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Die Meister des Stinkefingers

Deutschland staunt über die Fehltritte des griechischen Finanzministers. Der begibt sich in eine Schmierenkomödie und folgt zusehends der Tradition des Stinkefinger-Erfinders und Philosophen Diogenes.

Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis hat es binnen weniger Wochen geschafft, zum unseriösesten Spitzenpolitiker Europas abzusteigen. Sein Halbstarken-Rollenspiel aus coolem Bruce-Willis-Gehabe, vulgär­sozialistischer Demagogie und lederjackenhafter Sponti-Frechheit fasziniert und erschreckt das staunende Publikum von Lissabon bis Lettland zugleich.

Selbst Sigmar Gabriel ­wettert: „Es reicht jetzt!“ Die rüden Attacken auf Deutschland und die persönlichen Beleidigungen von Finanzminister Schäuble ­seien unerträglich: „So geht man nicht miteinander um!“ Schäuble selbst scheint vor den Eskapaden der Linksregierung in Athen zu resignieren: „Sie haben alles Vertrauen zerstört. Das ist ein schwerer Rückschlag“, sagte er bei einer Diskussionsveranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Er warf der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras vor, nicht nur Absprachen zu brechen, sondern auch die Griechen zu belügen – indem sie die Schuld immer nur bei Berlin, Brüssel und dem Rest Europas suche.

Im griechischen Drama macht sich auch deshalb Fassungslosigkeit breit, weil die Varoufakis-Show Elemente einer Schmierenkomödie zeigt. So ist sein Streit mit Günther Jauch um das Stinkefinger-Video von hoher Peinlichkeit. Griechenlands Finanzminister beteuert – entgegen Zeugenaussagen –, dass die Aufnahme „ohne jeden Zweifel gefälscht“ sei. Das ist eine kühne Behauptung, denn sie bezichtigt die ARD der Lüge und Manipulation. Die Redaktion von Günther Jauch führt aber ziemlich überzeugende Experten ins Feld, die die Echtheit des Films bestätigen.

Seit Stefan Effenberg und Peer Steinbrück sollte man wissen, dass in Deutschland mit dem Stinkefinger nicht zu spaßen ist.Nun ist die vulgäre Geste eine uralte Erfindung der Griechen, gewissermaßen ein kulturelles Erbe der antiken Hellenen. Als Erfinder der Mittelfinger-Provo­kation gilt der Philosoph Diogenes. Der soll Besuchern von Athen, die sich nach dem Politiker und Redekünstler Demosthenes erkundigt haben, den mittleren Zeigefinger vorgehalten und gerufen haben: „Da habt ihr euren Demagogen.“

Mit Diogenes verbindet Varou­fakis offenbar ein tieferes Einverständnis, da ist die Vulgär-Geste nur ein erster „Fingerzeig“. Denn Diogenes verkörperte in der Antike zugleich das anarchische Prinzip. Er lebte in einem Fass, verachtete die Umgangsformen der Gesellschaft und mehr noch alle Autoritäten. Als Alexander der Große ihn einmal fragte, womit er ihm denn eine Freude machen könne, soll Diogenes geantwortet haben: „Geh mir aus der Sonne.“ Auch das erinnert zuweilen an den Umgang von Varou­fakis mit Merkel und Schäuble.

Diogenes predigte, dass der Mensch sich von allen Zwängen frei machen müsse (er plädierte gar für öffentliche Masturbation), auch von allen Staatsformen, da „die einzige wahre Staatsordnung die Ordnung im Kosmos ist“. Diogenes bezeichnete sich selbst als Weltbürger (Kosmopolítes) und wurde so zum ersten Kosmopoliten der Weltgeschichte.

Das normensprengende Motiv von Diogenes ist für Varou­fakis und Co offenbar noch heute ein Leitbild. Wenn Schäuble und seine europäischen Finanzministerkollegen sich beklagen, man wisse gar nicht so genau, was Varoufakis eigentlich wolle, dann sollten sie einmal Diogenes studieren. Dessen zentraler Begriff war Selbstgenügsamkeit (Autarkie). Man solle sich von äußeren Zwängen radikal frei machen: Um sich körperlich abzuhärten, wälzte er sich im Sommer in glühend heißem Sand und umarmte im Winter schneebedeckte Statuen. Und um sich geistig abzuhärten, trainierte er es, Wünsche nicht erfüllt zu bekommen –

indem er steinerne Statuen um Gaben anbettelte. So könnte Dio­genes den heutigen Griechen noch trostreich sein, wenn sie am Ende keine neuen Kredite mehr bekommen. Seinen Beinamen „der Hund“ trug Diogenes mit Stolz. Als sich Alexander der Große bei Diogenes mit dem Satz: „Ich bin Alexander, der große König“ vorstellte, soll Diogenes geantwortet haben: „Und ich Diogenes, der Hund.“

Nur eines scheint Varoufakis dann doch von Diogenes klar zu unterscheiden. Während Diogenes tatsächlich in Armut und Askese auf der Straße lebte, liebt Varoufakis Strandvillen, Edelhotels und teure Gelage. Er hat sich mit Ehefrau im privaten Lebensluxus für „Paris Match“ fotografieren lassen. Dort sieht man die beiden in ihrem Penthouse in einem der teuersten Stadtviertel Athens unterhalb der Akropolis strahlen, Hände halten, Klavier spielen und schlemmen. „Die humanitäre Krise in Athen“, kommentierte die „Financial Times“ süffisant. Aber vielleicht war es am Ende auch nur eine Fälschung.

04.06.2015 | 11:13

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