Karrierealle Jobs


Schweineköpfe gelegt wie Toffifee

Der Fleischfabrikant Clemens Tönnies führt einen der erfolgreichsten Konzerne in Nordrhein-Westfalen – und einen der umstrittensten. Klimawandel, Ernährung, Integration, Corona: Wie unter einem Brennglas verschmelzen in seinem Betrieb jene Probleme, die das ganze Land umtreiben.

Mit Essgewohnheiten kennt er sich aus: „Chinesen essen alles, was knackt. Schweineohren, Schnäuzchen, Rippchen. Filet isst dort keiner“, sagt Clemens Tönnies. Der Fleischbaron ist Chef von 16 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weltweit, die einen Umsatz von mehr als sieben Milliarden Euro im Jahr 2019 erwirtschafteten. Er selbst ist laut dem US-Wirtschaftsmagazin Forbes 1,4 Milliarden Euro schwer, und er ist einer der umstrittensten Unternehmer in Deutschland. „In Indonesien stehen sie auf geröstete Schweineschwarte. Die Amerikaner stehen auf nichts mehr als auf Rippchen. Die kutschieren wir dann von Kanada rüber. Jeder Chinese bekommt zum Feiertag einen Schweinekopf geschenkt. Also verschiffen wir auch die –¬ immer sechs Stück pro Einheit, gelegt wie Toffifee!“, fügt er auf dem Podium hinzu, auf das ihn sein Freund und Unternehmer-Kollege Klaus Fischer eingeladen hatte. Das Publikum ist begeistert und stürzt sich anschließend aufs fleischhaltige Buffet.

Knapp zwei Jahre ist das her. Inzwischen hat der Familienunternehmer ein paar Fans weniger. Nicht, dass er damals unumstritten war. Mit seinem Neffen Robert, dem die Hälfte des Konzerns gehört, lag es schon damals im Streit um die Macht in der Familienfirma. Und mit bis zu 30 000 Schweinen, die sein Betrieb täglich verarbeitet, war Tönnies schon damals Herr eines blutigen Geschäfts, von dem die meisten froh sind, dass es ein anderer macht.

Massenweise Feinde

Heute allerdings, nach einem Corona-Massenausbruch in der Tönnies-Belegschaft und inmitten einer gesellschaftlichen Debatte, in der Fleischesser als die „neuen Raucher“ gelten - heute hat Tönnies mehr öffentliche Feinde als Freunde. Er erhält Morddrohungen und weiß, dass er zur Zielscheibe geworden ist: Erst vor kurzem entdeckte die Polizei in der Nähe seiner Privatvilla im westfälischen Rheda Fackeln, Feuerzeuge und eine brennbare Flüssigkeit. Ein Bekennerschreiben deutete terroristische Motive an, weswegen sich der Generalbundesanwalt der Sache annehmen musste. Aus dem Selfmade-Unternehmer, der gemeinsam mit seinem Bruder den väterlichen Schlachtbetrieb aus Reda an die Weltspitze der Branche geführt hat, ist eine Persona non grata geworden. Jemand, um den manch ein politischer Würdenträger lieber einen Bogen macht, als sich mit ihm zu zeigen. Doch wer ist der Mann, der gleichermaßen zur Zielscheibe von Tier- und Umweltschützern, wie von Arbeits-, Sozial- und Gesundheitspolitikern geworden ist? Wie gelingt einem das Werk, sich so viele Feinde auf einmal zu machen?

Wer den 64jährigen, drahtigen Unternehmer aufsuchen will, muss erst von der Autobahn 2 und dann von der Bundesstraße 64 dort abbiegen, wo sich die Figuren eines glücklichen Schweins, einer lachenden Kuh und eines Rindes, dessen Schwanz zu einem Herzen gebunden ist, als Logo auf einer Fabrikanlage drehen, als seien sie die Bremer Stadtmusikanten der Schlachthöfe. Vor dem Werk patrouilliert der Sicherheitsdienst in schwarzer Kluft. Am Eingang warten drei Kontrolleure selbst auf Einlass, die Westen mit dem Aufnäher „Bezirksregierung“ tragen. Eine Gruppe von rund 20 Menschen in Straßenkluft wird durchgeschleust, sie verstehen schlecht deutsch und eine Begleiterin erteilt scharf den Befehl: „Abstand halten.“ Das Foyer ragt über die ganze Höhe des vierstöckigen Gebäudes. Aufzüge flitzen nach oben und unten.

Es gibt Bilder von Tönnies und dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Einmal steht eine Tasche mit dem Aufdruck Gazprom zwischen ihnen. Damals war Tönnies Aufsichtsrat bei Schalke 04 und der Energieriese Gazprom Hauptsponsor. Auf einem anderen Bild ist Tönnies zu sehen, wie er Verträge für einen Schweinemast-Betrieb in Russland unterschreibt. Auch mit dem ehemaligen Außenminister Sigmar Gabriel ist Clemens Tönnies zu sehen. Er hatte ihn zwischenzeitlich als Berater engagiert. Es besteht kein Zweifel: Der Herr dieses Schlachtimperiums ist weltweit gut vernetzt, und doch hat ihm das nicht öffentlich nicht viel genützt.

Seine Feinde lauern überall. Nicht nur mit Brandwerkzeugen hinter den Büschen in Westfalen, sondern beispielsweise auch im nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf. Dort haben die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD im September zu einer öffentlichen Anhörung mit Ausrufezeichen eingeladen. Thema: „Schlachthofbetreiber in die Verantwortung nehmen!“, heißt es von den Grünen. „Schluss jetzt mit der Ausbeutung der Beschäftigten in der Fleischindustrie!“, steht über dem SPD-Antrag.

Haltung unter aller Sau

Tönnies ist für die Politik zu einer Zielscheibe geworden, in der sich gleich drei Probleme konzentrieren. Erstens, eine Ernährungsindustrie, die billige Produktion über Qualität und Nachhaltigkeit stellt: „Die Haltungsbedingungen der Tiere, die wir töten, um sie zu essen, oder deren Produkte wir konsumieren, sind oft unter aller Sau“, schimpft Grünen-Co-Chef Robert Habeck. Zweitens: Arbeitsbedingungen, die Krankheiten wie eben Corona, Vorschub leisten: „Es muss eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens geben", verlangt SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil. Wer durch Regelverstöße die Verbreitung des Coronavirus auslöse, müsse dafür auch haften. Und drittens: ein System von Leiharbeits- und Werkverträgen für ausländische Arbeitskräfte, das Sozialpolitiker auf die Palme bringt: „Dadurch können sich die Schlachthöfe vollkommen ihrer Verantwortung für die Arbeitsbedingungen entziehen“, klagt Johannes Jakob vom Deutschen Gewerkschaftsbund.

Der Unternehmer wehrt sich. Die Corona-Infektion, schreibt er in einer schriftlichen Stellungnahme an die kritischen Landtagsfraktionen in Düsseldorf, habe sich infolge „klimatischer Bedingungen in Verknüpfung mit körperlicher Arbeit“ rasant ausbreiten können. Mit Hilfe neuer Luft- und UV-Filter, sowie Tests dreimal pro Woche sei das Problem jetzt im Griff. „Prekäre Leiharbeitsverträge“ gebe es keine, vielmehr „reguläre Arbeitsverträge bei deutschen Unternehmen auf der Basis des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts“. In den „Kernbereichen“ will Tönnies bis Jahresende alle Verträge so umstellen, dass das Unternehmen selbst als Arbeitgeber auftritt und diese Position nicht Dritten überlässt. Das Thema Werkverträge erledigt sich damit weitgehend. Zwei Drittel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lebten in selbst gemieteten Wohnung, für das andere Drittel habe Tönnies Unterkünfte bereitgestellt, die vor dem Corona-Ausbruch durch Behörden kontrolliert und nicht beanstandet worden seien. 1500 weitere Tönnies-Wohnungen existieren bereits auf dem Reißbrett. „Wir verwahren uns gegen pauschale Vorwürfe in Bezug auf die arbeitsrechtliche Behandlung eben jener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit freundlichen Grüßen, Clemens Tönnies“, steht es mit schwungvoller Unterschrift unter dem Brief an die Fraktionen.

Der Feind in der Familie

Einen Feind hat der Patriarch sogar in den eigenen Reihen. Als der massenhafte Ausbruch von Corona im Betrieb bekannt wurde, forderte Neffe Robert umgehend den Rücktritt seines Onkels. In einem Brief warf er der Geschäftsleitung und dem Beirat des Konzerns unverantwortliches Handeln sowie die Gefährdung des Unternehmens und der Bevölkerung vor. Zwei Tage später legte er nach. Clemens solle den Weg für dessen Sohn Max freimachen. Außerdem forderte Robert die Einberufung einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung. Er beharrt vor Gericht darauf, festzustellen, dass die familiären Beziehungen „zerrüttet“ seien.

Der Streit widerspricht dem Geist des Friedensabkommens, das Onkel und Neffe vor drei Jahren geschlossen hatten und bei dessen Verkündung „Tränen bei den Mitarbeitern“ geflossen seien, wie ein Augenzeuge berichtet. Damals wurde eine Holding mit vier Geschäftsführern installiert, die Streithähne durften jeweils zwei vorschlagen. Darüber sitzt ein siebenköpfiger Beirat, der bei einem Patt unter den Geschäftsführern mit Mehrheit entscheidet. Geschäftlich kommt Tönnies so voran, menschlich offenbar immer noch nicht.

An guten Tagen kämpft Tönnies für seine Position mit soliden Argumenten. In einem Interview erklärt er die Lage so: Die Landwirtschaft in Deutschland sei familiengeführt strukturiert. „Weltweit einmalig“, sei das. Die 11600 Familienbetriebe, die Tönnies derzeit belieferten, haben durchschnittlich 1228 Schweine im Bestand. In den USA seien das in Konzernstrukturen oft 80 000 bis 130 000 Schweine, in Brasilien gebe es Betriebe mit bis zu 200 000. „Wir alle wollen die familiären Strukturen“, sagt er dann. Der wirtschaftliche Nachteil, der durch die zerklüftete Landwirtschaft in Deutschland bestehe, sei nur durch „hocheffiziente Veredelungsbetriebe“, wie seiner einer sei, ausgleichen.

Mehr Geld für Landwirte

Hocheffizient und damit auch nachhaltig heißt für Tönnies, dass in seiner Massenschlachterei anders als beim Metzger um die Ecke, von einem Schwein alles weiterverarbeitet wird. „Jeden Tag kommen 25 000 Schweine an und 24 Stunden später haben wir Einzelprodukte, Schnitzel, Frikadelle, Bratwurst daraus gemacht. Oder auch die Schweinepfote oder die Aorta im Froster für den Export. Wir verwerten nachhaltig das ganze Tier.“ Nichts bleibt, nichts wird weggeschmissen. Das Problem liegt für Tönnies damit weniger in dem, was er „Veredlung“ nennt, sondern in der Aufzucht. Hier zu investieren, den Landwirten von dem teurer in den Handel gebrachten Fleisch direkt einen Teil auszuzahlen, unterstützt er und spricht sich deswegen für einen entsprechenden Vorschlag von CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner aus.

An nicht so guten Tagen allerdings geht es mit ihm durch. So ein Tag war Ende Juli der Tag des Handwerks in Paderborn, wo Tönnies, der Milliarden-Unternehmer und damalige Aufsichtsratschef von Schalke 04 die Festrede hielt im Beisein von Bischof und Bürgermeister. Vom Podium herab wetterte er über Steuererhöhungen im Kampf gegen den Klimawandel. Stattdessen solle man lieber jährlich 20 Kraftwerke in Afrika finanzieren. „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn's dunkel ist, Kinder zu produzieren.“ Während die unmittelbaren Zuhörer noch höflich klatschten, war die Klatsche in der breiten Öffentlichkeit umso größer. Tönnies musste sich entschuldigen. „Als Vorsitzender des Aufsichtsrats des FC Schalke 04 stehe ich 1000-prozentig hinter unseren Vereinswerten. Dazu gehört der Einsatz gegen Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung“, ließ er verlauten. Seine Aussage sei „falsch, unüberlegt und gedankenlos“ gewesen. Nach solchen Vorfällen herrscht in Rheda stets wieder business-as-useful. Nur Vergessen hat es eben keiner.

oli



08.09.2020 | 09:07

Artikel teilen: