Unsere Medien sind zu staatsnah
Ein Großteil der Deutschen traut sich nicht mehr, seine Meinung frei zu äußern. Die überbordende politische Korrektheit untergräbt zusehends die Demokratie. Medien erleiden ein Glaubwürdigkeitskrise. Vor allem die Öffentlich-Rechtlichen sind einfach zu staatsnah
Von Wolfram Weimer
Eine aktuelle Allensbach-Umfrag kommt zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Deutschen die Meinungsfreiheit in Gefahr sieht. Nur noch 45 Prozent der Deutschen haben demzufolge das Gefühl, die politische Meinung könne frei geäußert werden. Das ist der niedrigste Wert in einer solchen Allensbach-Umfrage seit 1953. Wer aber macht die Meinungskorridore eng? Es ist nicht die Regierung, eine Zensurbehörde oder eine übermächtige Partei. Die politische Macht verhindert nicht, dass wir in Deutschland kritisch über alles berichten und uns offen austauschen können. Und wenn einmal einer wie Otto Schily aus Wut über Kritik eine Redaktion durchsuchen lässt (wie in meinem Fall mit dem Magazin Cicero passiert), dann wehren wir uns und spätestens das Verfassungsgericht steht Pressefreiheit und Quellenschutz unverbrüchlich bei.
Unser heutiges Problem mit der Meinungs- und Pressefreiheit ist ein anderes. Wir sind es selbst, die die Pressefreiheit schwächen, weil wir sie nicht nutzen. Wir Medien verfallen zu häufig in Mehrheitsmeinungen, Selbstzensur und Opportunismus, und einige von uns verstehen sich als Lobbyisten des Guten. Das aber ist ein Fehler und untergräbt die Pressefreiheit von innen heraus.
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“ Diese fordernde Beobachtung der Journalisten-Legende Hajo Friedrich ist ebenso klug wie richtig - nur wird sie immer häufiger missachtet. In den vergangenen Jahren haben deutsche Medien sich geradezu lustvoll mit vermeintlich guten Sachen gemein gemacht. Ob Klimapolitik oder Euro-Rettung oder Pegida-Beschimpfung oder Pandemiebekämpfung oder Migranten-Willkommenskultur - zu viele Medien waren zu sehr damit befasst, der jeweils offiziellen Regierungspolitik nicht nur die Mikrofone zu halten, sondern die eigenen Verstärker voll aufzudrehen. Nicht dass die Regierung bei diesen Themen grundsätzlich falsch liegen würde, aber wenn die Medien ihre kritische Kontrollfunktion nicht mehr wahrnehmen, sondern sich gemein machen mit der Macht und ihrer vorgeblichen Tugend - dann verkleinern sie sich zu gefühlten Propagandisten, dann deformieren sie die politische Kultur, dann verlieren sie Glaubwürdigkeit und Legitimation. Dann entsteht im Land repressives Meinungsklima, das jeder, der zum Beispiel die Pandemiepolitik kritisiert, gleich in eine rechte oder irre Querdenkerecke gestellt wird. Am Ende schadet der Konformismus des Guten der Pressefreiheit und Demokratie.
Denn wenn alle nur das vermeintliche Gute der Obrigkeit wiedergeben, dann entsteht eine autoritäre Form der politischen Korrektheit. Ein Zuviel des Guten wird selber schlecht. Denn in einer Demokratie, in der Medien zu Besserungsanstalten der Nation mutieren, wird plötzlich „das Ungesagte zum Eigentlichen“ (Martin Walser). Millionen Deutsche aus der Mitte der Gesellschaft meinen, man müsse in Deutschland vorsichtig sein, seine Meinung zur Flüchtlingsfrage zu äußern. Die Hälfte der Bevölkerung hält also die Meinungsfreiheit derzeit für nicht gewährleistet - ein katastrophaler Befund für Medien, die vielfältige Meinungen eigentlich sichtbar machen sollten, und auch für den Zustand unserer Demokratie. Offensichtlich haben die Medien ein Kommunikationsfeld definiert, auf dem es diejenigen gibt, die am Münchener Hauptbahnhof die Flüchtlinge jubelnd willkommen heißen und diejenigen, die wütend bei der AfD mitmarschieren. Was aber ist mit der übergroßen Mehrheit dazwischen?
Wenn linksverschrobene Verschwörungstheoretiker oder rechtsextreme Dumpflinge Deutschlands Medien als kollektive „Lügenpresse“ diffamieren, dann ist das natürlich demagogisch und eine Lüge in sich selbst. Gleichwohl spaziert die Vokabel so verdächtig erfolgreich durchs Land, weil sie ein weiträumiges und wachsendes Misstrauen der Bevölkerung zu den Medien direkt anspricht. Es ist eben ein Unterschied, ob Sigmar Gabriel protestierende Ostdeutsche als „Pack“ beschimpft oder ob die Mehrzahl der Medien ihm hernach in einer kollektiven Sachsen-Demontage damit folgt. Nach einer Studie von infratest dimap (im Auftrag der „Zeit“) hat mittlerweile die klare Mehrheit der Deutschen, insgesamt 60 Prozent, wenig (53 Prozent) oder gar kein (7 Prozent) Vertrauen in die Medien. Auch das Allensbacher Institut für Demoskopie misst, dass sich nur ein knappes Drittel der Bevölkerung in den Medien „ausgewogen" informiert sieht, fast die Hälfte der Bevölkerung empfindet die Berichterstattung als „einseitig“.
Nun konnte man hoffen, dass die Deformation unserer Medienfreiheit ein vorübergehendes Phänomen der Migrationskrise gewesen sei. Tatsächlich aber zeigt sich der gleiche Befund seither auch bei anderen Großthemen. In der Pandemie- oder Klimapolitik betreiben Medien zu gerne monokausale Weltverbesserung, wollen auch hier Teil einer Rettungsaktion der Guten werden und folgen in großer Uniformität allen möglichen Ansagen der jeweiligen Regierungsposition. So wollten Medien monatelang kaum darüber berichten, dass der Coronavirus womöglich aus einem chinesischen Staatslabor entwichen sein könnte. Ein Hamburger Professor, der eine Faktensammlung zu dieser These veröffentlichte, wurde zum Aussätzigen der Gesellschaft. Anderes Beispiel: Deutschlands Medien verbreiten weithin unkritisch die Behauptung Berlins, die Welt werde sich von der Kernenergie verabschieden und also dem radikalen Beispiel Deutschlands folgen. Dass das glatte Gegenteil der Fall ist und derzeit weltweit so viele Kernkraftwerke neu geplant werden wie nie zuvor, dass selbst Japan die Meiler wieder hochfährt und auch unsere unmittelbaren Nachbarn neue bauen, findet keine Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. Ähnlich verhält es sich in der Euro-, Syrien- oder Ukrainekrise. Der Mainstream unserer Medien folgt blind der Berliner Regierungsperspektive bei diesen Konflikten. Das führt dann dazu, dass - nach einer vom NDR beauftragten Umfrage - verstörende 63 Prozent der Bundesbürger den Medien nicht mehr vertrauen, wenn es um die Ukraine-Berichterstattung geht.
Sehr viele Bundesbürger (44 Prozent) halten heute ernsthaft unsere Medienlandschaft sogar für „von oben" gesteuert. Das wirft die Frage auf, in welchen Teilen unseres Medienbetriebes das womöglich in Teilen der Fall ist. Ist unser öffentlich-rechtliches Mediengeflecht, das die Meinungsbildung im Land maßgeblich bestimmt, vielleicht zu mächtig, dominant und bevormundend? Ist dieses System aus politischen Partei-Interessen nicht schlichtweg zu staatsnah, wie es das Verfassungsgericht bereits angemahnt hat? Ist es für die Meinungsvielfalt nicht schädlich, wenn dieses staatsnahe, super-alimentierte System jedes Jahr mehr als 8 Milliarden Euro an Zwangsbeiträgen erhält, hingegen freie, unabhängige Medien wie die FAZ wirtschaftlich schwer leiden? Wieso sind politische Berichte in ARD und ZDF so einseitig rot-grün gefärbt? Sollten wir das ZDF nicht besser privatisieren und aus den Fängen der Parteien endlich befreien? Verstehen sich unsere Öffentlich-rechtlichen zu sehr als bevormundende Volkserzieher und Supernannys des Guten? Die gegenwärtige Debatte über eine Reform von ARD und ZDF ist daher mehr als nur eine Nachjustierung der Refinanzierung. Es geht um die Meinungsbalance in der Republik - und die muss dringend breiter und offener werden.
08.07.2021 | 17:32