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Die Chancen des Nachbergbaus

200 Jahre lang hat der Mythos Steinkohle das Ruhrgebiet geprägt. Doch 2018 ist endgültig Schluss mit dem Abbau. NRW plant für die Zeit danach – und will Vorbild für andere Kohleregionen wie zum Beispiel China werden.

Deutschlands höchste Deiche stehen nicht an der Nordsee, sondern in Duisburg. Nach vielen Jahrzehnten Kohlebergbau in der Region ist dort die Erde so abgesackt, dass der Rhein die Stadt ohne die teuren Wälle überfluten würde. In 200 Jahren hat die Kohle das einst dünn besiedelte Ruhrgebiet und die Saar völlig verändert. ­Ende der 1950er-Jahre arbeite-ten 600 000 Menschen in der stolzen Industriebranche. Jetzt sind es gerade noch 12 000 in drei Zechen in NRW – und in gut vier Jahren, Ende 2018, ist endgültig Schluss.

Deutschland muss Abschied nehmen von der Förderung – obwohl noch Vorkommen, die viele Jahrzehnte reichen würden, im Boden schlummern. Bei Fördertiefen über 1 000 Metern ist der Abbau aber viel zu teuer im Vergleich zur Importkohle. Außerdem will das Land die Wende zu Wind, Solar und Biomasse, statt Strom mit hohem CO2-Ausstoß in Kohlefeuern zu erzeugen.

China soll einmal profitieren

„Nachbergbau“ lautet jetzt das Stichwort für die weitere Entwicklung der Region. „Wir wollen unser Know-how und unser kulturelles Erbe in die Zukunft tragen“, verspricht Bernd Tönjes, Chef der RAG. An der Bergbau-FH in der Kohlestadt Bochum wurde dafür im vergangenen Sommer eigens ein Studiengang eingerichtet. „Der Nachbergbau wird uns noch eine Menge Geld kosten“, sagte Stiftungsprofessor Christian Melchers. Aber er biete zugleich große Chancen, wenn in anderen Ländern – etwa China – einmal die Bergwerke schließen.

Um die Folgelasten zu finanzieren, wurde die RAG AG 2007 in die RAG-Stiftung eingebracht. Sie soll den Steuerzahler von den Folgekosten des Steinkohlebergbaus in Deutschland befreien. „Die Stiftungslösung funktioniert“, sagte der Vorstandsvorsitzende Werner Müller im Juni auf einer Pressekonferenz. Dazu dient auch eine weitere Beteiligung im Besitz der Stiftung, die Evonik, die im April 2013 an die Börse gegangen war. Dabei hatte die RAG durch den Verkauf eines Teils der Aktien 920 Mio. Euro eingestrichen.

Über 12 Mrd. Euro Vermögen habe die Stiftung bereits angehäuft, allein 2013 konnten die Rückstellungen um rund 1,2 Mrd. Euro aufgestockt werden, sagte Müller. Zusätzliche Einnahmen winken durch den Verkauf weiterer Evonik-Aktien – die Stiftung hält knapp 68 % an dem Chemieriesen. Der Aufsichtsrat habe dem Vorstand freie Hand gelassen, den Anteil auf 60 % abzusenken, verriet Müller. Langfristig könne sich der Anteil auf 25 % verringern. Die Stiftung habe „keine Eile“, Evonik sei „gut aufgestellt und bringt uns über die Dividende gute Erträge“, versicherte Müller. „Wenn wir uns von weiteren Evonik-Anteilen trennen, dann werden wir dies marktschonend tun“, fügte der ehemalige Bundeswirtschaftsminister hinzu.

Hauptbahnhof Essen unter Wasser

Rund 220 Mio. Euro müsse die Stiftung ab 2019 jährlich für die sogenannten Ewigkeitslasten nach Einstellung der Förderung finanzieren –
„das sollten wir schaffen“, sagte Finanzchef Helmut Linssen. Zu den vordringlichsten Aufgaben in der Nachbergbau-Ära zählt das Thema Wasser. Die aktiven und stillgelegten Gruben unter Tage würden ohne ständiges Pumpen schnell volllaufen. Rund 100 Mio. Kubikmeter Wasser – vergleichbar viel wie die Möhnetalsperre im Sauerland (134 Mio. Kubikmeter) – müssen die Pumpen im Jahr aus 800 bis 950 Metern Tiefe heben. Und dies nach jetzigem Stand der Technik für immer. Das Wasser aus der Tiefe ist salzhaltig. Ohne die Wasserhaltung bestünde die Gefahr, dass salzhaltiges Grubenwasser sich mit oberflächennahem Grundwasser vermischt. Zugleich haben sich durch die Förderung riesiger Gesteinsmengen unter Tage an der Oberfläche viele Bodensenken gebildet – der Essener Hauptbahnhof liegt zum Beispiel in einer solchen Vertiefung. Aus den Senken wird oberflächennah Wasser abgepumpt. Sonst würde der Essener Hauptbahnhof zwölf Meter tief im Wasser versinken.

Zechenanlieger melden viele Schäden

Das sind aber nicht die einzigen Probleme in der Zeit des Nachbergbaus. Risse im Mauerwerk, Feuchtigkeitsschäden im Fundament – jährlich melden Zechenanlieger der RAG rund 35 000 Bergschäden. Das wird auch nach der Schließung des letzten Bergwerks noch Jahre weitergehen. Ansprechpartner bleibt dauerhaft die RAG – allerdings nicht der einzige. Für viele Ex-Bergwerke tragen Konzerne wie RWE, E.on oder ThyssenKrupp die Verantwortung. Wo sich der einstige Zecheneigentümer nicht feststellen lässt, springt das Land ein.

Dann bleibt da noch die Frage, wie es mit den ausgedehnten Immobilien und Riesenflächen der ehemaligen Bergwerke weitergeht. Seit Ende der 70er-Jahre gibt es allein an der Ruhr rund 12 000 Hektar ehema­lige Zechenflächen, rund 7 000 wurden bereits entwickelt – beispielsweise zu Industriegebieten für Logistikanbieter, Kulturzentren oder Naherholungsgebieten rund um ehemalige Bergehalden. Mit ­Photovoltaikanlagen an der Saar, einem Biomassepark auf Zeche Hugo in Gelsenkirchen oder der Nutzung von Grubenwasserwärme wie auf Zollverein in Essen knüpfen die Zechen an ihre Tradition als Energieerzeuger an. Eine Nutzung als Pumpspeicherkraft untersuchen Wissenschaftler derzeit.

Auch die Kulturförderung steht auf dem Programm. „Glückauf, der Steiger kommt“ – dieses Lied kannte im Ruhrgebiet lange jedes Schulkind. Damit die Erinnerung an die Kultur des Bergbaus nicht verloren geht, fördert die RAG Stiftung mit 7,5 Mio. Euro im Jahr Chöre, Orchester, bergbaunahe Kultureinrichtungen und das große Bergbaumu­seum in Bochum, das ausgebaut werden soll. Dann sollen künftig dort auch die richtig großen Maschinen von unter Tage zu bestaunen sein. 

Handelsblatt/hp

11.10.2014 | 12:52

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