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Es zwitschert an der Börse

Seien es friedensbringende Nachrichten des Papstes, versöhnliche Töne des iranischen Präsidenten oder Beleidigungen zwischen Boris Becker und Oliver Pocher - Twitter heißt das Medium, das Menschen bewegt. Werden das auch die Börsianer so sehen?

Seit Mitte September schauen Anleger nun nicht nur noch gespannt auf die Tweets von @boersefrankfurt oder @rupertmurdoch, sondern auch auf Meldungen aus der Chefetage des blauen Vogels - der übrigens Larry heißt - in San Francisco. Denn der 2006 gegründete Kurznachrichtendienst geht an die Börse. Schon Mitte September hat Twitter den Börsengang beantragt, jetzt wird es ernst. Bisher blieb offen, wann genau der Schritt aufs Börsenparkett erfolgt, doch in dieser Woche wurden erste Details bekanntgegeben. So rechnet sich Twitter insgesamt eine Milliarde US-Dollar an frischem Eigenkapital durch den Börsengang aus. Das erscheint nicht allzu unrealistisch, wenn man das durch Börsengang erzielte Kapital anderer Tech-Unternehmen heranzieht. Facebook bekam sogar 16 Milliarden US-Dollar mit dem Schritt aufs Börsenparkett. Google gewann durch das Geld der Aktionäre fast 1,7 Milliarden US-Dollar beim Börsengang 2004, Groupon tat es dem Suchmaschinenprimus 2011 nach und erzielte 700 Millionen US-Dollar.

Einen genauen Termin für den Börsengang teilte Twitter der amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde SEC noch nicht mit. Vermutlich geht es aber erst im November richtig los. Analysten bewerten das Gesamt-Unternehmen mit bis zu 15 Milliarden US-Dollar. Die wichtigste Einnahmequelle des Webkonzerns ist dabei die Werbung, die im Nachrichtenflow eingebunden sind. Doch zu welchem Preis die Aktien angeboten werden und wieviele Anteile zum Kauf zur Verfügung stehen, wird bis kurz vor dem Börsengang unklar bleiben.

Experten hatten den geplanten Schritt schon lange erwartet, aber nach dem desaströsen Börseneinstieg von Facebook im Mai 2012 zweifelte die Branche. Das Soziale Netzwerk verkaufte Aktien für 38 US-Dollar. Innerhalb von drei Wochen büßte die Facebook-Aktie 30 Prozent ein. Inzwischen hat sich das Papier aber mehr als erholt und liegt bei 50 US-Dollar. Eine regelrechte Rallye in den letzten Monaten trug zum Erfolg vieler IT-Wertpapiere bei. So stiegen die Aktien von Amazon und Google seit Anfang des Jahres jeweils um rund 20 Prozent. Das Wertpapier von LinkedIn, dem amerikanischen Web-Netzwerk für Geschäftskontakte, konnte sich seit Januar sogar mehr als verdoppeln. Es wird also jede Menge Geld in der Internet-Branche umgesetzt und Aktionäre können ihre Freude an den Papieren aus dem World Wide Web haben. Vielleicht gelingt es auch Twitter, auf diese Welle der steigenden IT-Kurse aufzuspringen - das hofft man zumindest in San Francisco. Und es wäre eine Trendwende. Twitter Inc. veröffentlichte nun auch erstmals offizielle Geschäftszahlen, nach denen der Umsatz im ersten Halbjahr 2013 bei 253,6 Millionen US-Dollar lag. Das bedeutete einen Verlust von 69,3 Millionen US-Dollar.

500 Millionen Tweets - jeden Tag

Es sind eindeutig die Nutzer, die Twitterer und ihre Follower, die das Unternehmen zu einem global Player machen. Im Börsenprospekt können Anleger die Zahl von nicht weniger als 215 Millionen aktiven Nutzern pro Monat lesen, immerhin fast die Hälfte davon nutzt den Kurznachrichtendienst täglich. Rund um den Globus sollen täglich 500 Millionen Tweets geschrieben werden. Eine Reichweite, die für Investoren gewiss verlockend ist.

Selbstverständlich wird der Börsengang auch für Chefetage äußerst lukrativ: Mitgründer Evan Williams ist größter Anteilseigner mit 12 Prozent. Sein Kollege und Mitgründer Jack Dorsey ist noch aktiv bei Twitter und hält 4,9 Prozent am Unternehmen. Der aktuelle CEO heißt Dick Costolo und kommt auf 1,6 Prozent der Anteile. Er übernahm den Chefposten 2010 von Williams. Er und seine Mitarbeiter müssen demnächst Investoren auf einer Roadshow davon überzeugen, in Twitter zu investieren. Morgan Stanley, Goldman Sachs, die Deutsche Bank und weitere Banken sind von Twitter verpflichtet worden, beim Börsengang zu helfen.

Dabei lohnt sich ein Blick auf die Entwicklung der Geschäftszahlen der vergangenen Jahre. 2010 gab es für Twitter nur 28 Millionen US-Dollar einzunehmen, 2011 schon 106 Millionen und im letzten Jahr dann 317 Millionen. Und Twitter wächst weiter. Trotzdem hat sich in den letzten Jahren ein dickes Minus von über 400 Millionen US-Dollar angesammelt. Grund dafür seien laut Twitter die hohen Ausgaben für Rechenzentren und Marketing.

Unter dem Symbol TWTR soll der blaue Vogel demnächst gehandelt werden. Manche Händler mutmaßen, dass TWTR aus den Fehlern des Facebook-Debakels 2012 lernt und nicht im Nasdaq, sondern an der NYSE notiert wird. Dies wäre aber eine echte Überraschung. Aber Überraschungen sind in dieser Branche erfahrungsgemäß Alltag.
Fazit – twittertypisch – in exakt 140 Zeichen: „Twitter traut sich nun auch an die Börse, hofft auf 1 Mrd. frisches Kapital. Der Umsatz wächst zwar, unterm Strich ist aber ein Minus. Noch.“ Tweet!

Wolf-Christian Weimer

06.10.2013 | 12:00

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