Heidrun Irschik-Hadjieff ist seit 1. November 2023 Vorsitzende der Geschäftsführung von Sanofi in Deutschland sowie General Manager Vaccines für Deutschland und Österreich. (Foto: Sanofi)



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Heidrun Irschik-Hadjieff: „Deutschland bleibt Pharma-Standort mit Zukunft“

Interview

Heidrun Irschik-Hadjieff ist seit 1. November 2023 Vorsitzende der Geschäftsführung von Sanofi in Deutschland sowie General Manager Vaccines für Deutschland und Österreich. Das Gespräch führte Thorsten Giersch. 

WirtschaftsKurier: Deutschland braucht neue Wachstumsbranchen. Welche Rolle kann die Pharmaindustrie da spielen? 

Heidrun Irschik-Hadjieff: Die deutsche Pharmaindustrie wuchs in den vergangenen Jahren im Durchschnitt um sechs bis sieben Prozent. So sieht auch die Prognose aus. Wir bringen Innovation bei Arzneimitteln, Impfstoffen, die den Menschen mehr Gesundheit bietet, mehr Lebensqualität und nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch den Familien. Die Lebenserwartung ist bei Frauen um zwei, bei Männern um zweieinhalb Jahre gestiegen. Wir leben gesünder, sind länger produktiv und können länger am Erwerbsleben teilnehmen, auch in der Rente. Auch das ist ein Wirtschaftsfaktor. Und das Ganze wird getragen und getrieben durch hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung. 

Wie hoch? 

In Deutschland hat die pharmazeutische Industrie 90 Prozent aller Studien angeschoben. 2024 hat die Branche rund 17 Prozent ihrer Umsätze in Forschung und Entwicklung investiert, rund 11 Milliarden Euro. Der Anteil ist deutlich höher als in der Automobilindustrie oder im Maschinenbau. 

Was hat Sanofi zuletzt auf den Markt gebracht? 

Unter anderem einen monoklonalen Antikörper, der wie ein Impfstoff wirkt und Neugeborene und Kinder im ersten Lebensjahr vor RSV schützt. Das Robert-Koch-Institut hat kürzlich gemeldet, dass die Anzahl der Krankenhausaufenthalte von Neugeborenen im vergangenen Jahr durch diese Immunisierung halbiert werden konnte. Man kann sich leicht vorstellen, wie das Gesundheitssystem, Kinderärzte und Kliniken, Familien und vor allem die Eltern entlastet. 

Was kommt als Nächstes? 

Wir rücken die Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes stärker in den Fokus. Hier ist das Stichwort Immunmodulation. Wir haben über die Erkrankung in den letzten Jahren so viel gelernt und arbeiten daran, das Voranschreiten von Typ-1-Diabetes zu verlangsamen. -Sanofi erforscht mehrere Therapieansätze und wir hoffen, schon bald mehr darüber berichten zu können. 

Sanofi ist ein europäisches Unternehmen. Sie könnten überall investieren, tun das seit Jahren aber auch stark in Deutschland. Warum? 

Deutschland ist der drittgrößte Pharmamarkt der Welt. Auch sonst hat der Standort einige Vorzüge: Wir finden hier eine gute Infrastruktur, eine starke Grundlagenforschung und solide Rahmenbedingungen für die Forschungsentwicklung und die Produktion. Wir haben gut ausgebildete Arbeitskräfte. Wir arbeiten gut mit Akademikern und Forschungseinrichtungen zusammen. Und wenn man auf das Gesundheitssystem als Ganzes blickt und wie die Erstattung geregelt ist, ist es ziemlich einzigartig, wie unmittelbar alle Menschen einen Zugang zu einem Medikament haben. 

Jetzt kommt vermutlich noch ein großes Aber. 

In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von kostspieligen Regulierungsmaßnahmen, die Investitionen etwas weniger attraktiv gemacht haben. Da ist es wichtig, wieder die Balance zu finden, damit Unternehmen wie wir nicht den Weg in andere Länder suchen müssen, wo die Investition attraktiver ist als in Deutschland. Aber die Bundesregierung hat ein klares Bekenntnis zur Pharmabranche als Leitindustrie gegeben. Wir sind auf dem richtigen Weg. 

Die neue Bundesregierung hielt im Koalitionsvertrag fest, dass die Pharmaindustrie erstmals eine Leitindustrie ist. Und jetzt? 

Die Umsetzung fehlt noch. Da könnten wir endlich auf die Überholspur kommen. Zwar wurden Medizinforschungsgesetz und Gesundheitsdatennutzungsgesetz festgezurrt, aber es bewegt sich noch nichts. Wir haben Bürokratiehemmnisse bei den klinischen Studien, mit den vielen Ethikkommissionen und mit fehlenden Regelungen für das Vertragswerk bei klinischen Studien. Das Forschungsdatenzentrum, das der Pharmaindustrie nun erstmals erlaubt, pseudonymisierte oder anonymisierte Gesundheitsdaten für Forschungszwecke unter klaren datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen zu beantragen, läuft noch nicht. 

Das soll im sicheren Rahmen regeln, dass die Industrie Zugang zu Gesundheitsdaten erhält. 

Deutschland sitzt hier auf einem Schatz von 80 Millionen Versicherten. Es sind sehr viele Daten vorhanden und das würde uns in der Entwicklung von neuen Medikamenten und Impfstoffen helfen. Wir wollen unsere ersten Anfragen beim neuen Forschungsdatenzentrum stellen, aber es ist noch nicht möglich. 

Ungeachtet dessen: Wie sehen die Ambitionen von Sanofi langfristig aus? 

Allen voran wollen wir das führende Biotechnologieunternehmen sein bei Immunologie. Wir bringen sehr viel Wissen mit. Das wollen wir weiterentwickeln, indem wir neue Technologien wie künstliche Intelligenz und Robotik nutzen. Wir decken in Deutschland die gesamte Wertschöpfungskette mit Forschung und Entwicklung, Produktion und Kommerzialisierung ab. In Forschung und Entwicklung setzen wir die größte Hoffnung. 

Inwiefern? 


Noch immer dauert die Entwicklung eines Arzneimittels viele Jahre. Wir denken, dass das schneller gehen kann, sich der Zeitraum deutlich verkürzen lässt. Wir haben erste Erfolge bei der Identifikation neuer Wirkstoffe. Es gibt Millionen von möglichen chemischen Verbindungen, die früher von Hand geprüft wurden. Die künstliche Intelligenz dampft die Wahrscheinlichkeit den geeignetsten Wirkstoff-Kandidaten zu finden, rasend schnell auf wenige Hundert zusammen. 

Mehr Tempo bedeutet mehr Medikamente? 


Wir können mehr schaffen, wir können es schneller schaffen und wir können es präziser erreichen. Die Zukunft liegt in der Präzisions-, in der personalisierten Medizin, gerade bei Zell- und Gentherapien. Wir haben einen digitalen Zwilling entwickelt, der, vereinfacht gesagt, Patientenprofile simuliert. Im Bereich Asthma wurde bei den klinischen Studien kürzlich ein ganzes Jahr Entwicklung übersprungen. Die Zulassungsbehörde testierte, dass die Simulation von Wirkung und Nebenwirkung an den digitalen Zwillingen überzeugend war. 

Wenn man noch die Daten bestmöglich und sicher verknüpfen könnte … 

… bieten sich ungeahnte Möglichkeiten. Deshalb begrüßen wir, dass jetzt endlich die elektronische Patientenakte freigeschaltet wurde. Der europäische Gesundheitsdatenraum ist etabliert. Das heißt, die Daten müssen dann noch entsprechend über Schnittstellen ausgetauscht werden, alles auf anonymisierter, pseudonymisierter Basis. Wenn wir diese Daten, die als „neues Gold“ gesehen werden, nutzen können, glaube ich wirklich, dass wir Meilensteine erreichen in Lichtgeschwindigkeit. Statt branchenweit 30 Neuzulassungen im Jahr 2023 oder 42 im vergangenen Jahr, haben wir bald wahrscheinlich 50 bis 100 pro Jahr, und damit eine weitere Steigerung der Lebenserwartung. 

Und das bei steigender Sicherheit? 


Davon bin ich überzeugt. Der Mensch kann sich leichter irren, wenn die Maschine ihm bei all den Daten nicht hilft. Wir bekommen eine höhere Genauigkeit und Zuverlässigkeit in der Diagnose. 

Und Deutschland senkt Kostennachteile, wodurch wir mehr Medikamente wieder in Europa produzieren können, was die Versorgungssicherheit steigert? 

Wir alle wollen erreichen, dass Europa unabhängig ist. Studien wie die von McKinsey belegen, dass durch den Einsatz von KI deutliche Einsparungen erzielt werden können. Und wenn es zusätzlich faire Preise für Medikamente gibt, vergleichbar mit denen in den USA oder Asien, müssen Eltern in der Apotheke auch nicht mehr tagelang auf Fiebersaft warten. Für mehr Versorgungssicherheit planen wir zum Beispiel, in Frankfurt ein neues Insulinwerk zu bauen – vorbehaltlich des positiven Ausgangs des dazu laufenden EU-Beihilfeverfahrens. Wir haben in den vergangenen 15 Jahren 2,5 Milliarden Euro in Frankfurt investiert, um die Versorgung zu garantieren. 

Bekommen Sie in Deutschland genug Fachkräfte? 

Wir haben im Gesundheitssektor den großen Vorteil, dass die Beschäftigten gern dort arbeiten, weil sie einen Unterschied im Leben von Menschen machen können. Darauf sind sie sehr stolz. 

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Das Gespräch führte Thorsten Giersch.

06.10.2025 | 16:17

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