Karrierealle Jobs


Die fetten Jahre sind vorbei

Die deutsche Konjunktur bricht ein. Der Aufschwung geht zu Ende, die Risiken steigen. Es wird Zeit, sich wieder um die Wettbewerbsfähigkeit zu kümmern anstatt um Rentengeschenke und Mindestlöhne. Die schlechten Konjunkturnachrichten sind ein Weckruf für die Politik.

Die schlechten Nachrichten häufen sich wie Herbststürme. Während ganz Deutschland den goldenen Herbst genoss und sich in einem spätsommerlichen Wirtschaftsaufschwung wähnte, hagelt es dicke Negativ-Meldungen. Die deutsche Industrie hat im Sommer den stärksten Rückschlag seit der schweren Wirtschaftskrise vor fünf Jahren verkraften müssen. Doch auch die Frühindikatoren lassen nichts Gutes erahnen. Denn auch die Auftragseingänge sacken ab – im August um fast 6 % gegenüber dem Vormonat. Dies entspricht ebenfalls dem stärksten Rückgang seit 2009. Dabei war schon das zweite Quartal schlecht gelaufen. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum Vorquartal um 0,2 % geschrumpft. Und auch im dritten Quartal herrschte Stagnation. „Die deutsche Konjunktur bekommt einen massiven Dämpfer“, warnen die Wirtschaftsforscher. Der ZEW-Index der Konjunkturerwartungen erleidet sogar einen regelrechten Einbruch um 18,5 auf nur noch 8,6 Punkte. Die Konjunktur­experten sind jedenfalls alarmiert, Deutschland drohe ein schlagartiges Ende des Aufschwungs. Wichtige Frühindikatoren wie der Auftragseingang, die Börsenkurse und der Ifo-Index zeigen klar abwärts.

Schlechte Vorzeichen für die Jahreswende

Einerseits sorgen die zahlreichen Krisenherde für Verunsicherung, insbesondere der Russland-Ukraine-Konflikt und die Entwicklung im Nahen Osten. Rückschläge im Exportgeschäft und plötzliche Zurückhaltung bei Neu-Investitionen sind die direkten Folgen. Andererseits hat sich auch das Klima für die Weltkonjunktur eingetrübt. Von der Argentinien-Pleite über die Rezession in Italien bis zu Ermüdungssignalen aus China (hier wird das schwächste Wachstum seit 24 Jahren gemeldet) reichen die Signale einer Verlangsamung. An den Weltaktienmärkten scheint der Aufschwung ebenfalls jäh beendet, die Kurse rutschen ab, einige Auguren warnen sogar vor einem bevorstehenden Crash. Für das Jahresende sind die Vorzeichen jedenfalls nicht gut: „Erhöhte geopolitische Risiken sowie die Entwicklung in den Schwellenländern und an den globalen Finanzmärkten könnten die Konjunkturlage negativ beeinflussen“, warnt (recht deutlich) die ansonsten so sachliche Europäische Zentralbank.

„Die Zahlen waren schon ein Schocker“, gesteht Andreas Rees, Chefvolkswirt bei der Unicredit in München. Er macht vor allem die für Deutschland so wich­tige Autoindustrie für den Rückgang verantwortlich. Hier sei die Produktion im August gleich um 25 % eingebrochen. „Das war das größte monatliche Minus seit Juni 1984, als Streiks für die 35-Stunden-Woche die Produk­tion lahmgelegt hatten.“

Für Deutschland sind die Meldungen wie eine Sturmwarnung vor aufziehendem Gewitter. „Berlin sollte sich rasch klar werden, dass die wirtschaftliche Lage fragil ist“, warnt das „Handelsblatt“ und stellt fest: „Die Bundesregierung bewegt sich noch im Modus der Selbstgefälligkeit und spaziert mit Spendierhosen durchs Land. Mütterrente, Rente mit 63, Mindestlohn, Bafög und ressortübergreifende Rekordausgaben des Bundes signalisieren, dass man den Blick noch nicht in die Unwetterfront gerichtet hat.“

Tatsächlich sind die schwachen Wachstumszahlen mehr hausgemacht, als es Berlin zugibt. Sie verraten strukturelle Schwächen in der deutschen und europäischen Wirtschaft. „Die Wirtschaftspolitik sollte rasch reagieren und einen möglichst konkreten Plan vorlegen, der zeigt, wie ein positiver Wachstumsimpuls für die Eurozone und für Deutschland geschaffen werden kann“, fordert daher Michael Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, völlig zu Recht.

Denn die um sich greifende Unsicherheit bei deutschen Unternehmen hat nicht nur mit der Ukraine oder Dschihadisten im Irak zu tun. Die Wahrheit ist: Die deutsche Investitionsquote gehört schon lange zu der niedrigsten aller Industrieländer. Und gerade die deutsche Politik hat wenig dazu getan, daran etwas zu ändern. Die unausgegorene und planwirtschaftliche Energiewende führt vielmehr dazu, dass Energie in Deutschland unverhältnismäßig teuer wird und Neu-Investitionen hierzulande massiv erschwert. Auch das deutsche Bankensystem ist nach der Dauerattacke aus der Politik dramatisch geschwächt. Schließlich sind die steuerlichen Belastungen für Unternehmer in Deutschland inzwischen so hoch – ihre Begleichung zudem extrem kompliziert und aufwendig –, dass neue Investoren lieber andere Standorte suchen. Und selbst die Infrastruktur hierzulande ist nicht mehr führend. Von maroden Autobahnen und Brücken bis zu langsamen Internetverbindungen reicht die Klage. Im Flugverkehr verschieben sich Machtzentren aus Deutschland weg, und während wir noch den letzten Flieger extra hoch besteuern und ganze Flughafenbauten scheitern lassen, entsteht andernorts eine Infrastruktur, der alsbald auch Handelsströme folgen werden.

Deutschland hatte sich nach den Agenda-Reformen mühsam Wettbewerbsvorteile zurückerkämpft. Doch die Poli­tik der jüngsten Zeit dreht diese ­Errungenschaften – von der Rentenpolitik bis zu Arbeitsmarkt-Regularien – Stück für Stück zurück. Es ist, als vernasche die jetzige Politikergeneration die mühsam erarbeitete Ernte und – schlimmer noch – vergifte die Saat der nächsten.

Museum alternder Sozialstaaten

Kurzum: Die fetten Jahre des Agenda-Aufschwungs sind vorbei. Eine ganze Zeit lang konnte die Republik wohlstandstrunken darüber räsonieren, ob man für neue Mütterrenten mal eben 80 Mrd. Euro (bis 2025) ausgibt, ob man sich für 126 Mrd. Euro (bis 2030) kurzerhand die Rente mit 63 gönnt, ob man für den Mindestlohn im Vorbeigehen 500 000 Arbeitsplätze vernichtet oder gar – wie es die Linkspartei dieser Tage fordert – die kostenlose, staatlich finanzierte Urlaubsreise für jedermann einführt. Nun kommt der Ernst des globalen Wettbewerbs zurück. Deutschland und Europa stehen ziemlich schwach da, während die USA, China, Indien und immer mehr Schwellenländer uns ziemlich alt aussehen lassen. Wie ein selbstgefälliges Museum aus alternden, teuren Sozialstaaten leistet sich die EU gut 50 % aller Welt-Sozialausgaben, erarbeitet aber kaum noch 25 % des Weltsozialprodukts und verfügt nur mehr über 7 % der Weltbevölkerung. Das kann nicht mehr lange gut gehen.

In ihrem Herbstgutachten für die Bundesregierung sagen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute auch im nächsten Jahr 2015 nur noch ein mageres Wachstum von 1,2 % voraus. Bisher hatten die Fachleute einen kräftigen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 2,0 % veranschlagt. „Die deutsche Wirtschaft befindet sich mithin in einem – wenn auch nicht allzu ausgeprägten – Abschwung.“ Nach dem Schrumpfen der Wirtschaftskraft im Frühjahr habe es wohl auch im Sommer nur eine Stagnation gegeben. Auch für das gerade beendete dritte Quartal deutet sich eine Stagnation oder sogar ein Rückgang an. Damit wäre Deutschland in der Rezession.

Als Grund für den schwindenden Optimismus nannten die Ökonomen, dass die Nachfrage nur mäßig anziehe und sich vor allem die Eurozone langsamer erhole als erhofft. Zudem habe sich die Stimmung der heimischen Verbraucher eingetrübt und die Unternehmen zögerten mit Investitionen. Kaum etwas spreche dafür, dass die Firmen ihre Investitionszurückhaltung bald ablegten.

„Die Aussichten für die Konjunktur sind auch deshalb gedämpft, weil Gegenwind von der Wirtschaftspolitik kommt“, erklärten die ansonsten so ­zurückhaltenden Ökonomen reichlich deutlich. „Das Rentenpaket und die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns wirken wachstumshemmend.“ So verhinderten die „Rentengeschenke der Bundesregierung“ eine Senkung des Rentenbeitrags. Zudem nutze die Große Koalition ihren Spielraum nicht, um mehr zu investieren. „All dies wirkt sich wohl negativ auf die private Investitionsneigung aus.“

Steuersenkungen für Unternehmen

Um die Binnenkonjunktur in Schwung zu bringen, empfehlen die Institute Steuersenkungen für Unternehmen. Deren Belastung sei zwar mit der Reform 2008/09 dank geringerer Sätze merklich zurückgegangen. „Allerdings liegt Deutschland hinsichtlich der nominellen und der effektiven Steuerbelastung nach wie vor im oberen Drittel der Indus­trie­länder und deutlich über der in den meisten Schwellenländern“, so die Fachleute. Unternehmen könnten zudem durch eine Deregulierung und Bürokratieabbau entlastet werden.

Will Deutschland jetzt nicht wieder in eine Standortkrise zurückfallen und viele Quartale ohne Wachstum erleiden, dann braucht es eine neue, am besten europaweite Agenda-Initiative, wie Franz Müntefering dieser Tage vorschlägt. Und auch der Wissenschaftler Marcel ­Fratzscher mahnt: „Die schwachen Wachstumszahlen sollten ein Weckruf für die Wirtschaftspolitik in Deutschland und in Europa sein. Wir brauchen dringend einen Wachstumsimpuls.“

30.10.2014 | 18:09

Artikel teilen: