Faktencheck: Wie verändert sich die Sicherheit in Deutschland durch afghanische Flüchtlinge?
Unter den Evakuierten, die die Bundeswehr aus Afghanistan ausgeflogen hat, entdeckte die Polizei auch Afghanen, die wegen Straftaten zuvor aus Deutschland abgeschoben worden waren. Sie haben inzwischen erneut einen Asylantrag gestellt. Wie verändert sich die Sicherheitslage in Deutschland durch die Evakuierungen und die zu erwartenden Flüchtlingsströme?
Von Oliver Stock / WirtschaftsKurier
Unter den mehr als 2000 afghanischen Flüchtlingen, die in den vergangenen Tagen mit Bundeswehrflügen nach Deutschland ausgeflogen wurden, befinden sich auch einige wenige, die hierzulande bereits wegen schwerer Straftaten abgeschoben worden sind. Laut einem Sprecher des Bundesinnenministeriums handelt es sich um eine „niedrige einstellige Zahl“. Focus online hatte am Wochenende von drei Afghanen berichtet, die von der Bundespolizei nach ihrer Einreise mit einer Evakuierungsmaschine als ehemalige Abschiebefälle identifiziert worden waren. Sie hatten Deutschland verlassen müssen, weil ihnen Straftaten wie Vergewaltigung und Rauschgifthandel vorgeworfen worden waren. Alle drei stellten inzwischen einen neuen Asylantrag, der vor dem Hintergrund der Ereignisse in Afghanistan geprüft wird. Es sei „kein völlig neues Szenario“, dass Menschen nach Deutschland kämen, die zuvor abgeschoben worden seien, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Grundsätzlich sei es auch möglich, einen neuen Asylantrag zu stellen. Abschiebungen in das Krisenland hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) allerdings inzwischen ausgesetzt.
Dass auch aus triftigem Grund abgeschobene Menschen wieder zurückkehren können, liegt an der chaotischen Situation in Kabul. Um lokale Mitarbeiter der Bundeswehr oder ausländischer Hilfsorganisationen angesichts der für sie bedrohlichen Sicherheitslage schnell außer Landes zu bringen, dürfen mit Evakuierungsflügen auch Menschen nach Deutschland einreisen, die weder ein Visum haben, noch die üblichen Sicherheitsüberprüfungen vor Ort durchlaufen. Letzteres soll dann bei der Einreise nachgeholt werden – wobei die bereits abgeschobenen Afghanen entdeckt wurden.
Der Fall der zurückgekehrten Straftäter löst eine Diskussion darüber aus, ob sich zunächst durch die Evakuierungsflüge und später durch eine viel größere Flüchtlingsbewegung die Sicherheitslage in Deutschland verändert. Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz vertritt diese Meinung, wenn er feststellt, dass afghanische Flüchtlinge überdurchschnittlich häufig an schweren Straftaten beteiligt sind.
Der Faktencheck allerdings ergibt ein anderes Bild: Nach Angaben des Uno-Flüchtlingswerks UNHCR lebt in Deutschland mit 181.000Menschen die drittgrößte Gemeinschaft von Exil-Afghanen. Nur die Nachbarländer Pakistan und Iran beherbergen deutlich mehr Flüchtlinge aus Afghanistan. Unter den Asylbewerbern machen die Afghanen nach den Syrern derzeit die zweitgrößte Gruppe aus. Deutschland ist damit für Menschen aus Afghanistan Fluchtland Nummer eins in Europa. Umgekehrt spielt die vergleichsweise große Gruppe der Afghanen auch hierzulande eine sichtbare Rolle.
Rund 150.000 Geflüchtete haben nach Auskunft des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge tatsächlich Schutz in Deutschland erhalten. Die anderen gelten als „ausreisepflichtig“. Das heißt, sie wurden aufgefordert, das Land zu verlassen, was sie derzeit aber nicht kölnnen. Direkt nach Afghanistan wurden seit 2016 etwa 1000 Afghanen abgeschoben. Diese Abschiebungen fanden im Rahmen eines Abkommens zwischen der Europäischen Union und der afghanischen Regierung statt. Etwa 2.100 Afghanen sind im Rahmen eines Förderprogramms „freiwillig" zurück nach Afghanistan gegangen. Von den Abgeschobenen versuchen 90 Prozent dann, wenn sie zurück im Heimatland sind, erneut so schnell wie möglich wieder rauszukommen.
Von den 150 000 legal in Deutschland lebenden Afghanen unterlagen noch vor der allgemeinen Aussetzung der Abschiebungen mehr als die Hälfte einem sogenannten Abschiebungsverbot, weil im Herkunftsland „konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit“ bestand. Sie alle bekommen eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die unbegrenzt verlängerbar ist und dürfen nur in Ausnahmefällen Ehepartner oder Kinder nach Deutschland nachziehen lassen. Viele haben vor Gericht ihren Anspruch auf Schutz erstritten. Im ersten Halbjahr 2021 haben die Gerichte in drei Viertel der Fälle, in denen es zu einem Urteil kam, zugunsten der Kläger entschieden. Das Bundesamt hat jetzt Anträge von afghanischen Staatsangehörigen „rückpriorisiert". Das bedeutet, dass die Behörde derzeit nicht über Asylverfahren entscheidet.
Die Geflüchteten sind überwiegend männlich und im Durchschnitt jünger als andere Flüchtlingsgruppen: Etwa ein Drittel von ihnen sind sogar minderjährig. Viele von ihnen sind als „minderjährige unbegleitete Flüchtlinge“ in Deutschland registriert. Laut einer schon älteren Befragung aus dem Jahr 2016 waren etwa ein Drittel von ihnen nie in der Schule. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten unter den afghanischen Flüchtlingen ist in den vergangenen Jahren dennoch stark gestiegen. Im Vergleich zu anderen Flüchtlingsgruppen haben Afghanen eine höhere Erfolgsquote auf dem Arbeitsmarkt, stellt der „Migrationsmonitor“ der Bundesanstalt für Arbeit fest.
Nach Angaben des Bundeskriminalamts, das regelmäßig einen Bericht über „Kriminalität in Kontext von Zuwanderung“ herausgibt, wurden im Jahr 2020 genau 14.750 tatverdächtige Afghanen in Deutschland registriert. Unter den Asylsuchenden ist das die zweitgrößte Gruppe nach den Syrern, was die Größenverhältnisse unter den Zuwanderungsgruppen widerspiegelt. Das Bundeskriminalamt analysiert weiter – nebenbei im allerhübschesten Genderdeutsch – „86,2 Prozent der tatverdächtigen Zuwanderer/Zuwanderinnen waren männlich, 59,6 Prozent waren jünger als 30 Jahre.“ Da der überwiegende Teil der zufluchtsuchenden Afghanen männlich und jung ist spielen sie in der Kriminalitätsstatistik auch eine besondere Rolle. Schlägereien mit Verletzten sind das häufigste Delikt, gefolgt von Diebstahl, Rauschgifthandel, Vergewaltigungen und versuchtem Totschlag. Knapp 40 Prozent der Opfer sind ebenfalls Zuwanderer.
26.08.2021 | 11:55