Grund nur daran zu denken, in die Nähe dieser Schutzgebiete zu kommen oder diese unnötig zu zerstören.

Das sehen meistens nicht alle so. Was passiert mit den Menschen, die dort leben?

Wir treffen uns regelmäßig mit den Bewohnern in den Gemeinden innerhalb unseres ohnehin wenig besiedelten Lizenzgebietes. Wir stehen in engem Kontakt mit den Gemeinderäten, und mit den örtlichen Zulieferern, Grundbesitzern und dort lebenden Bauern. Diese Politik der offenen Tür für alle Anspruchsgruppen werden wir auch in Zukunft beibehalten, sowohl bei neuen Entwicklungen als auch bei weiteren Zielsetzungen unserer Projekte. Für Landbesitzer, auf deren Gebiet wir fördern, müssen wir 2,5 Prozent unseres Umsatzes als Ausgleich zurückstellen, was übrigens auch im Mineralgesetz Norwegens geregelt und vorgegeben ist. Das dürfte ein gutes Geschäft für alle sein.

Apropos, wer sind Ihre Investoren?

Wir sind vollständig privat finanziert, schuldenfrei und daher komplett unabhängig. Als norwegisch-britisches Unternehmen mit mehrheitlich Schweizer Aktionären sitzen zurzeit ausschließlich europäische Investoren aus Deutschland, Österreich, Norwegen und Großbritannien im Aktionariat unseres Unternehmens.

Auch in China?

Wir sind klar auf Europa und den Westen ausgerichtet. Lokale, als auch nationale Behörden in Norwegen, als auch die EU-Kommission stärken uns den Rücken, stehen hinter uns und sichern uns volle Unterstützung auf allen Ebenen zu. Die Kommunikation mit der EU-Kommission hat sich seit dem Angriff der Russen auf die Ukraine intensiviert und beschleunigt. Europa will jetzt die Unabhängigkeit von diesen Rohstoffen, lieber früher als später. Norwegen ging diesbezüglich bereits in Vorleistung und hat den geplanten Bau einer Autobahn von Dänemark nach Norwegen – ein Infrastrukturprojekt und eine Kooperation zwischen Norwegen und der EU – in dem Teilstück, welches durch unsere Zone läuft, geographisch soweit verschoben, dass die Trasse nicht mehr über unser Gebiet läuft. Aber selbstverständlich, wir werden auch regelmäßig aus China kontaktiert.

Ihre Vision – wann geht es wirklich los mit der Förderung?

Der Ukraine-Krieg hat alles verändert. Vor dem Krieg gingen wir davon aus, dass es bis zur Förderung noch vier, fünf Jahre dauern kann. Allerdings geht es der EU nun unter der Last der Industrien und Wirtschaft, die nun mächtig Druck aufbauen, plötzlich nicht mehr schnell genug. Daher denke ich, dass sich dieser Zeitraum reduzieren wird. In den vergangenen drei Wochen sind die Ukraine und Russland als Hauptlieferanten für Getreide, für Phosphat (Phosagro), Titanium, Vanadium und weiterer Rohstoffe praktisch über Nacht weggebrochen. Und dies ist leider auch kein vorübergehender Zustand. Es handelt sich hier um eine Zeitenwende langfristiger Natur. Der Wegfall von Hauptlieferanten wichtiger, kritischer Rohstoffe wird für die nächsten fünf bis zehn Jahre die Industrien prägen und diese zwingen sich anderweitig zu orientieren. Viele Karten werden neu gemischt. Der grüne Wandel wird sich nun noch mehr beschleunigen. Man will weg von der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, weg von einer Gasabhängigkeit. Wir werden auf jeden Fall rechtzeitig zum großen Batterieboom auf dem Markt sein und setzen ganz am Anfang der Wertschöpfungskette an, um Europa unabhängig, souveräner, nachhaltiger und letztlich klimaneutral zu machen. Die hiesigen Industrien, allen voran die hiesige Autoindustrie, werden nicht darum herumkommen, sich mit Rohstofflieferanten wie unserem Unternehmen zu verbinden. Think vertical!

Das Gespräch führte Oliver Stock.

27.04.2022 | 17:08

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