Kann Scholz Krise? Der neue Kanzler muss zupacken statt zaudern
Olaf Scholz startet als Kanzler mitten in der vierten Corona-Welle. Als Krisenmanager hat er sich bisher aber nicht bewährt. Im Gegenteil: Bei den Ausschreitungen während des G20-Gipfels hat er als Bürgermeister eine schlechte Figur gemacht. Wird der Zauderer von einst zum Zupacker von heute?
Koalitionsverträge sind das eine, die Wirklichkeit ist das andere. Die neuen Koalitionäre in Berlin geben sich in ihrem druckfrischen Vertrag schmallippig, was die Bekämpfung der Corona-Pandemie anbelangt. Ein Krisenstab wird eingerichtet, mit welchen Befugnissen und wer darin sitzt – dazu steht erstmal nichts im Vertrag. Um so mehr kommt es auf Kanzler Olaf Scholz selbst an, der als Krisenmanager die heikle Corona-Lage in den Griff bekommen muss, und diese Aufgabe von Angela Merkel erbt. Kaum im Amt, muss sich Scholz bewähren und die Frage ist: Kann er Krise? Ist der Hamburger einer wie sein Vorvorgänger als SPD-Kanzler: Helmut Schmidt, dessen große Stunde einst bei der Bekämpfung der Flut in der Hansestadt schlug?
Bisher hat Scholz vor allem eines gezeigt: Persönliche Krisen sitzt er aus. Den Milliardenskandal um Wirecard hat er nicht rechtzeitig gesehen, was ihn mit vielen anderen verbindet. Nur: Als Finanzminister oblag seinem Ministerium die Kontrolle über die Finanzaufsicht, und die hatte sich im Fall Wirecard ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert. Im Untersuchungsausschuss, der Licht ins Dunkle der Wirecard-Affäre bringen sollte, musste sich Scholz mit dem Verweis auf Gedächtnislücken aus einer peinlichen Befragung retten. Ähnlich lautete die Strategie im sogenannten Cum-Ex-Betrug um die Hamburger Warburg-Bank, die ihren Kunden geholfen hat, sich Steuern zu Unrecht erstatten zu lassen. Als sie deswegen selbst in die Bredouille geriet, wandte sie sich an Scholz als Hamburger Bürgermeister. Ob das geholfen hat – darüber herrscht bis heute keine Einigkeit.
Eine Krise, die zumindest für ein paar Tage nicht nur eine persönliche des Olaf Scholz, sondern eine nationale Peinlichkeit war, hat Scholz dagegen dermaßen sträflich gemanagt, dass viele seine Karriere damit für erledigt gehalten hatten: „Wir können die Sicherheit garantieren“, hatte der damalige Hamburger Bürgermeister Scholz versprochen und war während des G20-Gipfels in seiner Stadt mit Ex-US-Präsident Donald Trump, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Konzert in die Elbphilharmonie gegangen. Währenddessen begannen im alternativen Hamburger Schanzenviertel die schlimmsten Ausschreitungen, die die Stadt bis dahin erlebt hatte. Er hatte die Lage unterschätzt. Das darf ihm nun bei Corona nicht noch einmal passieren. „Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch", lautet ein Satz des künftigen Kanzlers. Er muss ihn jetzt unter Beweis stellen.
Bislang waren seine Ansagen in der Corona-Politik aber eher leise. Als sich die Ampelkoalitionäre jüngst aufmachten, die epidemische Lage nationaler Tragweite durch eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes zu ersetzen, hielt sich Scholz öffentlich komplett raus. Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags fand er immerhin ernste Worte: „Corona ist nicht besiegt – leider“, sagt er, lobte dann das, was die Ampel bisher getan hat, und ließ alles weitere offen.
Wer daraufhin den Koalitionsvertrag nach Lösungen gegen die Pandemie durchsucht, wird nur begrenzt fündig: Im Vergleich zur aufgeregten öffentlichen Diskussion, ist in dem Koalitionspapier von Corona nur am Rande die Rede. Die wichtigste Feststellung der künftigen Regierungsparteien zum weiteren Umgang mit der Epidemie findet sich erst auf Seite 175 des 177 Seiten langen Vertragswerks: „Wir werden“, kündigen die Ampelparteien an, „das Krisenmanagement der Bundesregierung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie neu ordnen. Hierzu setzen wir unverzüglich einen gemeinsamen Krisenstab der Bundesregierung ein, um die gesamtstaatliche Bekämpfung der Corona-Pandemie besser zu koordinieren.“ Zur wissenschaftlichen Begleitung soll ein interdisziplinär besetzter wissenschaftlicher Pandemierat beim Bundesministerium für Gesundheit geschaffen werden. Welche Legitimation der Krisenstab hat, und was er verbindlich beschließen kann, steht nicht im Vertrag.
Grünen Co-Chef Robert Habeck hatte jüngst in einem TV-Interview anders als Scholz deutlicher gemacht, wohin die Reise geht: Eine Kontaktunterbindung soll für Ungeimpfte möglich sein. „Kontaktuntersagung oder 2G-Regelung heißt in weiten Teilen: Lockdown für Ungeimpfte.“ Ausgeschlossen werde nur eine Möglichkeit, sagte Habeck: Ein flächendeckender Lockdown ohne Unterscheidung für Geimpfte und Ungeimpfte. „Umso mehr schaffen wir die Möglichkeit mit 2G, 2G+ Regeln, gezielten Absagen von Veranstaltungen, auch Kontaktsperren für Ungeimpfte, weitere Regeln differenziert anzuwenden."
Im Vertrag selbst geht es weniger darum, wie die aktuelle Corona-Welle gestoppt werden kann, als vielmehr darum, wie die Wirtschaft damit klarkommen soll. Tenor der Aussagen ist, dass die entsprechenden Hilfen verlängert werden. Mit Blick auf die Soloselbständigen wollen die Ampelparteien beispielsweise die Neustarthilfe im Rahmen der Überbrückungshilfe III Plus so lange wie benötigt fortführen. Mit Blick auf den Einzelhandel kündigte die neue Koalition an: Wir werden die Rückzahlung der Corona-Hilfen prüfen, was so viel heißt wie: Im Einzelfall kann möglicherweise jemand, der mit der Rückzahlung rechnete, das Geld doch behalten. Den Betreibern des öffentlichen Personennahverkehrs, also meistens Länder und Kommunen, versprechen Scholz und seine Koalitionäre: „2022 werden wir die pandemiebedingten Einnahmeausfälle wie bisher ausgleichen.“ Und ganz allgemein ist sich die Ampelkoalition einig: Nach Corona brauche Deutschland Wirtschaft einen neuen Aufbruch, den man unterstützen wolle.
Eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung der Pandemie soll der oder die Neue im Amt des Gesundheitsministers spielen. Ganz gleich allerdings wer es wird, die Lage ist so beunruhigend, dass es auf den neuen Kanzler selbst ankommen wird. Die Feuertaufe steht ihm damit gleich in den ersten Tagen seiner Amtszeit bevor.
Oliver Stock
25.11.2021 | 12:53