„Wir haben ganz eindeutig ein Umsetzungsdefizit"
Kommunale Klimaresilienz ist wichtig, aber die Umsetzung geht zu langsam voran. Die größten Herausforderungen für Städte und Gemeinden nennen die Experten Lisa Broß und Stefan Rummel im Interview im Vorfeld der IFAT, der Leitmesse für Umwelttechnologien.
Kommunale Klimaresilienz ist eines der Leitthemen der IFAT Munich, die vom 13. bis 17. Mai 2024 in den Münchener Messehallen stattfindet. Um widerstandsfähige Wege für Städte und Kommunen ging es auch in einem Panel, das die IFAT Munich auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee ausgerichtet hat. Referentin war unter anderem Lisa Broß, Sprecherin der Bundesgeschäftsführung der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA). Über Problemstellungen der Kommunen und Lösungswege sprach die Redaktion mit ihr und Stefan Rummel, Geschäftsführer der Messe München GmbH, auf dem Tegernsee Summit.
Dass Kommunen sich dem Klimawandel anpassen müssen, ist weitestgehend Konsens. Aber was sind denn ganz konkret die größten Herausforderungen für Städte und Gemeinden?
Stefan Rummel: Genau diese Frage wollten wir im Vorfeld der IFAT Munich beantworten und haben deshalb eine Umfrage bei Kommunen bzw. kommunalen Unternehmen in Auftrag gegeben. Das Ergebnis ist eindeutig: 88 Prozent sehen Starkregenereignisse und Überschwemmungen als größte Gefahr, gefolgt von Trockenheit und Wassermangel (79%). Auffällig ist, dass die Befragten zwar eine hohe Dringlichkeit erkennen, Maßnahmen zu ergreifen, andererseits kommunale Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland aber insgesamt als zu wenig verbreitet ansehen (80%).
Lisa Broß: Wir haben ganz eindeutig ein Umsetzungsdefizit, und kein Wissensdefizit. Um zu einem flächendeckenden kommunalen Klimaschutz zu gelangen, benötigt es mehr Zusammenarbeit zu einem frühestmöglichen Zeitpunkt zwischen den verschiedensten Verwaltungseinheiten einer Kommune. Wasserwirtschaft, Raum- und Verkehrsplanung, Grünflächenämter und viele mehr müssen sich viel intensiver als bisher austauschen. Sehr problematisch ist zudem, dass sich fast alle Projekte auf Neubaugebiete oder großflächige Umwidmungen, beispielsweise von aufgegebenen Industrieflächen, beschränken. Um unsere Städte klimafest zu machen, brauchen wir aber vor allem Maßnahmen im Bestand. Hier besteht dann aber eine ausgeprägte Nutzungskonkurrenz um die knappen Flächen. Die Klimaanpassung muss eine deutlich höhere Priorität bekommen, auch beispielsweise gegenüber dem Verkehrssektor. Ansonsten werden wir keine klimaresilienten Strukturen schaffen können.
Die Herausforderungen für die Kommunen sind also nicht zu unterschätzen. Was würde denn Städten und Gemeinden konkret helfen, um schneller und effizienter Projekte zu entwickeln und umsetzen?
Lisa Broß: Wichtig sind verbindliche rechtliche Regelungen. Die wasserbewusste Stadtentwicklung muss Leitbild einer modernen Stadtplanung sein und fest in die Bauleitplanung und Raumordnung integriert werden. Bei der geplanten Novelle des Baugesetzbuches müssen beispielsweise Festsetzungsmöglichkeiten im Bebauungsplan zur Niederschlagswasserbewirtschaftung vorgesehen werden. Und natürlich das Thema Geld. Wir müssen weg von der Projektförderung und hin zu einer langfristigen Finanzierung. Dies muss auch die Finanzierung über Abwasserentgelte einschließen. Und gestatten Sie mir noch eine abschließende Bemerkung zur Finanzierung. Die Klimaanpassung kostet viel Geld, keine Frage. Und das vor dem Hintergrund der aktuell sehr knappen Kassen. Aber keine Klimaanpassung wird langfristig deutlich teurer. Wir schulden den kommenden Generationen diese Investitionen in klimaresiliente und lebenswerte Städte.
Stefan Rummel: Als IFAT Munich wollen wir einen Beitrag leisten, um den komplexen Herausforderungen, die Frau Broß angesprochen hat, zu begegnen. Die Konzeption der Messe als Netzwerkveranstaltung und Dialog-Plattform soll unter anderem helfen, die Akteure zusammenbringen und die Zusammenarbeit der Verwaltungseinheiten zu verbessern. Die Notwendigkeit verbindlicher rechtlicher Regelungen und zusätzlicher finanzieller Mittel spielt übrigens auch im Trendindex eine große Rolle. Demnach erweisen sich laut 77 Prozent der Befragten unzureichende finanzielle Mittel als größte Hürde für kommunale Klimaanpassung, gefolgt von fehlenden personellen Ressourcen (58%) und ungeklärten Zuständigkeiten (57%).
Es ist bemerkenswert, dass nach Ansicht der Kommunen bzw. kommunalen Unternehmen die Mehrheit in der Bürgerschaft Maßnahmen für kommunalen Klimaschutz weder begrüßt noch unterstützt. Unsere Erhebung ergibt, dass die Akzeptanz lediglich bei 40 Prozent liegt. Meines Erachtens benötigen die außerordentlichen Leistungen der Umwelttechnologie mehr Öffentlichkeit: Die IFAT Munich kann als Weltleitmesse hoffentlich einen wesentlichen Baustein dazu beitragen.
Wir haben bisher insbesondere über Problemstellungen und Hürden gesprochen. Aber welche Modelle und Lösungen werden in der Branche denn aktuell diskutiert oder haben Modellcharakter?
Lisa Broß: Für mich stehen vor allem zwei Paradigmenwechsel im Vordergrund. Der eine hat bereits vor einigen Jahren begonnen und wird auch von der DWA eng begleitet, Wasser soll nicht mehr schnellstmöglich abgeleitet, sondern als Ressource vor Ort genutzt werden. Beispielsweise kann sogenanntes Grauwasser, in erster Linie Duschwasser, zur Bewässerung von Dachbegrünungen genutzt werden, die Nährstoffe im Abwasser werden im Bereich des Urban Gardening eingesetzt.
Der zweite Paradigmenwechsel ist noch relativ neu. Lange ging es bei der Klimaanpassung vor allem um Starkregen, mittlerweile stehen auch Trockenheit und Hitze verstärkt auf der Handlungsagenda. Konkret ist neben die Überflutungsvorsorge die Speicherung des Wassers für lange Trockenphasen ins Bewusstsein gerückt. Und auch die Verdunstungskühlung bekommt eine immer höhere Bedeutung. Hitzestress ist eine echte Gesundheitsgefahr, mit dem Klimawandel nimmt diese zu. Durch eine geschickt eingesetzte Verdunstungskühlung lassen sich die Temperaturen lokal um bis zu drei Grad senken. Die Hersteller von Dachbegrünungen haben mittlerweile auf die Verdunstung optimierte Systeme entwickelt, die eine höhere Verdunstungsleistung aufweisen als ausgewachsene Stadtbäume. Wobei ich auch die Stadtbäume nicht missen möchte, es geht hier um die Kombination aller Möglichkeiten.
Stefan Rummel: Die Stadt München investiert seit vielen Jahrzehnten in ihre Wasserinfrastruktur und unterhält eines der größten Rückhaltebecken Europas. In diesem werden bei Bedarf Wassermengen für eine gepufferte Zuleitung an die Münchner Klärwerke zwischengespeichert. Aber auch das Schwammstadt-Prinzip finde ich sehr spannend. Berlin ist ein gutes Beispiel dafür, wenn es darum geht möglichst viel Regenwasser in urbanen Grünzonen, Feuchtgebieten, Wasser- und Überflutungsflächen zurückzuhalten, anstatt es sofort und direkt in Kanäle und Vorfluter zu leiten.
Auch wenn mit Blick auf kommunale Klimaanpassung noch viel zu tun ist, sehen wir doch auch, dass es eine sehr hohe Innovationsdichte in der Umwelttechnologie gibt. Der Rundgang über die IFAT Munich und die Gespräche mit unseren mehr als 3.000 Ausstellern belegen das eindrucksvoll. Daran musste ich auch denken, als Frau Broß, Stadtbäume angesprochen hatte. Einer unserer Aussteller, Wavin, hat den „Tree-Tank“ entwickelt, ein System, das es den Baumwurzeln ermöglicht, sich trotz versiegelter Fläche frei zu entfalten, ohne ihr Wachstum einzuschränken. In einigen deutschen Städten wird das System bereits erfolgreich eingesetzt.
06.05.2024 | 16:10