Oliver Knapp sieht sechs Megatrends für die Fertigung der nächsten Generation (Foto: Roland Berger).



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„Behaltet eure Produktion“

Oliver Knapp ist Partner bei Roland Berger. Er hält nichts davon, das Herzstück eines Betriebs abzugeben.
 

Zählte die Fertigung lange zum Herzstück der Wertschöpfung, mehrt sich nun die Zahl der Unternehmen, die damit hadert. Einer Roland-Berger-Studie zufolge denkt inzwischen jede zweite Führungskraft darüber nach, die eigene Produktion aufzugeben. Doch das könnte ein großer Fehler sein. Denn sechs Megatrends bieten die Chance, die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Produktion auf ein neues Niveau zu heben und damit sogar jene des ganzen Unternehmens zu erhöhen. Unternehmen sollten sich jetzt darauf vorbereiten.

Viele Unternehmen haben ihre Produktion bereits lange vor der Pandemie „schlank“ gestaltet: Fertigungsschritte wurden weitestgehend automatisiert, die Produktion in immer kostengünstigere Länder verlegt. CO2-Ausstoß, Logistikkosten oder geopolitische Risiken spielten in der Planung meist nur eine untergeordnete Rolle. Doch Pandemie und Ukrainekrieg haben die vermeintlich perfekte Globalisierung und internationale Lieferketten ins Wanken gebracht. Die Unternehmen stehen vor wichtigen Grundsatzentscheidungen zur Neu­aus­richtung ihrer Produktion, ja sogar des gesamten Unternehmens.
 
Sechs Megatrends für die Fertigung der nächsten Generation

Dabei lohnt es sich für die Verantwortlichen, den Fokus vom Tagesgeschäft auf die größeren Verschiebungen im Umfeld zu lenken. Sechs Megatrends sorgen nicht nur für neue Herausforderungen, sondern bieten zukunftsorientierten Akteuren auch die Chance, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens nachhaltig zu verbessern. Unternehmen, die diese Trends in ihrer Produktion umsetzen, können ihre Fertigung wieder in einen echten Wertschöpfungsfaktor umwandeln.

Trend 1: Nachhaltigkeit

Ein entscheidender Trend, der auf die künftige Produktion einwirkt, ist, Nachhaltigkeit als strategischen Faktor anzusehen. Das beinhaltet die klassischen Environment-, Social- und Governance-Vorgaben (ESG). Die Einhaltung von ESG-Grundsätzen wird von Verbrauchern, Investoren und Regierungen gleichermaßen eingefordert. Unternehmen können die Auswirkungen ihrer Produktion auf die Umwelt bspw. dadurch verringern, dass sie auf erneuerbaren Strom umsteigen, CO2-neutrale Prozesse einführen und die Produktion auf die lokale Ebene verlagern.

Trend 2: Lokalisierung

Heute gilt: ‚location matters‘. In der Vergangenheit spielte der Standort – außer was das Lohnniveau anging – meist keine allzu große Rolle. Das hat sich mittlerweile geändert: Zugriff auf grüne Energie, Arbeitsschutz, Kundenpräferenzen, Zugang zu bestimmten Fähigkeiten am Arbeitsmarkt, das Einhalten von Menschenrechten, etc. – die Anzahl der Kriterien, die über die Wahl eines Produktionsstandorts entscheiden, hat zugenommen. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, braucht eine langfristige Perspektive, die den besten Kompromiss zwischen Flexibilität und Ressourcenverfügbarkeit auf der einen und kurzfristigen Kosteneinsparungen auf der anderen Seite bietet.

Trend 3: Populismus

Das politische Umfeld verschärft sich in vielen Ländern und stellt Risiken für verarbeitende Unternehmen dar. Ob „America First“ oder „China First“, die Einflüsse auf Unternehmen und insbesondere deren Produktions-Footprint sind immens.

Trend 4: Disruption

Der technologische Fortschritt in der Fertigungsindustrie bringt weitreichende Umwälzungen mit sich. Ständige Innovationen haben dazu geführt, dass sich Hersteller nur schwer anpassen können. In dieser Situation können Unternehmen auf Disruptionen nur mit der Umgestaltung ihrer Geschäftsmodelle reagieren. Hierbei spielen auch neue Partnerschaften und Kooperationen eine wichtige Rolle. Auf die Produktion kommen durch neue Prozesse oder Technologien neue Herausforderungen zu.

Trend 5: Individualisierte Produkte

Während Hersteller früher aus Kostengründen auf Massenproduktion setzten, müssen sie heute in vielen Industrien die wachsende Nachfrage nach maßgeschneiderten Produkten befriedigen. Diese auf den ersten Blick scheinbar unüberwindbare Herausforderung können sie zum Anlass nehmen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und die Wertschöpfung für ihre Kunden neu zu denken. Dies hat Auswirkungen auf die Produktion – etwa durch die Notwendigkeit von flexibleren Fertigungssystemen oder den Einsatz ganz neuer Technologien wie bspw. Additive Manufacturing.

Trend 6: Digitalisierung

Der prägendste Trend ist nach wie vor die Digitalisierung. Auch in der Produktion ist die vollständige Digitalisierung längst keine Utopie mehr. Unternehmen sollten sich die Vorteile von künstlicher Intelligenz etc. zunutze machen. Allerdings dürfen sie dabei nicht vergessen, ihre Maßnahmen zur Cybersicherheit zu verstärken und sich gegen Hackerangriffe aus Ländern außerhalb ihres Einflussbereichs zu schützen.

Handeln statt hadern

Die Umstellung auf die Fertigung der nächsten Generation wird nicht über Nacht gelingen. Unternehmen, die sich darauf einlassen, können sich jedoch anhand einer breiteren Palette von Kriterien differenzieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit dadurch steigern. Jetzt gilt es, entschlossen zu handeln und die eigene Strategie entsprechend anzupassen.
 

Oliver Knapp

11.07.2022 | 14:00

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