"Wir werden die digitale Souveränität in Deutschland verlieren“
Liegt die Zukunft der deutschen Wirtschaft in Cloud, Metaverse und ChatGPT? Nur, wenn Politik und Wirtschat mehr Progressivität wagen, sind sich die Experten auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel einig.
Von Oliver Götz
Der Erfolg des Chatprogramms ChatGPT macht künstliche Intelligenz (KI) allgegenwärtig. Es ist die erste große Anwendung zu diesem Mega-Thema, die jeder nutzen kann und die zeigt, wie revolutionär diese Technologie werden kann. Wenn sie es nicht bereits ist. Schließlich schafft es ChatGPT schon in der kostenlosen Variante täuschend echte Interviews zu erstellen oder Einleitungen für Doktorarbeiten zu schreiben – und sie ist sehr einfach zu bedienen.
Das sorgt einerseits für Zukunftslust und Innovationsbegeisterung, aber auch für Sorgen um Arbeitsplätze und radikale Veränderungen in der Art, wie wir leben und arbeiten. „ChatGPT wird die Welt verändern“, sagt Angelika Gifford, Europa-Chefin bei Meta (Facebook, Instagramm, Whatsapp) auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee. „Aber bitte deswegen keine Hysterie.“
Die viel größeren Herausforderungen als in den technologischen Umwälzungen liegen nach Ansicht der Experten auf dem Podium, darunter neben Gifford die bayerische Digitalministerin Judith Gerlach (CSU), AOK-Plus-Vorstandsmitglied Stefan Knupfer und Hagen Rickman, Geschäftsführer Geschäftskunden Telekom Deutschland, im internationalen Wettbewerb.
Künstliche Intelligenz als Digital-Turbo
„Wer zuerst den Markt mit den richtigen Anwendungsmöglichkeiten im Bereich KI besetzt, der wird den Markt dominieren“, prophezeit Rickman. Im schlechtesten Fall „werden wir in Deutschland die digitale Souveränität verlieren“. KI werde ein Digital-Turbo, erklärt Rickman. „Das Thema wird eine Geschwindigkeit aufnehmen, die wir so noch nicht gesehen haben.“
Das sieht auch das Publikum auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel so. Auf die Frage, welche Rolle KI in den nächsten drei Jahren spielt, antwortete die große Mehrheit (75 Prozent) mit: „KI wird die digitale Arbeitswelt grundlegend revolutionieren. AOK-Vorstand Knupfer bringt es für seine Branche so auf den Punkt: „Im Gesundheitswesen bleibt kein Stein auf dem anderen, kein Job wird so bleiben wie er ist bei den Krankenkassen.“
Meta-Managerin: „Es ist fünf vor zwölf“
Voraussetzung dafür ist, dass die Politik die Rahmenbedingungen dafür schafft. Doch hier hapert es noch. „Wir haben eine absolute Überbürokratisierung, 60 Prozent der Unternehmen im Land fühlen sich einer IHK-Studie nach in ihrer Innovationsfähigkeit durch Überregulierung gehemmt“, sagt Meta-Europa-Chefin Gifford. „Es ist fünf vor zwölf, wir müssen aggressiver und progressiver werden.“
Das sieht auch Bayerns Digitalministerin Gerlach so. „Wir haben wahnsinniges Potenzial im Land, schöpfen das aber nicht aus.“ Sie wolle „ausschalten, aussteigen und verbieten“ nicht mehr hören. Im Bereich der Digitalisierung bedeute das unter anderem, dass es mehr Offenheit brauche, was die Daten und Datennutzung anbelange.
Raus aus dem Jammertal
Gerlach wünscht sich aber auch, „dass wir aus dem Jammertal herauskommen“. München sei beispielsweise ein internationaler Technologiestandort mit Top-Universitäten und Top-Fachkräften. Inzwischen habe man Berlin bei den Neugründungen überholt. München, behauptet die Staatsministerin, sei inzwischen „die digitale Rakete von Deutschland“. Das liege auch daran, weil Milliarden in die nötigen Strukturen investiert würden.
Gerlach muss die Münchener Erfolge als Digitalministerin des Freistaats loben. Fakt ist: ohne diese Investitionen und eine gewisse Lust auf das Morgen wird es nicht gehen, wenn Deutschland digital souverän bleiben möchte.
03.05.2023 | 13:51