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EEX-Chef: „Wir haben es am Gasmarkt mit einem sehr kurzfristigen Phänomen zu tun“

Peter Reitz ist Chef der größten Energiebörse Europas. Im Interview erklärt er, welche Vorteile der Börsenhandel gerade jetzt bietet und welche politischen Maßnahmen er nun für das völlig falsche Signal halten würde.

Herr Reitz, die Gaspreise sind historisch hoch, die Risiken groß, Händler mahnen zur Vorsicht. Wie erlebt die EEX, Europas größte Energiebörse, die Situation?


Ich glaube, dass gerade jetzt unseren Teilnehmern die Vorteile des Börsenhandels und des börslichen Clearings sehr stark bewusst werden. Sie profitieren insbesondere vom sogenannten Netting. Heißt: Forderungen und Verbindlichkeiten ihrer Positionen am Markt werden gegeneinander aufgerechnet. Marktteilnehmer müssen also nicht für jedes einzelne Handelsgeschäft Sicherheitspositionen hinterlegen, sondern wir betrachten das Gesamtrisiko. Zudem garantiert unser Clearinghaus ECC Lieferung und Zahlung aller Handelsprodukte, selbst wenn die Gegenpartei ihre Verpflichtungen nicht erfüllen kann. Das minimiert das Kontrahentenausfallrisiko, da die ECC einspringt.

Auch an der Börse kam es zu außergewöhnlichen Preissprüngen. Sollte die EEX als Marktplatzbetreiber da nicht stärker einschreiten, ja den Handel im Extremfall aussetzen?


Wir nehmen unsere Verantwortung, einen ordnungsgemäßen Handel sicherzustellen, sehr ernst. Das ist in volatilen Zeiten eine große Herausforderung. Das gilt für den operativen Bereich in der Marktsteuerung und im Clearing genauso wie für die Handelsüberwachung. Beispielsweise informieren wir Kunden über außergewöhnliche Marktsituationen, wie größere Preisbewegungen.

Das hat dann unter anderem auch Auswirkungen auf die Preisspannen, die unsere Market-Maker ins Orderbuch stellen, die werden dann breiter. Vom Vorschlag, den Handel bei stark schwankenden Preisen ganz auszusetzen, halte ich dagegen überhaupt nichts. Die Börse ist ja nicht der Grund für Preisbewegungen, sie macht diese nur sichtbar. Man löst zu Hause ja auch keine Probleme, indem man einfach das Licht ausmacht – das Problem ist immer noch da, auch wenn es nicht mehr sichtbar ist.

Immer wieder geraten bei starken Preissprüngen Algotrader in die Kritik. Sie würden gerade bei geringen Handelsmengen das Problem zusätzlich verschärfen, heißt es dann.


Tatsache ist, dass Algotrader in den Energiemärkten mit Ausnahme des sehr kurzfristigen Stromhandels im Intraday noch eine untergeordnete Rolle spielen. Jeder Teilnehmer, der Algotrading einsetzen will, muss dieses zudem anmelden. Wir überprüfen dann fortlaufend, ob diese Instrumente unsere Anforderungen erfüllen. Gerade in Zeiten aber, in denen Marktteilnehmer nicht so genau wissen, wo der Preis steht, sind Algotrader eine wichtige zusätzliche Quelle von Liquidität. Sie helfen dabei, dass sich Teilnehmern neue Handelsmöglichkeiten eröffnen.

Die hohen Energiepreise haben die Europäische Union aufgeschreckt. Die Kommission hat den Mitgliedstaaten bereits einen Werkzeugkasten an möglichen Maßnahmen nahegelegt. Länder wie Spanien oder Frankreich wollen aber noch weitergehen. Haben Sie Sorge?


Ich habe volles Verständnis dafür, dass die Regierungen Endkunden vor drastischen Mehrkosten bei Strom und Gas schützen wollen. Allerdings ist bei der Wahl der Mittel Vorsicht geboten. Eingriffe in das Marktdesign halte ich weder für sinnvoll noch für gerechtfertigt. Wir haben es nämlich am Gasmarkt mit einem sehr kurzfristigen, auf diesen Winter konzentriertes Phänomen zu tun.

Wenn wir ein, zwei oder drei Jahre vorausblicken, sinken die Gaspreise wieder deutlich, bis auf ein Niveau von 20 bis 30 Euro pro MWh. Die Gaspreise werden also nicht in alle Zukunft so hoch bleiben wie derzeit. Greift man nun aber ins Marktdesign ein, würde das viel Vertrauen in stabile Märkte zerstören und private Investitionen in erneuerbare Investitionen verhindern. Das wäre das völlig falsche Signal.


Das Interview führte Gastautor Andreas Baumer von der Zeitung für kommunale Wirtschaft

11.11.2021 | 15:37

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