Annalena Baerbock und Robert Habeck auf dem Weg zum Tagungsort für die Koalitionsverhandlungen. (Foto: Christophe Gateau / Picture Alliance DPA)



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Habeck hat Baerbock entmachtet - die Grünen rangeln um Ministerposten

Die Koalitionsverhandlungen kommen voran - und die Ampelregierung rückt näher. Unklar ist noch, wer welches Ministerium übernehmen wird. Vor allem bei den Grünen gibt es knifflige Machtfragen.

Von Wolfram Weimer


Bei den Grünen hat sich seit dem Wahlabend ein Machtwechsel vollzogen. Annalena Baerbock ist als Kanzlerkandidatin gescheitert und hat darum den Führungsanspruch in der Partei verloren. Robert Habeck gilt seither die unumstrittene Nummer eins. Er gibt Strategie und Sprache bei den Koalitionsverhandlungen vor, er formuliert die Kompromisslinien, er bildet mit Christian Lindner (FDP) die Achse der neuen Ampelregierung. Habeck, und nicht mehr Baerbock, wird bei den Grünen auch die Vizekanzlerrolle zugebilligt. Unklar bleibt hingegen, wer welches Ministerium übernehmen wird. Derzeit sieht das Lagebild so aus:

1. Außenministerin Annalena Baerbock. Die Parteivorsitzende und Spitzenkandidatin der Grünen hat zwar einen skandalgetrübten Wahlkampf geführt und ihre Reputation beschädigt. In einer Ampelregierung will sie gleichwohl eine Schlüsselrolle einnehmen. Sie strebt ins Auswärtige Amt und wäre dann nach Joschka Fischer die zweite grüne Spitzenbesetzung als Deutschlands Außenministerin. Baerbock spricht wahrscheinlich das beste Englisch aller bisherigen Amtsinhaber, sie verfügt über eine verbindliche Konzilianz und fachliche Vorkenntnisse aufgrund ihres Studiums und ihrer Tätigkeit im Umfeld des Europaparlaments, es fehlt ihr allerdings jedwede Erfahrung in Regierung oder Diplomatie. Bei den Grünen gibt es zudem die Sorge, dass weitere Details ihrer Skandale auch die Außenministerrolle beschädigen könnten. Das Außenamt sei sehr sichtbar und für eine regierungsunerfahrene Ministerin fehlerriskant. Im übrigen würde sie in dieser Rolle Robert Habeck womöglich überstrahlen. Daher versuchen einige aus dem Habeck-Lager, den Parteivorsitzenden ins Finanzministeramt zu drängen, dann würde Baerbock nicht mehr Außenministerin werden können, das Amt fiele dann der FDP zu.

2. Vizekanzler und Klimaminister Robert Habeck. Habeck hat in seiner Partei und in der Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten erheblich an Reputation gewonnen, weil er im Bundestagswahlkampf als der stärkere grüne Kandidat wahrgenommen wurde, gleichwohl der angeschlagenen Baerbock loyal den Rücken stärkt. Habeck ist bereits Umweltminister in Schleswig-Holstein, verfügt also über Fach- und Regierungserfahrung. Die Grünen fordern allerdings ein machtpolitisches gestärktes Ministerium mit klimapolitischen Sonderetats. Auch der Bereich Energiepolitik könnte aus dem Wirtschaftsministerium ins neue Klimaministerium wechseln. Zugleich wird Habeck Vizekanzler, was ihn dann auch sichtbar zur machtpolitischen Nummer eins der Grünen werden läßt.

3. Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister Toni Hofreiter. Der linke Flügel der Partei will Hofreiter unbedingt ins Kabinett bringe. Seit Oktober 2013 ist er neben Katrin Göring-Eckardt Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion. Für Hofreiter ist das Landwirtschaftsministerium in Aussicht. Unter Deutschlands Bauern dürfte diese Berufung allerdings für einige Unruhe sorgen. Bei den Grünen erhofft man sich von Hofreiter die Umsetzung der seit Jahren geforderten „Agrarwende“. Der Diplom-Biologe und (über die südamerikanische Lilien) promovierte Hofreiter fordert seit langem die "flächendeckende Ökologisierung der konventionellen Landwirtschaft". Hofreiter hat ein Buch geschrieben, das nun Programm werden könnte: „Fleischfabrik Deutschland: Wie die Massentierhaltung unsere Lebensgrundlagen zerstört und was wir dagegen tun können“.

4. Entwicklungshilfeministerin Kathrin Göring-Eckardt: Die Fraktionschefin hatte auf das Amt der ersten Bundespräsidentin gehofft. Doch die SPD besteht auf einer Verlängerung der Amtszeit von Frank-Walter Steinmeier. Daher wird - zum Geschlechter-Ausgleich - nun das Amt der Bundestagspräsidentin nun mit einer Frau besetzt. Bärbel Bas von der SPD ist dafür designiert. Für Göring-Eckardt heißt das, sie wird sich mit einem kleineren Fachministerium zufrieden geben müssen. Seit Jahren engagiert sie sich für höhere Entwicklungsausgaben, für eine Neuordnung der Schulden von Entwicklungsländern sowie der fairen Verteilung von Impfstoffen auch in ärmeren Ländern.

5. Der beliebte Ex-Vorsitzende Cem Özdemir droht bei der Ämterverteilung leer auszugehen, obwohl er bei der Bundestagswahl Stimmenkönig der Grünen geworden ist. Er hat nicht nur ein Direktmandat in Stuttgart gewonnen, kein Direktkandidat im Südwesten hat bei der Bundestagswahl so viele Erststimmen geholt. Auf ihn entfielen 40 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis Stuttgart I. Özdemir ist als Bundesverkehrsminister im Gespräch, doch das Amt dürften die Grünen schwerlich raus verhandeln können.

6. Auch Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hat kaum noch Chancen auf einen Einzug ins Kabinett. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen war zwischenzetilich als Architekt des grünen Höhenflugs gefeiert und für ministrabel gehalten worden. Doch die Skandale im Wahlkampf um Baerbock werden auch ihm angelastet. Der aus Gera stammende Kellner ist gleichwohl ein kluger Stratege und hat aus der teilweise chaotischen Partei eine moderne Erfolgsformation geschmiedet. Das Amt des Entwicklungshilfeministers hätte gepasst: Der geschmeidige Kellner war einst Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik.

7. Konstantin von Notz ist als Justizminister im Gespräch. Allerdings ist zusehends unwahrscheinlich, dass die Grünen dieses Ministerium besetzen werden, die FDP erhebt nachdrücklich Anspruch. Notz ist seit 2009 im Bundestag und zählt zu den bekanntesten Gesichtern der Fraktion. Der promovierte Jurist ist als Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss bekannt geworden. Er ist der Intellektuelle in der Grünen-Fraktion, die FAZ lobt ihn als "Politiker mit Weitblick". Netzpolitik ist eines seiner Spezialgebiete. Sollten die Grünen sich das Amt  - entgegen derzeitiger Erwartung - sichern, dann droht Notz noch die Geschlechterquote.  Als weibliche Alternative hätte Katja Keul Außenseiter-Chancen auf das Amt. Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen hat in Heidelberg Jura studiert, legte in Potsdam ihr zweites Staatsexamen ab und arbeitete als Rechtsanwältin. Keul ist Mutter und Keyboarderin einer Rockband.

25.10.2021 | 13:38

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