Matthias Weber, CFO Sandoz Deutschland: Ein fairer Preis für technisch anspruchsvolle Biosimilars entlastet das Gesundheitswesen (Foto: Sandoz Deutschland).



Karrierealle Jobs


Die Kostenschraube wurde überdreht

„Die Arzneimittel-Versorgung muss wieder sicherer werden“, meint Matthias Weber. Der CFO von Sandoz Deutschland bezeichnet die aktuelle Medikamenten-Versorgung als Kraftanstrengung.

Das Virus hat einen langen Atem. „Covid-19“ steht weiter auf der Agenda ganz oben. Wer allerdings zu Beginn der Pandemie prognostiziert hätte, nach gut einem Jahr werden Impfstoffe bereitstehen, der wäre als unverbesserlicher Optimist, als Fantast, vielleicht sogar als Träumer abgestempelt worden. Dass es gelungen ist, kann die pharmazeutische Industrie stolz auf ihrer Haben-Seite verbuchen.

Quasi im Windschatten dieses Erfolgs haben Pharma-Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren eine Leistung erbracht, von der allgemein wenig Notiz genommen wird: Es gab keinen Engpass an Arzneimitteln. Die Versorgung der Bevölkerung mit der gewohnt breiten Palette an Medikamenten war gesichert. Klingt selbstverständlich, bedurfte – und bedarf – aber einer gewaltigen Kraftanstrengung.

Wir erleben seit Monaten auf vielen Gebieten, wie fragil Lieferketten in Krisenzeiten sind. Kunden und Verbraucher staunen und stöhnen über lange Wartezeiten und steigende Preise. Im Arzneimittelmarkt sind Lieferketten nicht weniger anfällig als anderswo. Und das nicht erst seit Ausbruch der Pandemie. Die Abhängigkeit der Pharma-Produktion von Asien ist groß.

Das hat nicht zuletzt mit gesundheitspolitischen Entscheidungen zu tun und mit den Konsequenzen, die Unternehmen aus betriebswirtschaftlichen Gründen daraus gezogen haben, ja ziehen mussten. Die Klage über angeblich zu hohe Arzneimittelpreise gehört zum festen Repertoire der Gesundheitspolitik. Deshalb werden Herstellerrabatte und Preismoratorien gesetzlich verankert und je nach Kassenlage angepasst, will heißen: erhöht und verlängert.

Generika sind 
keine Nachahmer

Besonders brisant ist die Situation im Markt der patentfreien Arzneimittel, dort, wo es ohnehin eine Konkurrenzsituation, also Wettbewerb, gibt. Hier heizt ein kumulierter Kostendruck aus Abschlägen, Festbeträgen und Rabattverträgen den Preiskampf so an, dass die Versorgung mittlerweile gefährdet ist. Allein der niedrigste Preis zählt. Die Konsequenz: Abwanderung der Entwicklung und Produktion, Marktverengung auf der Hersteller- und Lieferantenseite.

Werfen wir einen genaueren Blick auf den Arzneimittelmarkt in Deutschland, um zu sehen, wer eigentlich die Versorgung der Patientinnen und Patienten schultert. Vier Fünftel, also 80 Prozent, aller Arzneimittel, die in Deutschland zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verschrieben, abgegeben und abgerechnet werden, sind Generika. Wer diese Produktgruppe noch immer mit einer gewissen Geringschätzung als „Nachahmer“ abtut, sollte wissen: Von den 71 Medikamenten, die ein Corona-Intensivpatient einnehmen muss, sind 69 Generika. Die Sandoz-Gruppe mit den Marken Hexal und 1 A Pharma ist führend unter den Generika-Anbietern in Deutschland. Als Beleg dafür nur eine Zahl: Jahr für Jahr werden rund 200 Millionen Arzneimittel-Packungen von Hexal und 1 A Pharma in Apotheken und Kliniken ausgeliefert.

Generika bilden schon lange das Rückgrat der Arzneimittelversorgung. Aber noch nie wurde hierzulande so wenig Geld dafür ausgegeben. Gerade einmal 8,4 Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben wenden die gesetzlichen Krankenkassen für 80 Prozent der Arzneimittel, also die Generika, auf. Für eine Tagesdosis ihrer Präparate erhalten die Hersteller im Schnitt noch 6 Cent.

Der Grenznutzen ist längst erreicht. Die Kostenschraube wurde überdreht. Das hat die EU-Kommission schon vor der Pandemie gesehen und versucht gegenzusteuern: Entwicklung und Produktion zurück in die EU. Die „Ampelkoalition“ bläst nun ins gleiche Horn: „Die Engpässe in der Versorgung bekämpfen wir entschieden. Wir ergreifen Maßnahmen, um die Herstellung von Arzneimitteln inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland oder in die EU zurückzuverlagern. Dazu gehören der Abbau von Bürokratie, die Prüfung von Investitionsbezuschussungen für Produktionsstätten, sowie die Prüfung von Zuschüssen zur Gewährung der Versorgungssicherheit“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Bürokratieabbau ist gut, und Investitionskostenzuschüsse können sinnvoll sein. Beispiel Österreich: Sandoz produziert in Kundl Antibiotika – und zwar vom Wirkstoff bis zum Fertigprodukt. Der Tiroler Standort ist die einzige „vollständige“ Antibiotika-Produktion der westlichen Welt. Damit das so bleibt, investiert Sandoz kräftig in den Standort – und die Regierung in Wien schießt Mittel zu.

Der direkteste Weg, die Situation in Deutschland zu verbessern, wäre der: Bei den Rabattverträgen der Krankenkassen zählt nur der Preis – der Billigste gewinnt, kriegt den Zuschlag, häufig exklusiv. Politischer Wille vorausgesetzt, wäre das leicht zu ändern: Den Kassen wird eine Mehrfachvergabe vorgeschrieben und mindestens eines der Unternehmen muss in der EU entwickeln und produzieren.

Und der Gesetzgeber sollte Fehlentwicklungen verhindern, indem er sich selbst korrigiert. Dabei geht es um die Biosimilars, die Nachfolgepräparate biotechnologisch hergestellter Arzneimittel. Die schaffen die Quadratur des Kreises: Immer mehr Schwerkranke erhalten hochwirksame biologische Arzneimittel, gleichzeitig sinken die Ausgaben der Kassen für diese Produktgruppe. Um eine Zahl zu nennen: Allein im ersten Halbjahr 2021 haben Biosimilars dazu beigetragen, 704 Millionen Euro einzusparen. Bemerkenswert ist dabei unter anderem, dass knapp 60 Prozent der in Deutschland zugelassenen Biosimilars in Europa entwickelt und produziert werden. Sandoz, weltweit führend bei Biosimilars, hat Standorte in Deutschland, Österreich und Slowenien.

Anstatt sich über diese Entwicklung zu freuen, wiederholt die Politik alte Fehler: Ab dem Sommer sollen Biosimilars genauso behandelt werden wie Generika. Konkret: Nicht mehr der Arzt entscheidet, sondern die Krankenkasse – und da zählt allein der Preis. Aber noch ist Zeit, diesen Fehler nicht zu machen.

Matthias Weber

12.01.2022 | 10:42

Artikel teilen: