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"Papier verschwindet nicht von heute auf morgen"

Angefangen hat alles vor fast 100 Jahren mit der Herstellung von Frankiermaschinen, jetzt erschließt Francotyp-Postalia zunehmend digitale Märkte. CEO Rüdiger Andreas Günther spricht im Interview über die Bedeutung von Frankiermaschinen und neue Geschäftsfelder durch die Digitalisierung.

Wer die Tradition von Francotyp-Postalia verstehen möchte, muss einen Blick zurück in das Jahr 1923 wagen. Damals verwandelten Konstrukteure eine Registrierkasse in eine der weltweit ersten Frankiermaschinen mit verstellbarem Portowert – eine Revolution. Heute ist die börsennotierte Francotyp-Postalia Holding AG mit Sitz in Berlin international tätiger Hersteller von Frankiersystemen, Dienstleister für Postbearbeitung/-konsolidierung und Spezialist für sichere digitale Kommunikation mit Großkunden wie Metro, E.ON, Lufthansa oder der Deutschen Rentenversicherung. Im Interview spricht CEO Rüdiger Andreas Günther über den Mythos des papierlosen Büros, nicht hackbare High-Tech-Chips und Herausforderungen durch die Digitalisierung.

WirtschaftsKurier: Die Frankiermaschinen von Francotyp-Postalia (FP) wurden bereits vielfach ausgezeichnet und zählen zu den führenden Industrieprodukten Made in Germany. Mit einem Marktanteil von 42% ist der Konzern Marktführer in Deutschland und mit 11% weltweit drittgrößter Anbieter. Wie hat das Geschäft mit Frankiermaschinen im digitalen Zeitalter überhaupt Bestand? Und was hat sich im Zuge der Digitalisierung verändert?

Rüdiger Andreas Günther: Ich betone das immer wieder gerne: Papier verschwindet nicht von heute auf morgen. Obwohl die Digitalisierung in allen Bereichen so rasant voranschreitet, werden jährlich nach wie vor rund 300 Milliarden Briefe versendet. Das mag auch damit zu tun haben, dass der Mensch oft lange braucht, um Vertrauen zu Innovationen zu fassen. Denn grundsätzlich kann man seinen Briefverkehr schon heute vollständig digital und dabei rechtssicher abwickeln. Auch diese Möglichkeit bieten wir unseren Kunden. Der Mythos des „papierlosen Büros“ wird sich aber vermutlich nie gänzlich erfüllen – oder liegt in sehr weiter Ferne. Die Herstellung von Frankiersystemen wird noch viele Jahre profitabel bleiben. In diesem Kerngeschäft wollen wir auch weiterwachsen.

Neben den Produktbereichen Frankieren und Kuvertieren zählen Mail Services und Softwarelösungen zu Ihrem Kerngeschäft. Eine Reaktion, um auf den umkämpften globalen Märkten zu bestehen?

Das hat schon mit Weitblick zu tun. Unser Anspruch als Spezialist für sichere Kommunikation ist es, für Kunden digitale Brücken zu bauen und zuverlässiger Partner auf dem Weg in die Digitale Transformation zu sein. Ein spannendes Produkt ist in diesem Zusammenhang „FP Sign“. Mit dieser cloudbasierten elektronischen Signaturlösung lassen sich Dokumente zeit- und ortsunabhängig signieren, digital rechtskonform abschließen und austauschen. Unternehmen beschleunigen dadurch die Bearbeitung von Verträgen mit externen Geschäftspartnern. Aber auch interne Freigabeprozesse können so optimiert werden. Das spart Zeit, Geld und manchmal sogar Nerven.

Im Geschäftsjahr 2018 erzielte FP einen Umsatz von 204,2 Mio. Euro, für 2019 erwarten Sie einen steigenden Umsatz. Wie wollen Sie die Wachstums- und Ertragsziele erreichen? Mit einem radikalen Konzernumbau?

Ja, ganz richtig. Unsere Mitarbeiter spielen dabei die Hauptrolle, denn sie sind es, die den Prozess entscheidend mit vorantreiben. Um als Unternehmen konkurrenzfähig zu bleiben und sich auf globalen Märkten langfristig durchzusetzen, sind produktseitig Innovationen der Schlüssel. Im Zuge unserer Wachstumsstrategie ACT haben wir schon früh reagiert und begonnen, digitale Märkte zu erschließen. Beispielsweise mit der eben erwähnten E-Signaturlösung oder auch mit unseren neuen Internet of Things (IoT) Secure Gateways. Hier können Daten und Übertragungswege mit einem kryptografischen Chip verschlüsselt werden, der bereits seit Jahren in unseren Frankiersystemen zum Einsatz kommt.

Wie funktionieren diese Kryptografie-Chips?

In unseren Frankiersystemen verbauen wir ein eigens entwickeltes Sicherheitsmodul mit hardwarebasierter Verschlüsselungs- und Übertragungstechnik. Diese Technik entspricht der zweithöchsten Sicherheitsklassifizierung des amerikanischen NIST (National Institute of Standards and Technology). Damit gewährleisten wir, dass die Geräte nicht manipuliert und Daten nicht abgefangen werden können. Immerhin muss zur Frankierung das Porto in das Frankiersystem gelangen. Mittels des Kryptografie-Chips wird aus dem Geld unserer Kunden letztlich eine verschlüsselte Datei in dem Gerät, die für die Erzeugung des Portoabdrucks verwendet wird. Mit mehr als 1,2 Milliarden Euro Porto pro Jahr drucken wir mit diesen Systemen bares Geld – da ist Sicherheit das A und O. Dieses Know-how haben wir aus dem Frankierbereich herausgelöst, weiterentwickelt und für alle Industriebranchen und das Internet der Dinge kompatibel gemacht.

Welche weiteren Anwendungen finden die nicht hackbaren Chips?

Weitere Anwendungen finden sich beispielsweise in der Energie- und Infrastrukturbranche oder der Factory Automation. Unternehmen können mit unseren IoT-Lösungen nahezu alle Datenformate von überall her sicher standardisieren, einlesen, verschlüsseln und in die Cloud übertragen. Und natürlich auch auswerten, visualisieren und individuell aufbereiten, um etwa ihre Anlagen und Systeme zentral zu steuern und zu überwachen. Um konkrete Beispiele zu nennen: Ein globaler Handelskonzern überwacht so beispielsweise den Energieverbrauch seiner Standorte. Stromversorger schalten dezentrale Anlagen zu virtuellen Kraftwerken zusammen und Industrieunternehmen überwachen den Zustand der Schmieröle in den Aggregaten ihrer hochkomplexen, sensiblen Anlagen und Maschinen.

Lebensnahe Beispiele, die veranschaulichen, wie dringend der Handlungsbedarf in puncto Datensicherheit bei der digitalen Kommunikation ist.

Einer Studie von Bitkom zufolge sind deutsche Industrieunternehmen beliebte Ziele für Sabotage, Datendiebstahl oder Wirtschaftsspionage, wodurch der Industrie in zwei Jahren ein Gesamtschaden von 43,4 Milliarden Euro entstanden ist. Rund sieben von zehn Industrieunternehmen sind in diesem Zeitraum Angriffen zum Opfer gefallen, jedes fünfte Unternehmen vermutet dies zudem. Kriminelle wollen die Daten abgreifen, um Know-how abzuschöpfen und Unternehmen mit Schadsoftware zu erpressen.

Das Internet der Dinge ist ein Milliardenmarkt: Alles vernetzt sich. Sehen Sie hier das größte Entwicklungspotenzial?

Die Digitalisierung ist unaufhaltsam und erfasst immer mehr Bereiche unseres Lebens, daher ist das Entwicklungspotenzial sehr hoch. Insbesondere in Unternehmen ist sie ein wichtiger Treiber von Innovationen und spielt so eine immer größere Rolle. Bis 2020 werden schätzungsweise 28 Milliarden Endgeräte im IoT interagieren. Die größte Herausforderung in diesem Bereich ist das Thema Sicherheit – insbesondere der sichere Datentransfer und sichere digitale Kommunikationsprozesse – und wie Firmen sie ausreichend schützen können. Vor ähnlichen Herausforderungen stehen im Übrigen auch staatliche Einrichtungen und sogenannte kritische Infrastrukturen: Denn auch Verkehrsleitzentralen, Krankenhäuser, Logistiker sowie Strom- und Wasserversorger profitieren von der Digitalisierung und stehen so vor der Herausforderung „Sicherheit“. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Markt für IoT-Sicherheitstechnologie laut Prognosen jährlich um immense 35 Prozent wachsen wird.

FP hat sich in seiner 96-jährigen Geschichte vom klassischen Maschinenbau-Unternehmen hin zu einem modernen IoT-Unternehmen gewandelt. Sie begleiten Ihre Kunden auf dem Weg in die digitale Zeit, wie Sie selbst sagen. Wie sieht diese Zukunft in zehn Jahren aus?

Mit zunehmender Digitalisierung werden in Zukunft die Sicherheitsanforderungen rapide ansteigen – und mit ihnen der Markt für sichere digitale Geschäftsprozesse. Denn je mehr Dinge und Prozesse vernetzt sind, desto anfälliger sind sie für Cyberangriffe. Wir sind gerüstet für die Bedürfnisse der Märkte unserer digitalen Zukunft, denn Sicherheit ist unser Markenkern und unsere Passion. Das Know-how von FP basiert auf einer speziellen DNA aus Aktorik, Sensorik, Kryptografie und Konnektivität. Diese DNA haben wir in den vergangenen fast 100 Jahren immer weiter perfektioniert und sie stellt heute ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal im IoT-Markt dar.

Vera König

18.09.2019 | 11:28

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