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Wo sich Vergangenheit und Zukunft treffen

Der Impuls, den Ludwig Erhard vor knapp 70 Jahren gab, hält bis heute an: Die soziale Marktwirtschaft ist eine der wichtigsten Grundlagen des Wohlstands in Deutschland. Beim Ludwig-Erhard-Gipfel in Rottach-Egern am 8. Januar diskutierten hochkarätige Experten und Entscheider über die großen Themen unserer Zeit. Dabei wurde klar: Digitalisierung, Flüchtlingskrise und wacklige Börsen sind enorme Herausforderungen – dennoch sind Angst oder Verzagtheit fehl am Platz.

Die Zukunft ist alles andere als sicher, gerade deshalb ist Optimismus so wichtig. Mit diesen Gedanken leitet Prof. Dr. Ulrich Reinhardt den Ludwig-Erhard-Gipfel ein und verspricht: „In Zukunft wird alles besser sein als gegenwärtig!“ Zwar sei erstmals „die Angst der Zuversicht Herr geworden“, so Reinhardt. Der Zukunftsforscher, der mit der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg regelmäßig den Blick auf das wagt, was kommt, hat jedoch gute Gründe für eine positive Einstellung. Anhand anschaulicher Grafiken verdeutlicht er, was in den vergangenen Jahrzehnten alles besser geworden ist: Weniger Armut weltweit, höhere Lebenserwartung und vieles mehr. Für ihn bleiben daher zwei wesentliche Fragen: „Wie werden wir, und wie wollen wir in Zukunft leben?“ Ludwig Erhards Traum vom „Wohlstand für alle“ hält er nicht für ausgeträumt, auch weil in der breiten Bevölkerung ein Umdenken stattfinde: Viele Deutsche wollen nicht mehr „reich“ sein sondern „sorgenfrei“.

Reinhardt markiert mit seinem unterhaltsamen Vortrag den Auftakt eines Treffens der Eliten. Der Ludwig-Erhard-Gipfel in Rottach-Egern am Tegernsee, ins Leben gerufen von der Weimer Media Group, will nichts weniger sein als ein „Neujahrsempfang des Freigeistes“, ein Ort des Dialogs und der Begegnung. Dazu kommt es neben den Lunch- und Kaffeepausen vor allem während der Panel-Diskussionen, die sich um Themen wie Digitalisierung oder Wirtschaftstrends und Finanzmärkte drehen. „Vordenker und Querdenker“ waren eingeladen, darunter Banker, Bundes- und Landesminister, ein „Digital Native“, aber auch verdiente Persönlichkeiten der jüngeren deutschen Geschichte. Für erste konkrete Impulse sorgt Georg Fahrenschon, Präsident des deutschen Sparkassen- und Giroverbands. Er erinnert daran, dass die aktuelle Nullzinspolitik der großen Notenbanken ihr Ziel bislang verfehlt hat und für keine wesentliche Besserung der Wirtschaft sorgen konnte. 

Die Belastung der Sparer sei dabei „nur eine Facette“, es gehe vielmehr ums große Ganze. Seinen Verband bezeichnete er als „Arm der sozialen Marktwirtschaft in der internationalen Kreditwirtschaft.“ Fahrenschon spart nicht mit Kritik an der Europäischen Zentralbank: „Die Signale, die die EZB setzt, sind kontraproduktiv. Anleger und Investoren sind durch die Kommunikation einer dauerhaften Krisensituation verunsichert.“ Das große Problem hinter der aktuell wackligen Konjunkturlage sei mitnichten die deutsche Wirtschaft, dort lägen alle Voraussetzungen vor, so Fahrenschon: „Das Ungleichgewicht zwischen Sparen und Investieren ist ein Symptom, keine Ursache der Krise.“ Viel Applaus von den über 350 Gästen erntet der ehemalige Bundestagsabgeordnete mit der Aussage: „Das Motto der EU ist: In Vielfalt geeint. Und heute herrscht Einfalt.“ Den Schlüssel zum Ausweg aus der Krise sieht Fahrenschon im Schuldenabbau. Das derzeitige Überangebot an günstigen Krediten schätzt er kritisch ein: „Dieses ganze billige Geld trägt den Geruch der Krise.“

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Banker mit gemischten Gefühlen für 2016

Ähnlich skeptisch zeigt sich das nachfolgende Banker-Panel, bestehend aus Bernhard Brinker, Bereichsvorstand der HypoVereinsbank für Private Banking und Wealth Management, Martin Mihalovits, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee, und Andreas Schmitz, Aufsichtsratsvorsitzender bei HSBC Trinkaus. Moderator Wolfram Weimer startet die Diskussion mit dem Verweis auf die regelrechte „Horrorshow“, die der Start ins Börsenjahr gewesen sei. Von Bernhard Brinker kommen jedoch beschwichtigende Worte: „Ich halte die Aufregung für ziemlich übertrieben. Dass es am chinesischen Markt zu Korrekturen gekommen ist, dürfte eigentlich niemanden überrascht haben.“ Als Reaktion auf die Krisenstimmung empfiehlt Andreas Schmitz: Diversifizierung beim Anlegen. Das gelte im Übrigen auch für die Emerging Markets, die keinesfalls als homogene Masse gesehen werden dürften. Aber bloß keine zu große Vorsicht, entgegnet Brinker, denn: „Zu Tode gefürchtet ist am Ende auch gestorben.“ Martin Mihalovits kann für 2016 zwar keine Hoffnungen machen, sondern will seinen Kunden „reinen Wein einschenken.“ Die Befürchtungen, dass beispielweise am deutschen Immobilienmarkt eine Blase heranwachse, hält er für unangemessen. Sein Institut habe dennoch oft die Rolle des Bremsers, um Anleger vor falschen Investments zu bewahren.

Die Politik steht bei all diesen Fragen natürlich oft im Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Das merkt man auch der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner an, die sich mit Prognosen naturgemäß zurückhält. Ihr wohl wichtigster Beitrag zum Ludwig-Erhard-Gipfel sind die Momente, in denen sie an die Wichtigkeit des Dialogs erinnert. Ob mit den Handelspartnern aus Russland, China und Iran oder mit den hunderttausenden Flüchtlingen, die Deutschland 2015 erreichten: „Der Handschlag funktioniert nur, wenn beide die Hände reichen.“ Für Wachstum und Integration brauche man deshalb „eine Wirtschaft, die aufnahmefähig ist.“

„Wer Big Data als Gefahr begreift, setzt unsere Zukunft aufs Spiel“

Besonders frischen Wind in die Debatten bringt dann der 21-jährige Philipp Riederle, der sich selbst als „Digital Native“ bezeichnet. Der Jungunternehmer fordert eine massive Förderung von Medienkompetenz und -bildung „unter Berücksichtigung der digitalen Möglichkeiten.“ Seinen Vortrag rund um Digitalisierung und deren Auswirkungen auf das alltägliche Leben, der bisweilen an Stand-up-Comedy erinnert, schließt er mit den Worten: „Seid offen, denn es wird sich nicht mehr zurückdrehen.“ Ähnlich sieht das Alexander Dobrindt. Der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur ist beim zweiten großen Panel der Meinung: „Wer Big Data als Gefahr begreift, setzt unsere Zukunft aufs Spiel.“ Die Digitalisierung werde darüber entscheiden, ob Deutschland „ein Innovationsland oder ein Stagnationsland“ sein werde. Er habe daher rund 2,7 Milliarden Euro für den bundesweiten Breitbandausbau eingeplant, so Dobrindt.

Bei aller Zukunftsmusik gibt es zum Abschluss noch einmal den ausgiebigen Blick in die Vergangenheit. Äußerst lebhaft erzählt die 94-jährige Luise Gräfin Schlippenbach von ihrer Zeit als Referentin in der Presseabteilung Ludwig Erhards. Ihr Chef habe es nicht gern gehabt, wenn man vom „deutschen Wirtschaftswunder“ sprach, „weil er den Erfolg seiner Politik des Forderns und Förderns gegenüber den Bürgern zuschrieb.“ Und bei einer Frage stimmt ihr das Publikum besonders zu: „Können und müssen wir nicht alle wieder etwas von Ludwig Erhard lernen?“

Abtprimas Notker Wolf vom Benediktinerorden, der ebenfalls fleißig mitdiskutiert, präsentiert in der Diskussionsrunde mit Ralf Wittenberg von British American Tobacco Germany, dem FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki und dem „The European“-Gründer Dr. Dr. Alexander Görlach seine ganz eigene Interpretation von Erhards Ideen: „Soziale Marktwirtschaft hat deshalb Erfolg gehabt, weil sie der Natur des Menschen entspricht.“ Kubicki nimmt das zum Anlass für einen Scherz: Er werde Christian Lindner vorschlagen, Notker Wolf unter Vertrag zu nehmen – so liberal, wie seine Ausführungen klängen.

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Eine besondere Ehre zum Abschluss

Horst Teltschik, enger Vertrauter des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl und langjähriger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, hat am Ende des Ludwig-Erhard-Gipfels eine besondere Aufgabe: Er hält eine Laudatio auf den ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, mit dem er auch zahlreiche persönliche Erfahrungen verbindet. Der 84-Jährige war vor wenigen Wochen erkrankt und konnte daher nicht persönlich zum Elitentreffen an den Tegernsee kommen – eine Tatsache, die ihn nach eigener Aussage sehr schmerzte. Denn Gorbatschow verbindet auch Familiäres mit dem Tal, seine Tochter besitzt dort ein Haus. Die Verleihung des Freiheitspreises der deutschen Medien fand dennoch statt, allerdings in Moskau. 

Das ZDF begleitete die Feierlichkeiten mit der Kamera, sodass die Gäste in Rottach-Egern nachträglich an der Übergabe des Preises teilhaben konnten (s. Bilder). Teltschiks abschließende Worte sorgten für langanhaltenden Applaus: „Wir sind und bleiben Gorbatschow zu tiefstem Dank verpflichtet. Er hat Deutschland, Europa und die Welt friedlich verändert.“ Eine positive Veränderung für die Zukunft erhoffen sich wohl auch alle Teilnehmer des diesjährigen Ludwig-Erhard-Gipfels – eine dialogische Basis ist schon gelegt. Bis zum 20. Januar 2017 könnte dann alles schon ganz anders aussehen. Dann soll der zweite Gipfel im Namen von Ludwig Erhard am Tegernsee stattfinden.

Marius Mestermann

09.01.2016 | 11:37

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