Auto1 rast mit Vollgas ins Risiko
Der Gebrauchtwagenhändler geht an die Börse. Doch das letzte Jahr lief bescheiden, die Umsätze sanken und von Gewinn keine Spur. Dennoch dürfte die Nachfrage zunächst für einen Kurssprung der Aktie sorgen. Die Hoffnung der Anleger: Auto1 besetzt einen Markt, bevor ihn Amazon für sich erobert.
Der sonst so redselige Gebrauchtwagenhändler auf dem Kiesplatz um Stadtrand fragt nach: „Auto1? Nee, kenne ich nicht.“ Vielleicht liegt es daran, dass der Mann, der sich als „Willy“ vorstellt, mit seinen knapp 20 Autos auf dem Hof, die alle unter 5000 Euro kosten, bislang nicht die Kernzielgruppe ist von Auto1. Aber das soll sich mit dem morgigen Tag ändern.
Die Auto1 Group, ein mit neun Jahren nicht mehr ganz junges Startup aus Berlin, geht an die Börse. Und ein Teil des Geldes, es sollen am Ende 750 Millionen Euro aus dem Gesamterlös des Börsengangs sein, wird die Gruppe um CEO und Mitgründer Christian Bertermann in Werbung investieren. Die Berliner wollen am Ende auch für die Kiesplatzhändler der Republik ein Begriff sein, wo bisher Autobörsen wie „mobile.de“ und „autoscout24.de“ dominieren. Und das kostet Geld.
Barometer für den deutschen Aktienmarkt
Knappe Kassen allerdings werden von morgen an nicht mehr das vordringlichste Problem des digitalen Autohändlers sein. Der Börsengang der Gebrauchtwagenplattform dürfte den Eigentümern gut 1,8 Milliarden Euro einbringen. Was nicht in Wachstum investiert wird, soll helfen, Schulden abzubauen. Das Unternehmen hat die Preisspanne mit 38 Euro am oberen Ende des Möglichen festgelegt. Die Aufmerksamkeit der Investoren ist entsprechend groß. Der Börsengang ist ein Barometer dafür, wie der Aktienmarkt abseits aller kurzfristigen Hypes in Deutschland gerade wirklich tickt. Im vergangenen Jahr hatten sich unter dem Eindruck der Pandemie lediglich vier neue Firmen aufs Börsenparkett begeben.
Das Geschäftsmodell der Berliner sieht so aus: Die Gruppe kauft über digitale Kanäle wie „wirkaufendeinauto.de“ Gebrauchtwagen von privaten Verkäufern und von Händlern. Sie verkauft sie ebenfalls an beide Gruppen, wobei hier die Plattform „Autohero“, die Fahrzeuge an Privatpersonen verkaufen soll, noch kräftig ausgebaut wird. Die Verkaufswege an Händler über das Portal Auto1.com funktioniert bereits. Der Clou ist die Plattform selbst, die wie eine Datensammelmaschine funktioniert. Hier laufen Kauf- und Verkaufspreise der Fahrzeuge ein, und das Unternehmen verschafft sich so in einem bislang zersplitterten Markt eine mit jeder Transaktion besser werdende Übersicht über erzielbare Preise in inzwischen 30 Ländern. Im Jahr 2019 hat das Unternehmen nach eigenen Angaben im Schnitt ein Auto mit 556 Euro Aufschlag weiterverkauft. Der Umsatz pro Fahrzeug belief sich auf 5646 Euro. In den ersten neun Monaten 2020 stiegen die Werte auf 597 Euro Aufschlag pro Auto und einen Umsatz pro Fahrzeug von 6029 Euro. Dies gilt für den Händler-Bereich. Bei den Verkäufen an Privatkunden erwartet Auto1 höhere Zahlen. „Mehr als 1.000 Euro“ soll der Gewinn je Fahrzeug dort betragen.
Der Markt läuft nicht rund
Wie immer liegt in der rosigen Prognose das höchste Risiko. Der Autoverkauf schleppt sich in Deutschland etwas mühsam dahin. Nach Daten der Deutsche Automobil Treuhand war das Jahr 2020 am Gebrauchtwagenmarkt schwierig: Mit rund sieben Millionen Besitzumschreibungen lag die Zahl unter der des Vorjahres. Corona lässt grüßen, dazu kommt der Strukturwandel in der Automobilindustrie: Auch Gebrauchtwagenkäufer schrecken davor zurück, sich noch über Jahre an Autos mit Verbrennungsmotor zu binden, die beim Wiederverkaufswert stark unter Druck geraten.
Das schlägt sich in den Büchern von Auto1 nieder: In den ersten neun Monaten des Jahres 2020 ging der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr von 2,53 auf 2,05 Milliarden Euro zurück. Im vierten Quartal, für das noch keine Zahlen öffentlich vorliegen, dürfte der neuerliche Lockdown das Geschäft auch nicht wesentlich belebt haben. Die Gruppe verdient neun Jahre nach ihrer Gründung noch keinen einzigen Cent. Bei einem Umsatz von 2,8 Milliarden Euro hat der bereinigte Betriebsverlust (Ebitda) von Auto1 nach vorläufigen Berechnungen laut Börsenprospekt zwischen 14,8 und 15,8 Millionen Euro gelegen. Die bisherigen Eigentümer haben es auch nicht eilig, das zu ändern. Das Geld aus dem Börsengang wollen sie in Wachstum investieren. Die Gewinnzone für das Unternehmen mit seinen gut 4000 Mitarbeitern peilen sie für das Jahr 2024 an.
Die Deutschland AG lässt grüßen
Immerhin könnte das Unternehmen den 600 Milliarden Euro großen Gebrauchtwagenmarkt in der Europäischen Union konsolidieren. Das jedenfalls ist die Hoffnung der Strippenzieher im Hintergrund. Die Altaktionäre – von denen der japanische Tech-Investor Softbank mit 20 Prozent der größte ist – haben über eine Mehrzuteilungsoption weitere sechs Millionen Aktien platziert. Zwei Investoren der ersten Stunde – Sequoia Capital und Lone Pine – kaufen zusammen für rund 300 Millionen Euro Aktien zum Angebotspreis. Mit Gerhard Cromme hat die Auto1-Group zudem einen Aufsichtsratsvorsitzenden, der das Bindeglied zwischen dem Berliner Startup und jener nur noch in Puzzlestücken zu erkennenden alten Deutschland AG ist. Cromme leitete Konzerne wie Siemens und ThyssenKrupp bevor er sich aus den operativen Geschäften zurückzog und seither als vielbeschäftigter Multiaufsichtsrat unterwegs ist. Ihm zur Seite steht mit Gerd Häusler an der Spitze des wichtigen Prüfungsrats im Aufsichtsgremium ein altgedienter Fahrensmann der deutschen Finanzwirtschaft, der zuletzt als Vorstandschef der Bayerischen Landesbank eine führende Position bekleidet
hatte.
Sie alle haben die gleiche Hoffnung wie die Anleger, die morgen zum Zug kommen wollen: Die Auto1 Group soll die Plattform für den Autohandel werden, bevor Amazon auch diese Branche für sich erobert.
oli
03.02.2021 | 13:27