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Infrastruktur als Chance

Wettbewerbsfähigkeit: Die Infrastrukturinvestitionen sind mittlerweile auf den niedrigsten Stand seit 20 Jahren gesunken. Deutschland wendete dafür zuletzt nur noch 1,9 % seines Bruttoinlandsprodukts auf, zu Beginn der 90er-Jahre waren es noch 3 %. Munich-Re-Vorstand Torsten Jeworrek fordert ein Umdenken in der Politik.

Das Rückgrat eines Wirtschaftsstandorts ist die Infrastruktur. Intakte Verkehrsnetze und moderne Häfen senken Transportkosten. Leistungsstarke Telekommunikationsnetze ermöglichen eine schnelle Kommunikation und Information. Pipelines für Gas und Öl sorgen für konstanten Nachschub bei der Energieversorgung. Störungsfreie Stromnetze sichern die reibungslose Produktion von Waren. Eine starke Infrastruktur aufzubauen und instand zu halten kostet Geld, aber diese Investitionen steigern gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Deutschland bietet das alles und ist deshalb ein hochattraktiver Wirtschaftsstandort.

Natürlich lassen die jahrelangen Auseinandersetzungen über Großprojekte wie den Bahnhof Stuttgart21 oder Fehlplanungen wie beim Flughafen Berlin Brandenburg manchmal an der Zukunftsfähigkeit Deutschlands zweifeln. Aber ich meine, dass wir die Stärken Deutschlands nicht kleinreden dürfen. So zeigen anerkannte Wettbewerbsindikatoren, dass Deutschland in der Welt ganz vorn mitspielt. Im „Global Competitiveness Report 2012 – 2013“ des Weltwirtschaftsforums (WEF) steht zum Beispiel die Qualität der deutschen Infrastruktur auf Platz drei hinter Hongkong und Singapur. Als nächster Flächenstaat folgt Frankreich auf Platz vier. Die USA liegen bei diesem Vergleich auf Platz 14.

Um diesen Standortvorteil für Deutschland zu sichern, braucht es langfristige Investitionen. Die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland ist zum Teil veraltet. Für eine zukunftsweisende Energieversorgung müssen neue Strukturen sowohl für die Stromerzeugung als auch für die Verteilung über intelligente Netze aufgebaut werden. Die Investitionen dafür sind enorm, jedoch mit Beteiligung internationaler Investoren und Kapitalmärkte finanzierbar. Voraussetzung sind allerdings zuverlässige politische Rahmenbedingungen und Planungssicherheit.

Beispiel Energiewende: Die Diskussion etwa über die entstehenden Kosten schadet der Sache selbst und dem Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Standorts Deutschland. Nicht parteipolitische Ziele oder die Interessen einzelner Wirtschaftszweige dürfen die Richtung vorgeben, sondern es bedarf einer weitsichtigen Strategie, die über eine Legislaturperiode hinausgeht. Dabei ist es wichtig, dass politische Entscheidungen transparent sind, dann aber auch verlässlich umgesetzt werden.

Starthilfen für neue Technologien – etwa durch Subventionen oder garantierte Einspeisevergütungen für alternative Energien – werden sich nicht vermeiden lassen. Aber natürlich müssen erneuerbare Energien so schnell wie möglich marktfähig werden. Dazu muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) so umgebaut werden, dass nicht bestimmte Technologien oder Standorte gefördert werden, sondern die effektivste Methode an dem Ort, der am besten geeignet ist.

Energieverbund wäre sinnvoll

Mit einem solchen marktorientierten Fördersystem könnte der Ausbau der erneuerbaren Energien weitaus kostengünstiger gestaltet werden, und Fehlallokationen würden vermieden. Eine europaweit koordinierte Energiepolitik könnte darüber hinaus noch viel mehr bewirken, denn dann würden ökonomisch sinnvolle Konzepte auf breiter Basis Vorrang vor einzelstaatlichen Lösungen erhalten. Außerdem wäre der Gesamtinvestitionsaufwand deutlich geringer und die Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Quellen durch die Vielfältigkeit der Standorte in einem europäischen Verbund höher.

Bei einem Umbau des EEG ist es wichtig, dass staatliche Zusagen auch bei einem Systemwechsel nicht im Nachhinein zurückgenommen werden. Die Streichung staatlicher Zusagen bei den Einspeisetarifen 2010 in Spanien und 2011 in Tschechien hat viele Investoren verschreckt. In Deutschland laufen unter dem Stichwort „EEG-Soli“ ähnliche Diskussionen. Doch davor kann ich nur warnen, denn solche Entscheidungen untergraben das Fundament langfristiger Investitionen.

Versorger und Banken werden die nötigen Investitionen zum Aufbau einer stärker dezentralen Infrastruktur für die Energieversorgung allerdings nicht allein stemmen können. Und auch andere große Infrastrukturprojekte brauchen neue Investoren. Viele neue Anleger wie Versicherungsunternehmen oder Pensionsfonds stehen bereit. Gerade in der gegenwärtigen Wirtschaftslage mit historisch niedrigen Zinsen suchen Investoren lukrative und sichere Anlagemöglichkeiten. Public Private Partnerships, Infrastructure-Investment-Fonds oder Projekte, die sich über Zölle und Gebühren selbst finanzieren, sind Beispiele für flexible Finanzierungskonzepte.

Die Versicherungsindustrie kann hier sogar eine Doppelrolle einnehmen: erstens als Investor, denn Investitionen in erneuerbare Energien und Infrastruktur sind aufgrund der langfristig erzielbaren und vergleichsweise stabilen Erträge für Versicherungen sehr interessant. Und zweitens als Versicherer, der anderen Investoren einen Teil ihrer Risiken abnimmt und dadurch deren Rendite verlässlicher macht. Munich Re beispielsweise ist Marktführer bei Versicherungslösungen für Leistungsgarantien, die Hersteller von Photovoltaikmodulen ihren Kunden gewähren. Dadurch werden Investitionen in erneuerbare Energien erleichtert.

Ich meine, wir sollten die anstehenden Milliardeninvestitionen in den Umbau der Energieversorgung sowie in die notwendige Modernisierung der Infrastruktur nicht nur als Belastung für Staat und Gesellschaft sehen, sondern auch als Chance. Wo in Infrastruktur investiert wird, entstehen Arbeitsplätze – nicht nur im Bausektor, sondern später auch in anderen Sektoren wie Industrie, Bildung und Transport. Einer Studie zufolge führt die Erhöhung des Infrastrukturkapitalstocks um 10 % langfristig zu einem Anstieg der Wirtschaftsleistung pro Kopf um bis zu 1 %. Kosten für Infrastrukturprojekte heute sind also Investitionen in den Wohlstand von morgen.

Torsten Jeworrek, Vorstand von Munich Re

04.11.2013 | 10:39

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