Höhepunkte eines Vermieterlebens
Als Verwalter seiner eigenen Immobilien erlebt Hans-Martin manchmal ungeheuerliche Geschichten. Hier wird er darüber berichten. Dies ist die erste Folge – schon jetzt dürfen Sie, liebe Leser, sich vor der zweiten Folge gruseln.
Von Hans-Martin Esser
Im Herbst 2009 nahm ich einen damals knapp 40jährigen Mann unter Vertrag als Mieter für eine 60-Quadratmeter-Wohnung. Die Verhandlungen verliefen unauffällig. Er fragte nach, ob es in Ordnung sei, dass er Hartz-IV kassiere, das „Amt“ also seine Miete bezahle. Für mich stellte das kein Problem dar. Außerdem wollte er auf seiner Mietbescheinigung quittiert haben, dass er in der Wohnung zwei Töchter alle 14 Tage für ein Wochenende zu Gast habe. Kein Problem, dachte ich.
Doch dann zog er mit Frau und vier Kindern in diese Wohnung ein – sechs Personen auf 60 Quadratmetern. Er stellte mir seine 3, 4, 5 und 6 Jahre alten Kinder allen Ernstes als „Umzugshelfer“ vor, die Kartons geschleppt hätten. Vom ersten Tag an fühlten sich die anderen fünf Mietparteien im Haus belästigt, allesamt – wie Martin Schulz sagen würde – „hart arbeitende Menschen“, die teilweise um 5 Uhr morgens aufstehen, um das Geld zu erwirtschaften, was nötig ist, um arbeitslose Großfamilien zu finanzieren.
Man muss nicht arbeiten, wenn man jedes Jahr ein Kind zeugt. Vermieter-Kollegen sprachen mich auf meinen Mieter an; es stellte sich heraus, dass der bei seiner Strategie blieb. Das Welfare-Kid-System funktioniert. Je weniger man für die Kinder tut, umso mehr staatlich gestellte Betreuer und Zuwendungen gibt es, weshalb es für einen derart Kalkulierenden nicht zweckdienlich ist, die Kinder überhaupt zu irgendetwas zu erziehen, so dass Verwahrlosung und Motivationsmangel vorprogrammiert sind. Zynisch ausgedrückt sorgt ein jährlich neu in die Welt gesetztes Kind dafür, dass man in dessen Namen wieder ein Konto eröffnen und Waren bestellen kann, nachdem alle anderen Namen bereits in einschlägigen Schuldnerlisten auftauchen, so dass die Kinder bereits eine negative Schufa-Eintragung haben, bevor sie „Papa“ sagen können.
Er, der Neue im Haus, nahm seinerzeit keine Rücksicht auf eigene Kleinkinder oder sonst wen. Permanent liefen auf seinem Rechner Ballermann-Hits der in enervierender Lautstärke bis 3 Uhr morgens. Saufkumpanen, ebenfalls ohne Job, besuchten ihn unter der Woche. Glücklicherweise ist in dem Jahr niemand der anderen Mieter ausgezogen. Oft genug mussten morgens, wie mir Nachbarn im Haus berichteten, Ordnungshüter das schulpflichtige Kind abholen. Nach außen hin wurde zudem behauptet, er sei von der Frau getrennt, was offenbar der Maximierung des Sozialeinkommens dienen sollte. Sehr erbost war er, als ich es dem zuständigen Amt meldete, dass dies keineswegs den Tatsachen entspreche, er nicht getrennt sei. Warum das?
Ganz einfach. Geschiedene Partner kassieren mehr, die Trennung war Inszenierung. Die Frau kam von einem 100 Kilometer entfernten Ort, überhaupt war am Ende klar, dass beide jährlich ihren Wohnsitz wechselten. Meine Vermutung geht in die Richtung, dass die Frau mit den Kindern eine recht große Wohnung vom zuständigen Amt der 100 Kilometer entfernten Stadt finanziert bekam, das Geld aber nicht an den betreffenden Vermieter weiterleitete. Warum sonst quetschten sich sechs Personen in eine kleine Wohnung, wobei nur einer als Mieter gemeldet war und lediglich zwei Töchter als Gelegenheitsgäste fungierten? Von den monatlich rund 600 Euro inklusive Nebenkosten, die man dem Kollegen vermutlich nicht weiterleitete, ließ sich, wenn meine Vermutung stimmte, so manches finanzieren.
Der Vermieterkollege war noch schlechter dran als ich. Eine „alleinerziehende“ Mutter mit vier kleinen Kindern auch bei lang ausbleibenden Mietzahlungen quasi gar nicht aus der Wohnung zu bekommen. Aufgrund der Entfernung der zwei Wohnungen – 100 Kilometer – ist ein Datenabgleich der weit voneinander entfernten Behörden höchst unwahrscheinlich, so dass es lange Zeit nicht auffiel.
Der Mieter selbst – so stellte sich beim Auszug heraus – hatte im Jahr 2000 bereits „die Finger gehoben“, mehrfach waren Anklagen wegen Betruges gefolgt. Auf den Namen der Kinder wurden Konten eröffnet und bei Versandhäusern Produkte bestellt, die weitgehend unbenutzt zurückgelassen wurden. Allerdings musste er trotz permanenten Verstoßes gegen Bewährungsauflagen nicht ins Gefängnis, da er im Zweifel ja „alleinerziehender“ Vater war.
Zur weiteren Versorgungslogik: das zuständige „Sozialkaufhaus“ sorgt für kostenlose Möbel und den Aufbau, aber eben nicht den Auszug, weshalb man den Krempel besser zurücklässt und dann neu „einkauft“. Da die zuständigen Sozialverbände an einer guten Auslastung ihres Sozialkaufhauses interessiert sind, haben sie kaum Anstoß an der Praxis des Hit-and-Run-Mietens zu nehmen, zumal dort viele Sozialarbeiter im Auslastungsgrad ihre Existenzberechtigung sehen: ein narrensicheres System. Und wie wir von Niklas Luhmann wissen, ist ein System nur mit den eigenen Logikmechanismen zu bewerten – und nicht etwa mit Moral.
Und weiter ging es mit immer neuen Überraschungen. Ein deutscher Edel-Süßwarenhersteller schickte meinem Mieter eine 10-Kilogramm-Kiste auf Rechnung. Mir fehlt es an Phantasie zu glauben, dass diese auch beglichen wurde. Beim Auszug blieb die Schokolade nebst Müllbergen im Keller zurück. Unmengen an benutzten Windeln und nur langsam verwesenden Hamburgern – Lebensmitteln also – blieben zurück sowie interessanterweise Schlangenhäute und leere Terrarien.
Telefonisch hatte ich meinen Mieter einmal sehr deutlich ermahnt, nachdem er mich per Anrufbeantworter aufforderte, Dinge reparieren zu lassen, die er selbst beschädigt hatte. Ein Wunder war es da, dass seine Mietschulden bei mir am Ende gar nicht so sehr aufgehäuft waren. Mit sechs Personen lebte er dort, das „Amt“ zahlte reichlich, die Familie aber wusch sich wohl so wenig, dass der für eine Person ausgelegte Verbrauch ausreichte, lediglich rund 17 Euro Nachzahlung fielen jedenfalls an. Und das meine Vermutungen zur Hygiene einen gewissen Hintergrund haben mochten, war daran zu sehen, dass die Badewanne zur längerfristigen Deponierung von Müll genutzt wurde – und nicht zu Zwecken der Hygiene.
Zum Glück verließ der unbequeme Mieter nach bereits einem Jahr das Haus; er zog in ein 500 Meter entferntes Anwesen. Nach sechs Briefen an die neue Adresse, die ihn aufforderten, die vermüllten Räume besenrein zu übergeben, öffnete ein Schlüsseldienst aufgrund austretenden Gestankes die Tür. Mit gewisser Anspannung betrat ich mein Eigentum.
Die Kinder hatten die Wände beschmiert. Das war ein Schlag, denn das war ein großer Vermögensschaden für mich – die Vermietung hätte ich mir besser gespart. Ein Jahr Leerstand wäre wesentlich billiger gewesen. Während der Renovierungsarbeiten trat plötzlich der zum Glück Verzogene wieder auf – in Begleitung eines am Hals tätowierten Kombattanten. Die Herren hatten zuvor schon die Polizei gerufen: man sei in ihre Wohnung eingebrochen. Die Polizisten, die auch prompt erschienen waren, fielen nach kurzer Information durch mich auf diesen Mummenschanz nicht herein. Die Gefahr war abgewehrt, aber die Bemühungen, mein Eigentum in einwandfreiem Zustand zurückzuerhalten, verliefen damit eben auch im Sande. Was ich mir nach der Vorgeschichte hätte denken können.
Ein kleiner Schlag kam dann noch hinterher. Für die Anmeldung seines Stroms war er selbst zuständig gewesen. Ganz offensichtlich hatte er sich bewusst mit einem viel zu niedrigen Stand angemeldet, um dann im Nachgang behaupten zu können, der „grotesk hohe“ Endstand bei Auszug könne nicht stimmen, weshalb er – folglich – auch die Stromrechnung nicht begleichen müsse. Was er, inzwischen von mir so erwartet, dann auch nicht tat. Beim Einzug hatte er einen Freund mitgenommen, damit der ihm seine Sicht der Dinge bezeugen möge, was der auch getan haben muss. Aber mit jedem Stromschlag wird man etwas schmerzfreier, auch als Vermieter.
Und wo der Familienvater und mutmaßliche Sozialbetrüger wenigstens noch seine Miete zahlte, wofür ich angesichts der umstände dankbar zu sein hatte, langte eine junge Mieterin, ebenfalls eine Hartz-IV-Empfängerin, kräftiger hin. Sie wohnte in einer völlig einwandfreien Wohnung, behauptete aber steif und fest, in dieser Wohnung sei Schimmel – und natürlich minderte sie die Miete. Doch sie wollte in der Wohnung bleiben, was angesichts dieser Behauptung eher unerwartet kam. Ich teilte ihr mit, dass die Wohnung einwandfrei sei, sie zog vor Gericht. Ohne auch nur den Anschein eines Beweises – Fotos zum Beispiel – vorlegen zu können, wurden ihr von einem Richter insgesamt drei Gutachter zugestanden, die ihre Behauptung überprüfen sollten. Nach anderthalb Jahren und rund 3.000 Euro Verlust für mich durch Mietminderung bot sie an, sie zöge aus, wenn sie 3000 Euro „Umzugshilfe“ bekäme. Und dann sei sie auch bereit, einzugestehen, dass die Geschichte vom Schimmel in Wirklichkeit eine Geschichte vom Pferd sei – also: frei erfunden.
In der nächsten Episode wird die Frage beantwortet, ob ein von außen an die Klinke einer Wohnungstür gehängtes Duftbäumchen olfaktorisch gegen den Verwesungsgeruch im Hausflur ankommt, wenn hinter der Tür ein seit zwei Wochen Verstorbener liegt. Und das in den Wochen der größten Sommerhitze.
15.03.2017 | 18:42