Hält Ihr Unternehmen den vielen geopolitischen Krisen stand?
Sind Unternehmen auf die Schockwellen der geopolitischen Krisen eingestellt? Wie widerstandsfähig das eigene Geschäftsmodell sein sollte, dazu äußert sich Falco Weidemeyer in seinem Gastkommentar.
Es ist offen, ob uns die aktuellen Konflikte mittelfristig in eine Form der Kriegswirtschaft ziehen. Es ist aber klar, dass die geopolitische Situation bereits heute Auswirkungen auf das Geschäft hat. Die letzten vier Jahre haben gezeigt, wie verwundbar Lieferketten, Märkte und Geschäftsmodelle sind. Die aktuellen Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit berühren die Politik, die Gesellschaft und zu einem nicht geringen Teil die Wirtschaft. Ein strategisch nachhaltiges Geschäftsmodell kommt nicht ohne die Beachtung dieser Faktoren aus, daher müssen sie in Szenarien analysiert und Gegenmaßnahmen müssen entwickelt werden. Ist Ihr Unternehmen auf die Schockwellen der geopolitischen Krisen eingestellt?
Zu den aktuellen Kriegshandlungen im engeren Sinne kommt ein Kampf um Wahrheiten, zwischen objektiv belegbaren Informationen und politisch gewollten Sichten hinzu, auch ein an vielen Fronten geführter Handelskrieg, der sich je nach Ausgang anstehender Wahlen noch verschärfen könnte. Wir befinden uns zudem in einem Ringen um die Vorherrschaft der gesellschaftlichen- und Wertesysteme – hier die grundrechtsbasierte, freiheitliche Demokratie, dort totalitäre Regime unterschiedlicher Prägung. Das Auseinanderdriften des globalen Südens und des globalen Nordens, der wirtschaftskolonialistisch geführte Kampf um Rohstoffe wie zum Beispiel Seltene Erden, der Kampf um den Zugang zu wichtigen Verkehrswegen – all das sind weitere Konfliktschauplätze, die Ihr unternehmerisches Handeln beeinflussen. Sie beeinflussen die Zins- und Subventionspolitik und heizen den Standortwettbewerb an. Sie treiben Energie- und Rohstoffpreise und verändert die Attraktivität von Standorten. Das Konsumentenverhalten wird ebenso betroffen, wie die Investitions- oder Kreditvergabebereitschaft. Es ist also an der Zeit, dass wir uns diesen Entwicklungen strategisch stellen.
Dabei sollten wir nicht vergessen, dass es transformatorische Imperative gibt, die unabhängig von den obengenannten Bedrohungen sind, aber weiter beachtet werden müssen. So kommen wir nicht umhin, Unternehmen sozial und ökologisch nachhaltiger auszurichten. In einem immer intensiver geführten Wettbewerb um die besten – und aus demografischen Gründen immer knapperen – qualifizierten Talente müssen wir ebenfalls umdenken. Die Digitalisierung ist durch GenAI turbogeladen und ermöglicht zusätzliche Effizienz ebenso wie neue Geschäftsmodelle. Sie bringt aber auch große Umwälzungen mit sich.
In dem Kontext gilt es nun, das eigene Geschäftsmodell auf Widerstands- und Anpassungsfähigkeit hin zu durchleuchten. Welche Lieferanten entsprechen zukünftig a) den Anforderungen meiner Branche und Strategie, sind b) in einem Land ansässig, das unsere Werte teilt und nicht von aktuellen Konflikten bedroht oder durch Handelssanktionen beschränkt ist, entsprechen c) unseren ESG-Standards und haben d) die wirtschaftliche Robustheit, um ein nachhaltiger Lieferpartner zu sein? Welche Produktionsstandorte sind im eigenen Portfolio nachhaltig – strategisch, wirtschaftlich, gemäß ESG-Kriterien und geopolitisch? Welche Märkte kann ich zukünftig bedienen, mit welchen Handelshemmnissen muss ich rechnen, welche Märkte werden ggf. durch kriegerische Konflikte oder Handelssanktionen betroffen? Wie wird das Konsumentenverhalten sein, wie entwickelt sich die Inflation, ist mit Konsumzurückhaltung zu rechnen, wie ist der makroökonomische Ausblick? Wie muss meine Organisation aufgestellt sein, um Talente anzuziehen und zu halten? Wie anpassungsfähig muss ich sein, wie viel Planbarkeit muss ich anbieten? Was ist der Unternehmensbeitrag zum ökologischen und sozialen Ausgleich? Und schließlich – wie sehen Notfallpläne für Standorte aus, die durch kriegerische Konflikte oder Handelssanktionen bedroht werden könnten, wie sorgen wir für die Mitarbeiter und ihre Angehörigen?
Aus der Beantwortung dieser Fragen ergibt sich ein geopolitisches Risikoprofil für das Unternehmen. Es ergeben sich aber auch Bereiche, in denen Gegenmaßnahmen nötig sind, um die Anfälligkeit des Geschäftsmodells zu verringern. In der Vergangenheit ging es bei diesen Betrachtungen vorrangig um den konjunkturellen Ausblick, jetzt müssen aber auch geopolitische Faktoren in den Blick genommen werden und ergänzen das finanzwirtschaftliche, ökologische und soziale Zielsystem.
03.06.2024 | 16:17