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Baerbock gegen Scholz: Protokoll Nord Stream-Streit. Wer dahintersteckt und wie es weitergeht

Schon nach wenigen Tagen knirscht es im Gebälk der Koalition. Die wichtige Achse zwischen Kanzleramt und Außenministerin biegt sich: Es geht um Nord Stream 2. Baerbock will keine Genehmigung für die Inbetriebnahme, Scholz will sie. Dahinter steckt eine lange Gegnerschaft, die der Regierung jetzt den Start vermasselt.

Von Oliver Stock / WirtschaftsKurier


Eigentlich geht es nur um ein paar Rohre, durch die Gas von Russland nach Deutschland fließt: Nord-Stream-2-Pipeline heißt das Projekt. Eine Sensation ist es nicht, Nord-Stream 1 verläuft seit fast zehn Jahren auf der gleichen Strecke und liefert störungsfrei Gas. Und doch ist die neue Pipeline ein politischer Zankapfel ersten Grades. Ein weltpolitischer, weil sowohl Russland, wie die USA und Europa ihre Interessen vehement vertreten; ein regionalpolitischer, weil alle Anrainerstaaten mit Tat und Rat klarmachen, was sie davon halten. Und ein innenpolitischer in Deutschland, der der Regierung, die nicht einmal zwei Wochen im Amt ist, den Start gründlich vermasselt hat und sie weiter belasten wird, weil der Kanzler und seine Außenministerin bei dem Projekt uneins sind. Genau zwei Wochen, nachdem Olaf Scholz, der von sich sagt: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, als Kanzler vereidigt ist, muss er diesen Führungsanspruch gegenüber seiner Außenministerin Annalena Baerbock jetzt durchsetzen.

Die beiden stehen sich gegenüber wie Kämpfer im Ring, dabei sollte es eigentlich ihre gemeinsame Bühne sein: Hier der Kanzler, der sich dagegen ausspricht, die Betriebserlaubnis für Nord Stream 2 weiter politisch zu befrachten, etwa mit den Bemühungen um eine Deeskalation in der Ukraine-Krise, die sich von Russland militärisch bedroht fühlt. „Es handelt sich im Hinblick auf Nord Stream 2 um ein privatwirtschaftliches Vorhaben“, stellt Scholz fest. Für die Inbetriebnahme sei noch in einem Teilaspekt die Übereinstimmung mit europäischem Recht zu klären. „Darüber entscheidet ganz unpolitisch eine Behörde in Deutschland“, betont der SPD-Politiker. Dies sei „eine andere Frage“ als die aktuellen Bemühungen darum, eine Verletzung der ukrainischen Grenzen zu verhindern. Dort die Außenministerin, nach deren Ansicht, die Inbetriebnahme der Pipeline nicht genehmigt werden kann. Die Ampelparteien, so interpretiert sie den Koalitionsvertrag, hätten vereinbart, dass für Energieprojekte europäisches Energierecht gelte, „und das bedeutet, dass nach jetzigem Stand diese Pipeline so nicht genehmigt werden kann, weil sie eben die Vorgaben des europäischen Energierechts nicht erfüllt.“

Hinter diesen gegensätzlichen Positionen steckt ein jahrelang mühsam unterdrückter Streit, der nun, wo beide Politiker gemeinsam regieren sollen, nicht mehr unter der Decke zu halten ist. Olaf Scholz, ehemaliger SPD-Generalsekretär unter dem Nord Stream 2-Ideengeber Gerhard Schröder ist ein Befürworter der Pipeline. Die Unterstützer argumentieren so: Die neue Pipeline schafft zusätzliche Transportkapazitäten. Damit sorge sie für mehr Wettbewerb auf dem europäischen Gasmarkt. Dank der Gasmarktliberalisierung in Europa und verflüssigtem Erdgas sei die Versorgung jederzeit gesichert. Zudem brauchten die Unternehmen und Konsumenten in Zukunft russisches Gas für eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Energieversorgung.

Baerbock dagegen steht auf der Seite der Kritiker. Ihre Argumentation besteht aus geopolitischen Befürchtungen hinsichtlich einer steigenden Abhängigkeit von russischen Leitungen verbunden mit der Sorge um die Ukraine, der Einnahmen aus dem Transit von russischem Gas verloren gehen. Außerdem kommen bei Baerbock Klimaziele dazu: Gas ist zwar sauberer als Kohle, aber am Ende geht es bei der Energiewende um nachwachsende Rohstoffe als Energielieferanten. Jede zusätzliche Gasleitung verringert die Notwendigkeit, möglichst schnell auf alternative Energieerzeugungsformen umzusteigen.

Scholz hat im Ringen mit der Außenministerin inzwischen innenpolitisch seine Truppen in Stellung gebracht: Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner bekräftigte die Linie des Kanzlers. Bei Nord Stream 2 handele es sich „um ein privatwirtschaftliches Vorhaben, das weitgehend abgeschlossen ist“. Das Verfahren habe „keine politische Dimension“, twitterte der ehemalige Spiegel-Chefredakteur munter. Als er die politische Dimension merkte, löschte er den Tweet. Beharrlicher dagegen ist SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er war schon im Wahlkampf mit Baerbock wegen ihrer Haltung zu Nord Stream 2 harsch ins Gericht gegangen: „Das Vorgehen der Grünen ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten“, hatte er kritisiert. Als Umweltminister in Schleswig-Holstein habe Baerbocks Parteikollege Robert Habeck „noch ein Flüssiggasterminal für Fracking-Gas aus den USA eingeweiht“. Baerbocks Kritik an der Pipeline sei daher „völlig unglaubwürdig“. „Der verbale Rigorismus von Frau Baerbock hilft weder den Menschen vor Ort, noch wird er den außenpolitischen Anforderungen gerecht, auch mit schwierigen Regimen diplomatische Beziehungen zu erhalten“, sagte Mützenich im Wahlkampf. „Den Realitätstest würden die Grünen so nicht bestehen, das wird jetzt schon klar.“ Im jetzt aufgebrochenen Streit fügt er hinzu: Die deutsche Außenpolitik werde „insbesondere im Kanzleramt gesteuert“.

Baerbock versteht das zu Recht als Kampfansage. Sie ließ den Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour von der Leine, der drauflos twitterte: „Das Auswärtige Amt so herabzusetzen ist die überkommene 'Koch-Kellner-Logik'. Wir sollten auf der Grundlage des Koalitionsvertrags Vertrauen aufbauen, nicht Vorgärten pflegen.“

Den innenpolitischen Streit in Berlin beobachten zwei Männer von weltpolitischem Rang mit Interesse: Der russische Präsident Vladimir Putin, der eng mit Russlands größtem Unternehmen Gazprom verbunden ist, will endlich liefern. Die Gaspipeline ist nach etlichen Verzögerungen betriebsbereit und Putin hält den Streit um die Inbetriebnahme für eine politische Finte. Um den Druck im wahrsten Sinne zu erhöhen, hat die Pipeline-Betreibergesellschaft, die ein Tochterunternehmen von Gazprom ist, gerade erst am 17. Dezember den zweiten Strang der Nord Stream 2-Pipeline mit Erdgas geflutet. Es geht dabei um Druckmessung - das ist technisch gemeint, kann genauso aber auch politisch verstanden werden. Bereits am 18. Oktober war der erste Strang der Nord Stream 2-Pipeline mit Gas befüllt worden „mit einem Druck 103 bar“.

Auf der anderen Seite beobachtet der US-Präsident Joe Biden das Geschehen. Er müsste ein Baerbock-Fan sein, denn für sein Land gilt die Pipeline als Teufelszeug. Für Biden geht es um viel: Ihm gelang es erst am vergangenen Freitag vom Senat die Nominierung seiner ausgewählten Botschafter bestätigen zu lassen. Grund für die Hängepartie war Nord Stream 2. Um eine Abstimmung über schärfere Sanktionsgesetze zu erzwingen, hatte der republikanische Senator Ted Cruz die Bestätigung von Botschaftern aufgehalten. Cruz und andere Gegner der Pipeline wollen Biden die Möglichkeit nehmen, aus Gründen der nationalen Sicherheit eigenmächtig Ausnahmen von amerikanischen Sanktionen wegen Nord Stream 2 zu verfügen. Eigentlich hatten sich Berlin und Washington am 21. Juli 2021 geeinigt, dass die Pipeline fertig gestellt werden darf, wenn sich Deutschland gleichzeitig, um eine Verlängerung des Gastransitabkommens der Ukraine mit Russland bemühe. Gleichwohl haben die USA im November 2021 weitere Sanktionen gegen das Projekt angekündigt, Wartungsarbeiten sollten ausgesetzt werden. US-Außenminister Antony Blinken betonte, die neuen Strafen stünden im Einklang mit dem Widerstand der amerikanischen Regierung gegen die Pipeline.

Während der innenpolitische Streit also eskaliert und die weltpolitische Perspektive diese Auseinandersetzung anheizt, versucht eine Behörde in Deutschland ihre Arbeit möglichst unbeeindruckt zu machen – ein Unterfangen, das dem Komponieren einer Sinfonie bei schwerem Gewitter gleichen dürfte. Leisten soll dieses Kunststück die Bundenetzagentur. Sie hat das Zertifizierungsverfahren – also eine Vorstufe zur Betriebsgenehmigung – seit November vorläufig ausgesetzt, weil sie sich an der Rechtsform der Pipeline-Betreiber stößt.  Dabei geht nur um die letzten paar Kilometer der Pipeline, die auf deutschem Hoheitsgebiet verlaufen. Der Löwenanteil von Nord Stream 2 verläuft durch internationale Gewässer. Aber auf das letzte Stück kommt es an.
Nach deutschem Recht muss der Betreiber einer Versorgungsleitung seinen Sitz in der Bundesrepublik haben, damit die Behörden ihn überhaupt kontrollieren können und ihm gegebenenfalls Auflagen machen dürfen. Das Unternehmen mit dem Namen Nord Stream 2, das die Pipeline finanziert und gebaut hat und künftig auch betreiben will, hat aber seinen Sitz im Schweizer Kanton Zug. Hinter Nord Stream 2 steht neben Gazprom ein Konsortium europäischer Energieversorger, darunter die österreichische OMV, Wintershall, Shell und die deutsche Uniper. Falls der Betrieb der Pipeline an der Netzagentur scheitern sollte, dürfte sich Deutschland erheblicher Regressforderungen ausgesetzt sehen. Die Konzerne haben rund zehn Milliarden Euro in den Bau investiert.

Noch ist es aber nicht soweit. Noch versuchen die Beteiligten in aller Eile ein Tochterunternehmen in Deutschland zu gründen, das dann formell den deutschen Teil der neuen Ostseepipeline betreiben wird. Die Frist, um eine solche deutsche Betreibergesellschaft zu gründen, läuft am 8. Januar aus. Bisher ist um eine Verlängerung noch nicht offiziell verhandelt worden. Sobald die Auflagen der Bundesnetzagentur erfüllt sind, übergibt die das weitere Prüfverfahren an die Europäische Kommission. Auch laut der EU-Gasrichtlinie müssen Betrieb der Leitung und Vertrieb des Gases ausreichend getrennt sein, was Brüssel dann prüfen wird.

22.12.2021 | 11:17

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