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Hartz IV: Grüne werden zum Kümmerer in allen Lebenslagen

Geht es nach den Grünen soll aus Hartz IV eine Garantie-Sicherung werden, die Geld vom Staat an seine Bürgerinnen und Bürger an keine Bedingungen mehr knüpft. Genau das führt zu weit, warnen Wissenschaftler.

Von Oliver Stock / WirtschaftsKurier

Die Grünen haben sich festgelegt: Kommen sie an die Regierung, sollen Hartz-IV-Empfänger im Monat 50 Euro mehr bekommen. Nachdem diejenigen, die darauf angewiesen sind, in diesem Jahr gerade14 Euro mehr und damit 446 Euro im Monat erhalten, würden sie künftig also knapp 500 Euro bekommen. Das monatliche Sümmchen hieße zudem nicht mehr Arbeitslosengeld II oder eben umgangssprachlich Hartz IV, sondern wird bei den Grünen unter dem Namen „Garantie-Sicherung“ geführt. Und die Garantie-Sicherung unterliegt keinerlei Sanktionen - was wiederum das zentrale Problem ist. Denn wer soll sich noch Mühe geben, nicht auf Kosten der Allgemeinheit zu leben, wenn das Geld so sicher auf dem Konto landet wie die Ziehung der Lottozahlen?

Bezahlen sollen die Erhöhung jene Großverdiener, deren Spitzensteuersatz die Grüne dazu auf 48 Prozent anheben wollen. Im Haushalt des Bundes sind derzeit gut 34 Milliarden Euro für Hartz IV sowie für Zuschüsse an Bedürftige fürs Wohnen und Heizen eingeplant. Kommt der grüne Vorschlag, wird es nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) nochmal vier Milliarden Euro teurer, die also die Spitzendverdiener aufbringen sollen. Zum Vergleich: Die Summe entspricht zum Beispiel dem, was für die Materialerhaltung bei der Bundeswehr vorgesehen ist.

Das Vorhaben ist umstritten – allerdings gar nicht so sehr wegen der zusätzlichen Ausgaben, sondern vielmehr deswegen, weil die Garantie-Sicherung an keine Leistungen mehr geknüpft ist, die die Empfänger erbringen müssen. Sie ist damit eine Art bedingungsloses Grundeinkommen, was die Grünen so natürlich nicht sagen würden. Aber: Bisher galt der Grundsatz: „Fördern und Fordern“: Das Geld war daran geknüpft, dass sein Empfänger, alles unternimmt, um seine Hilfsbedürftigkeit zu beenden. Der Nachweis regelmäßiger Bewerbung und Qualifizierung gehört dazu. Das wollen die Grünen abschaffen. Nur die Linke übertrifft die Grünen noch, wenn es um ein bedingungsloses Grundeinkommen geht: Sie will Hartz IV abschaffen und durch eine „bedarfsgerechte individuelle Mindestsicherung ohne Sanktionen“ ersetzen. 1200 Euro müsse die betragen.

Parteien, die nicht aus der linken Ecke kommen, sehen das kritisch. Die Union, deren konkretes Programm allerdings noch auf sich warten lässt, will Hartz IV zwar auch reformieren – aber nicht so. Die Lage der Alleinerziehenden soll verbessert und Bezieher von Hartz IV sollen etwas hinzuverdienen können. Am Grundsatz von „Fördern und Fordern“ will die Union aber auf jeden Fall festhalten: Wer zum Beispiel Jobangebote ablehnt, erhält weniger Unterstützung. CDU und CSU möchten eben genau verhindern, dass sich Hartz IV zu einem bedingungslosen Grundeinkommen wandelt, das es aus ihrer Sicht weitgehend unattraktiv macht, überhaupt zu arbeiten.

Eine Reform fasst auch die FDP ins Auge: Geht es nach ihr, sollen alle steuerlich finanzierten Leistungen wie eben Hartz IV, Grundsicherung im Alter, Hilfe zum Lebensunterhalt und Wohngeld in einem Bürgergeld gebündelt werden, das von einer staatlichen Stelle verwaltet wird. Es soll ein einheitlicher Regelsatz gelten, um die Bürokratie rund um das Bürgergeld zu verringern. Die Liberalen wollen mehr Zuverdienst zulassen und das sogenannte Schonvermögen erhöhen, das nicht auf das Bürgergeld angerechnet werden darf.

Die derzeit kleinere Noch-Regierungspartei, die SPD, kann sich mit dem Begriff des Bürgergelds anfreunden. Die Partei legt einen Schwerpunkt auf Weiterbildung, damit Menschen ohne Arbeit wieder eine finden. Zudem sind neue Servicestellen geplant, die über das Bürgergeld informieren sollen, und bei denen es beantragt werden kann. Konkreter wird der Gesetzentwurf zur Hartz-IV-Reform von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil aus dem Januar 2021. Danach soll bei Beziehern von Arbeitslosengeld II in den ersten zwei Jahren nicht geprüft werden, ob die Wohnungskosten angemessen sind. Vermögen bis zu 60.000 Euro soll nicht angerechnet werden. Wenn jemand ein Jobangebot ablehnt, sollen die Leistungen um höchstens 30 Prozent gekürzt werden. Zudem ist ein Weiterbildungsbonus von monatlich 75 Euro vorgesehen. Bund, Kommunen und Bundesagentur für Arbeit müssten dafür etwa 550 Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Die SPD will also den „Fördern und Fordern“-Grundsatz nicht ganz aufgeben, ihn aber entschärfen.

Eine völlige Abkehr hätte eine 180-Grad-Wendung bedeutet, denn schließlich ist Hartz IV unter der Regierung des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder, an der auch die Grünen beteiligt waren, eingeführt worden. Damals war es den Sozialdemokraten wichtig, dass die Sicherung der Existenz nicht bedingungslos erbracht wird, sondern die Leistungsbezieher sich verpflichten, alles zu tun, um ihre Hilfsbedürftigkeit zu beenden und an der Eingliederung in den Arbeitsmarkt mitzuwirken.

Die SPD ist letztlich genau an dieser Kehrtwende gescheitert und Schröder nicht gefolgt. Sie hat sich damit vom Versuch, in der politischen Mitte Wähler zu finden, abgewandt mit dem Ergebnis, dass sie seither kontinuierlich an Zustimmung und Bedeutung verliert. Die aktuellen Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken stehen für die Fraktion derjenigen, die die Hartz-IV-Reform von Schröder als moralischer Bruch in der Geschichte der deutschen Sozial-Politik darstellen, verbunden mit gravierenden Folgen für die Betroffenen.

Der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg warnt: „Bei einer Abschaffung von Sanktionen würde man sich vom Leitmotiv der Grundsicherungsreform von 2005, nämlich der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, verabschieden.“ Nüchtern stellt er fest: Die Befürworter sanktionsfreier Sozialleistungen sehen durch ein Laissez-faire im Sozialstaat mehr Chancen, durch Freiräume individuelle Kreativität anzuregen. Diejenigen, die den Ist-Zustand verteidigen, wollten dagegen durch eine aktive Mitwirkung der Hilfebedürftigen an der „fürsorglichen Belagerung“ weniger gut situierter Personen festhalten und damit gängige Arbeits- und Sozialnormen wahren. Der Wissenschaftler sagt voraus: Bei Ansätzen, die auf Leistungen ohne Sanktionen abzielen, gehen Arbeits- und Bildungsanreize verloren. Der Staat werde als „Kümmerer in allen Lebenslagen“ wahrgenommen, was Trittbrettfahrer ermuntere und das Sozialsystem überfordere.

Walwei kommt zu einem Fazit, das nicht überrascht, aber in seiner Breite das Prädikat „bedenkenswert“ verdient: Bei Hartz IV gebe es Luft nach oben, aber es muss nicht gleich ein Neustart sein. Es gehe darum, die sozialen Lebensbedingungen für Menschen in finanzieller Notsituation würdevoll auszugestalten und andererseits wirksame Arbeitsanreize zu schaffen. Ein großzügiger angesetztes Vermögen, das geschont wird, günstigere Anrechnungsregelungen für Nebeneinkommen, weniger Bürokratie und keine „Totalsanktionen“ würden schon mal helfen.

15.06.2021 | 11:20

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