„Beschäftigte im Homeoffice werden seltener befördert“
Für viele Menschen bedeutet die Arbeit von zu Hause mehr Lebensqualität. Doch das Homeoffice steht unter Druck: Immer mehr Unternehmen wollen, dass ihre Beschäftigte wieder ins Büro kommen. Die meisten setzen auf freiwillige Anreize. Doch wenn die keinen Durchbruch bringen, reift die Erkenntnis: Wer zu selten da ist, wird nicht befördert.
Nun also sogar SAP: Selbst der Software-Riese will seine Leute wieder häufiger im Büro sehen. Dabei gilt der Dax-Konzern ein Vorreiter bei der Flexibilisierung von Arbeit – die 110.000 Mitarbeiter dürfen grundsätzlich von überall aus arbeiten. Doch mit diesem fulminanten Flexibilitätsversprechen ist es inzwischen so eine Sache: Die Leute mögen doch bitte wieder mehr ins Büro kommen. Der Vorstand hat die Initiative „I’m in“ ausgerufen, zu Deutsch: „Ich bin dabei". Zwar gibt es keinen Zwang, wieder ins Büro zu kommen, aber die Konzernleitung fördert eine „stärkere Beziehung im Unternehmen“ und schafft Möglichkeiten für persönlichen Kontakt.
Es kommt eben auf die richtige Mischung an aus mobilem Arbeiten und Präsenz. So sieht es das Gros der deutschen Wirtschaft: Wer daheim arbeiten kann, geht weder fünf Tage pro Woche ins Büro noch agieren er oder sie komplett in den eigenen vier Wänden. Was Psychologen schon lange sagen, kommt jetzt in der Arbeitsrealität an: Es braucht die persönliche Begegnung für eine optimale Zusammenarbeit, digitale Kollegialität ist nur die Hälfte wert.
Immer mehr Anreize, sich auf den Weg zu machen
Doch wie der Mix genau aussieht, das wird gerade hitzig diskutiert. Immer mehr Unternehmen locken ihre Leute in die Büros. Es gibt neue Regeln für die hybride Arbeitswelt, schicke Büros und Annehmlichkeiten, wie man sie früher nur von Google und Co kannte. Firmen bieten Apps, mit denen man Arbeitsplätze buchen oder sich verabreden kann. Der Weg ins Büro dient nicht dazu, Emails zu schreiben, sondern der Begegnung. Design-Thinking-Workshops, Strategiebesprechungen oder das zufällige Treffen mit Menschen aus anderen Abteilungen, um auf neue Ideen zu kommen.
Auch Volkswagen will die Beschäftigten wieder stärker in die Büros locken. Doch Obstkörbe, Süßkram und kostenloses Mittagessen allein reichen vielen schon nicht mehr. So investiert der Autobauer bis 2025 rund 125 Millionen Euro in Standorte – in hunderte neue Teamräume, Outdoor-Sitzecken und Ruheinseln. Der Grund: „Insbesondere für die Innovationskraft und die Kultur von Volkswagen ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden sich regelmäßig persönlich treffen und miteinander sprechen“, so VW. Zudem gelinge die Einarbeitung neuer Mitarbeiter besser.
Beschäftigte kehren kaum ins Büro zurück
Doch trotz all der Maßnahmen und sinkenden Corona-Ansteckungsgefahr sank die Nutzung des Homeoffice zuletzt kaum, wie das Ifo-Institut ermittelt hat. Im Schnitt nutzen es hierzulande 24 Prozent aller Beschäftigten. „Der Rückgang ist nur minimal, trotz der Diskussionen um die Rückkehr ins Büro“, sagt ifo-Experte Jean-Victor Alipour. 2019 arbeiteten nur zehn Prozent der Beschäftigten zumindest teilweise von zuhause. Hinter den Durchschnittszahlen verbergen sich beachtliche Unterschiede zwischen den Branchen. Bei Computerdienstleistern und -technikern oder in der Unternehmensberatung wird besonders häufig von zu Hause gearbeitet, zu rund 70 Prozent. Wo Tätigkeiten grundsätzlich schwer mit Homeoffice vereinbar sind, liegen die Quoten naturgemäß niedriger: In der Gastronomie bei 1,6 Prozent, in der Beherbergung bei 0,9 Prozent.
Angesichts der weiterhin hohen Home-Office-Quote bei den Wissensarbeitern zwingen einige Unternehmen ihre Leute inzwischen zurück ins Büro: Bei der Großbank JP Morgan heißt es in einem Memo des Betriebsausschusses an die Belegschaft: „Unsere Führungskräfte müssen vor Ort sichtbar sein, sie müssen sich mit Kunden treffen, sie müssen lehrend und beratend tätig sein und sie sollten immer für sofortiges Feedback und spontane Besprechungen erreichbar sein.“ Strenge Betriebsräte würden diese Formulierung wohl anders ausdrücken: Echte Kontrolle gibt es nur im Büro.
Druckmomente, die es offiziell nicht gibt
Es gibt für Unternehmen allerdings auch einen weniger sichtbaren Weg, um ihre Mitarbeiterschar zur „freiwilligen“ Rückkehr ins Büro zu bewegen – wobei das kein Firmenchef laut aussprechen würde: Viele Mitarbeiter auf den unteren und mittleren haben Angst, nicht befördert zu werden, wenn sie seltener im Büro sind. Laut einer Studie der Plattform HubSpot ist ein Viertel der Befragten der Ansicht, die Vorgesetzten würde ihre getane Arbeit nicht vollumfänglich wahrnehmen. Die Arbeit im Homeoffice hat sich für 38 Prozent negativ auf die eigene Karriereentwicklung ausgewirkt, weil es „schwieriger geworden ist, eine Beförderung zu bekommen." Dem stehen sieben Prozent gegenüber, denen die Heimarbeit laut eigener Aussage zu einer Beförderung verholfen hat.
Das Homeoffice als Karriere-Killer?
Offiziell darf das nicht sein, aber die Wirklichkeit hält sich eben nicht immer an die Regel: Menschen entscheiden oft unbewusst. Expertinnen und Experten sagen zumindest: Wen der Chef oder die Chefin nicht sieht, der ist weniger präsent und geht bei Beförderungen öfter leer aus. Zu richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, erfordert, überhaupt mal da zu sein.
Anne von Fallois weiß aus ihrer täglichen Praxiserfahrung: „Zentral wichtig ist, wie sichtbar, erlebbar und erfahrbar man in einer Organisation ist.“ Das könnten Mitarbeiter in Grenzen auch digital erreichen, aber nicht so wie vor Ort: „Ich bin davon überzeugt, dass man mit Menschen in Begegnung kommen muss, eben um nicht nur kognitiven Eindruck zu hinterlassen, sondern auch einen emotionalen“, so die Beraterin von der Personal- und Managementberatung Kienbaum. „Wer Menschen in Organisationen führen will, sollte die Bereitschaft mitbringen, eine hohe Präsenzquote zu erreichen.“ Was das rechte Maß ist, sei abhängig von jeder Organisation.
Betriebe, die nach Anwesenheit befördern, tun sich keinen Gefallen
Jean-Victor Alipour, der beim Ifo-Institut an dem Thema forscht, bestätigt den Praxis-Eindruck: „Es gibt in der Tat Evidenz für einen „aus den Augen aus dem Sinn“-Effekt, also dass Beschäftigte im Homeoffice – bei gleicher Leistung – weniger befördert werden“. Auch wenn diese Studien noch aus der Zeit vor Corona stammen, zeigen sie vor allem, wie wichtig eine Umstellung des Managements in Hinblick auf Kommunikation, Feedback und besonders Leistungsevaluierung für den Erfolg von Arbeitsmodellen mit Homeoffice sind. Dazu gehört zum Beispiel, dass gute Arbeit nicht danach bemessen wird, wie lange jemand im Büro sitzt, sondern wer die besten Ergebnisse liefert.
Entscheidend bei der Frage, wie Firmen Homeoffice in ihre Unternehmenskultur integrieren, ist eben auch die Frage, ob man indirekt Druck auf Beschäftigte ausübt. Laut Alipour zeigen Studien, dass Beschäftigte, die einen solchen Druck verspüren, in der Tat öfter ins Büro kommen, selbst wenn sie zu Hause produktiver wären. Das heißt im Umkehrschluss: „Unternehmen verlieren an Wettbewerbsfähigkeit, wenn Sie die Vorteile von Homeoffice nicht ausschöpfen. „Dazu gehören unter anderem, weniger Kündigungen, weniger Krankheitstage, eine höhere Jobzufriedenheit und effizienteres Arbeiten. Alipour sagt: „Die Antwort lautet also: Ja, aber es wäre nicht besonders klug, auf diese Art von Anreiz zu setzen.“
Wie man sich im Home Office klug verhält
Unternehmen sollten also auch die befördern, die im Homeoffice sind. Und die Betroffenen alles tun, um dort bestmöglich sichtbar zu sein, um die eigene Karriere nicht zu gefährden. Der vertrauensvolle Austausch mit Kollegen darf auch virtuell nicht auf der Strecke bleiben. Eine gute Möglichkeit, um mehr Sichtbarkeit im Homeoffice zu zeigen, ist, Feedback einzufordern, also zeigen, dass man noch besser werden möchte.
Wer in Meetings sichtbar sein will, sollte sich im wortwörtlichen Sinne ins rechte Licht setzen: Kamera an bei Onlinemeetings und direkt in die Webcam schauen. Durch lebhafte Mimik und Blickkontakt wird man besser wahrgenommen. Experten empfehlen zudem, in firmeneigenen Chats und Kommunikationskanälen aktiv zu sein, also das Kommentieren von Nachrichten. Zudem empfiehlt sich, passende Links und Grafiken zu posten, weil das Neugier weckt und Expertise unterstreicht.
Thorsten Giersch
26.05.2023 | 10:41