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Ihr Kinderlein kommet

Wohin mit dem Kind im Home-Office? Kluge Firmen finden neue Wege für ihre Mitarbeiter - oder machen daraus ein Business.

Deutschland morgens um zehn: Sie telefoniert am Esstisch, er zoomt in der Küche. Die schulpflichtigen Kinder mäandern zwischen den müden Eltern hin und her, ein iPad unterm Arm und viele Fragen im Gesicht. Wenn’s gut läuft. 

Wenn’s schlecht läuft, kann sich niemand auf nichts konzentrieren und die schlechte Luft ließe sich schneiden. Wo ist Mary Poppins, wenn man sie braucht? Niemand schwebt mit aufgespanntem Regenschirm vom Himmel und schenkt den Eltern Frieden im Haus. Und wenn es nur virtuell wäre.

Oder einen Service, der von Corona abgekämpften Eltern per Telefonanruf pädagogische Hilfe vorbeischickt. Jemand Geschultes, der Trotzköpfchen beruhigen, kleine Fußballer draußen austoben lassen oder Nachhilfe in Mathe geben könnte. 

„Die Nachfrage danach steigt permanent an“, berichtet Daniel Erler, Sprecher des pme Familienservice Gruppe. Das Berliner Unternehmen unterstützt im Auftrag von 900 Firmenkunden deren Mitarbeiter bei unterschiedlichsten familiären Problemen. An 70 Orten, mit 1900 Mitarbeitern - Kinderbetreuung ist selbst Big Business.

Schon vor Corona waren solche Dienstleistungen im Auftrag von Eltern oder Arbeitgebern höchst begehrt. Aber jetzt, in der Corona-Pandemie, geht um den Plan B, das Kinderbetreuungs-Back Up. Denn wenn deutschlandweit alle Kindergärten und Schulen schließen müssen, nützt auch der Betriebskindergarten nicht. „Wir hatten schon im vergangenen Jahr solche 14 000 Betreuungstage“, sagt Erler. 

Not macht erfinderisch. Warum Zoom und Co nur für die Eltern nutzen? Inzwischen bietet nicht nur der pme Familienservice eine ‚virtuelle Back-up Kinderbetreuung“ an. Ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin betreut je ein Kind. Sie  basteln mit ihnen, lesen vor und spielen -  so remote wie ihre Eltern parallel dazu an anderer Stelle der Wohnung arbeiten. Flexibel buchbar, mehrere Stunden täglich und individuell aufs jedes Kind abgestimmt. Klingt nach Mary Poppins und im Himmel ist Jahrmarkt. 

Personal gesucht

Doch ausgerechnet jetzt im Boom gehen der Branche endgültig die Betreuer aus. „Wir suchen beständig pädagogisches Personal, denn dieser Engpass wird nicht abnehmen“, schwant es Erler. 

Eine Misere, denn womöglich waren Eltern nie bereiter, für gute Kinderbetreuung tief in die Tasche zu greifen, um zumindest einige Stunden am Stück konzentriert arbeiten zu können

Schon im April 2020, nach den ersten Wochen des Lockdowns, betreuten 90 Prozent der Eltern ihre Kinder ohne weitere Unterstützung zu Hause. Zu Beginn der Corona-Krise, im März 2020, waren allein 830 000 unter Dreijährige zu betreuen, weil sie nicht mehr zu ihrer Marienkäfergruppe in die Kita durften. Das sind rund ein Drittel aller Kinder dieser Altersgruppe. 

Im August, nicht einmal zur Halbzeit der Pandemie, beklagten in der „Mannheimer Corona-Studie“ 44 Prozent der Männer und 49 Prozent der Frauen eine stark gestiegene Belastung. 

Deshalb sind kluge Arbeitgeber bereit, stärker als bisher in die Kinder ihrer Mitarbeiter zu investieren. „Durch die Corona-Krise haben Unternehmen die immense betriebswirtschaftliche Bedeutung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erfahren. 82 Prozent der Unternehmen sagen, dass Kinderbetreuung ein zentraler Faktor für die Produktivität ihres Unternehmens ist“, fasst Projektleiter David Juncke eine aktuelle Prognos-Studie zusammen. Zwei Drittel der befragten Unternehmen hätten mit ihren Mitarbeitern Lösungen zur Kinderbetreuung gesucht. Wobei galt: je größer das Unternehmen, desto größer die Bereitschaft. 

Michael Rödl, Personalchef der Steuerprüfungs- und Beratungsgesellschaft Rödl & Partner aus Nürnberg, kennt die Kinderfrage aus zwei Perspektiven. „Wir selbst haben schon 2005 einen eigenen Betriebskindergarten im Haus gegründet. Auch für ganz Kleine und mit Öffnungszeiten von 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr.“ Und die Steuerberater beraten Mandanten, die sich fragen, wie sich solche Angebote für sie als Arbeitgeber rechnen könnten. Rödl sagt: „Ich rate ihnen zu. Denn diese passgenauen Angebote sind ein Trumpf als Arbeitgeber. Nicht nur, weil sie ihre Mitarbeiter unterstützen. Sondern auch, weil sie so auch glaubwürdig Chancengerechtigkeit für Männer und Frauen, Väter und Mütter herstellen“.

Aber während der Corona-Pandemie samt Home-Schooling reicht auch die kleine Kita im Haus der Nürnberger nicht mehr zur Unterstützung der vielen Kollegen. Rödl nimmt es praktisch: „Für die Jüngeren haben wir eine Notbetreuung für acht bis neun Kinder organisiert und für das Home-Schooling den Eltern die nötige Hardware zur Verfügung gestellt. Das ließ sich im Lockdown kurzfristig umsetzen“.

Die Kinderfrage beschränkt sich bei den Nürnbergern nicht auf Deutschland. Das Unternehmen beschäftigt 5100 Mitarbeitern an 109 Standorten weltweit, vereint im Kampf gegen die Auswirkungen von Covid-19. 

Das innovative Arbeitgeber selbst von ihrer familiären Rückendeckung profitieren, liegt auf der Hand. In solchen Firmen fehlen Eltern seltener,  Kosten für Ersatz-Kollegen und deren Einarbeitung entfallen. 

Wer seine Kinder in guten Händen weiß, arbeitet dank weniger Stress produktiver. Hierhin kehren Mütter und Väter eher und motivierter aus der Elternzeit zurück.

Ist ihr Chef klug, bekommt er auch noch Geld dafür.

Neue Fördermittel 

Denn das Bundesfamilienministerium legte im September 2020 den Fördertopf "Betriebliche Kinderbetreuung“ nach drei Jahren neu auf. Den können vor allem kleine und mittlere Unternehmen als Anschubfinanzierung anzapfen. Sie können damit neue Plätze in der betrieblichen Kindertagesbetreuung, der Kindertagespflege, in einer Elterninitiative, über den Einsatz eines Familiendienstleisters oder Notfall- und Ferienbetreuung finanzieren. Bis Ende 2022 werden die Träger des Betreuungsangebots gefördert.

Der Nachfrageschub ist Anbietern wie den pme Familienservice wohl sicher.

So sie selbst genug Mitarbeiter mit und ohne Kinder finden.

Anke Henrich  

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06.04.2021 | 10:12

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