
Das Bundeskartellamt stoppt die geplante Übernahme von Vion-Standorten durch Tönnies – ein Signal gegen Marktkonzentration und für fairen Wettbewerb in der Fleischbranche. (Foto: shutterstock)
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Kartellamt zieht die Reißleine: Fleischgigant Tönnies scheitert vorerst an Bonner Wettbewerbswächtern
Mitten im strukturellen Wandel der deutschen Fleischbranche hat das Bundeskartellamt ein Zeichen gesetzt: Die geplante Übernahme dreier Rindfleischstandorte des niederländischen Vion-Konzerns durch Branchenriese Tönnies – inzwischen unter dem Etikett Premium Food Group firmierend – wurde gestoppt.
Die Wettbewerbsbehörde unter der Leitung von Andreas Mundt stellt sich damit gegen eine weitere Konzentration in einem ohnehin oligopolistisch geprägten Markt. Das Vorhaben hätte die ohnehin schon dominante Stellung des Schlachtkonzerns nicht nur verfestigt, sondern im Rindfleischsegment um ein Drittel vergrößert – insbesondere im Süden der Republik drohte Tönnies, zur beinahe alleinigen Anlaufstelle für Rindermäster zu werden.
Markt im Würgegriff: Wenn der Käufer diktiert
Das Signal aus Bonn ist unmissverständlich: Eine Marktmacht, die den Wettbewerb in die Knie zwingt, gefährdet nicht nur die Vielfalt auf dem Teller, sondern auch die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Landwirtschaft. Denn in einer Branche, in der Bäuerinnen und Bauern oft bis zur letzten Minute im Ungewissen darüber bleiben, welchen Preis sie für ihre Tiere erhalten, bedeutet zusätzliche Abhängigkeit von einem Großabnehmer vor allem eines: Kontrollverlust.
Dass die Übernahme nun ins juristische Nachspiel geht – der Fall könnte demnächst vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf landen – war so nicht erwartet worden. Vion hatte seine deutschen Schlachthöfe längst zum Verkauf gestellt, der Rückzug aus dem hiesigen Markt war strategisch vorbereitet, neue Führung inklusive. Der Käufer schien mit Tönnies gesetzt: kapitalstark, etabliert, logistisch perfekt vernetzt. Doch nun herrscht Stillstand – und die 2.000 Beschäftigten in Buchloe, Crailsheim und Waldkraiburg blicken in eine ungewisse Zukunft.
Zwickmühle der Landwirtschaft: Zwischen Abhängigkeit und Systemfrage
Für viele landwirtschaftliche Betriebe bedeutet diese Entwicklung ein Drahtseilakt. Denn so sehr sie eine Machtkonzentration fürchten, so sehr wissen sie auch: Ohne investitionswillige Abnehmer geht die Infrastruktur langsam aber sicher den Bach runter. „Uns hilft es nichts, wenn am Ende niemand mehr schlachtet“, bringt es Sebastian Brandmaier von der Viehvermarktung Bayern auf den Punkt.
Das Dilemma ist struktureller Natur: Der Fleischmarkt, wie er heute funktioniert, kennt wenig Gleichgewicht. Während einzelne Großkonzerne zunehmend die Kontrolle über die gesamte Kette von der Stallmatte bis zur Supermarkt-Theke gewinnen, bleibt der Bauernstand meist das schwächste Glied – ein Preisnehmer, kein Preisgestalter. Planungssicherheit? Eine Illusion.
System unter Druck: Mehr als nur ein abgesagter Deal
Gleichzeitig wächst in der Gesellschaft das Unbehagen gegenüber dem industriellen Fleischkomplex als Ganzem. Es geht längst nicht mehr nur um Marktanteile und Arbeitsplätze – sondern um die Frage, wie viel dieser Form von Tierverwertung ein ökologisch und ethisch sensibler Zeitgeist noch zu akzeptieren bereit ist.
Tönnies, der mit geschicktem Lobbyismus und effizienter Prozessführung zum Platzhirsch der Branche aufgestiegen ist, steht dabei stellvertretend für ein System, das zunehmend in die Defensive gerät: Massentierhaltung, Intransparenz beim Tierwohl, hohe Emissionen – Schlagworte, die selbst jenseits vegetarischer Lebensstile an Zugkraft gewinnen.
Wettbewerb gewahrt – Strukturproblem ungelöst
Der Deutsche Bauernverband zeigt sich entsprechend ambivalent: Einerseits wird der Erhalt des Wettbewerbs begrüßt, andererseits bleibt die Angst vor der Lücke, die ein Vakuum in der Schlachtinfrastruktur reißen könnte. „Die Betriebe müssen weiterlaufen“, mahnt Generalsekretär Bernhard Krüsken – doch wer garantiert das?
Tönnies selbst reagiert verschnupft und spricht in einer Stellungnahme von einem „schmerzlichen Rückschlag“. Man prüfe rechtliche Schritte – der Fall sei „noch nicht vom Tisch“. Was bleibt, ist ein System, das weder mit noch ohne Großkonzern stabil zu funktionieren scheint.
Die wahre Frage aber, die über diesen Schlagabtausch hinausweist, lautet: Wenn Fleisch zur Massenware verkommt – wie lange hält das gesellschaftliche Fundament dieses Modells noch stand?
14.06.2025 | 22:13