(Bild: Shutterstock)



Karrierealle Jobs


Die Impfpflicht kommt - aber nur für über 50jährige?

Die Ampelregierung wollte die Impfpflicht für alle im neuen Jahr durchsetzen. Doch sie hat dafür keine Mehrheit. Kanzler Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach trauten sich nicht einmal, einen eigenen Gesetzesentwurf vorzulegen. Nun suchen sie eine gesichtswahrende Lösung. Eine Impfpflicht nur für die Älteren bietet sich als Lösung an.
 
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte noch 2021 ein Corona-Gesetz für die Einführung der allgemeinen Impfpflicht im ersten Quartal 2022 angekündigt. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat vehement dafür geworben, doch die politische Stimmung, die im Dezember noch stark zu einer einheitlichen Impfpflicht tendierte, ist gekippt. Die führenden Virologen sind skeptisch, Ärzteverbände warnen vor einer Vertrauenskrise, in der Bevölkerung regt sich Widerstand, selbst die Ampelregierung hat im Bundestag keine Mehrheit für eine allgemeine Impfpflicht. In Anbetracht der Omikron-Variante bezweifeln immer mehr Fachleute, dass eine Impfpflicht nutzbringend oder auch nur nötig sei. Die Regierungsfraktionen suchen daher händeringend einen gesichtswahrenden Kompromiss.
 
Der könnte darin liegen, das die Impfpflicht nur für die Älteren gelten soll, zum Beispiel für Menschen ab 50 Jahren, weil vor allem sie im Ernstfall Intensivstationen blockieren würden. Das Modell dafür liefert Italien. „Wir schreiten in den Altersklassen ein, die im Fall einer Ansteckung mit dem Coronavirus mehr vom Risiko eines Krankenhausaufenthaltes betroffen sind, um den Druck von den Kliniken zu nehmen", begründete Ministerpräsident Mario Draghi die Impfpflicht 50plus. Lauterbach hat dazu mit seinem italienischen Amtskollegen detaillierte Beratungen gesucht - offenbar mit dem Ziel, diesen Weg auch in Deutschland zu beschreiten. Auch SPD-Franktionschef Rolf Mützenich hat nun erklärt, dass eine mögliche Impfpflicht in Deutschland nicht jeden Bürger treffen wird. „Ich gehe davon aus, dass wir über eine Impfpflicht diskutieren, die ab einer bestimmten Altersgrenze gelten wird“, sagte er in Berlin.
 
Eine Initiative um den Arzt und FDP-Bundestagsabgeordneten Andrew Ullmann bringt diese Kompromisslinie bereits in eine Gesetzesvorlage und erhält derzeit den meisten Zuspruch. Ullmann plädiert für eine „altersadaptierte“ Impfnachweispflicht ab einem Alter von 50 Jahren: „In einem ersten Schritt könnte eine verpflichtende Impfaufklärung für alle stehen, möglichst durch Ärzte in den Impf- oder Testzentren", sagt der Mediziner Ullmann und weiter: „Wenn wir danach sehen, dass die Impfquote nicht signifikant steigt, könnte ein nächster Schritt eine Impfpflicht beispielsweise für Menschen ab 50 Jahren sein, weil die vergleichsweise häufiger schwer erkranken und auf die Intensivstationen verlegt werden müssen.“
 
Die FDP - obwohl Regierungspartei - ist in der Frage tief gespalten. Eine große Gruppe um den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki wehrt sich aus liberaler Grundüberzeugung gegen eine Impfpflicht. Kubicki warnte am Wochenende noch einmal eindringlich davor: „Ein Staat, der nicht umsetzen kann, was er anordnet, gibt sich der Lächerlichkeit preis. Und das wäre Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner.“ Kubicki attackiert sogar den Kanzler und dessen gescheiterte Impfpflicht-Initiative. Es werde in Deutschland keine Impfpflicht eingeführt, „nur damit der Kanzler sein Gesicht wahren kann. Grundrechts­einschränkungen mit einer Mutante zu begründen, die wir noch gar nicht kennen, und einem Impfstoff, der möglicherweise noch gar nicht entwickelt ist, das ist merkwürdig. Niemand von uns weiß, was im Herbst kommt.“ Eine unausgegorene Impfpflicht würde eine Bearbeitungs-Welle von Bußgeldbescheiden und Widersprüchen bei den Amtsgerichten auslösen. Am Ende sei sie nicht einmal „zielführend, weil sich die Gegner auch davon nicht beeindrucken lassen und weiter die Impfung verweigern werden", poltert Kubicki.
Allerdings glaubt auch Kubicki, dass am Ende der Debatten sich im Bundestag eine relative Mehrheit für eine Impfpflicht ab 50 Jahren zusammen finde.
 
Der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat sich früh für eine differenzierte Impflicht ausgesprochen - sich also von einer totalen Impflicht deutlich abgesetzt. Merz hat den politischen Druck auf Scholz lasten lassen, dessen Initiative auch Taten folgen zu lassen. Nun scheint Scholz auf die Linie von Merz einschwenken zu müssen. Der Hintergund: Immer mehr Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen warnen vor einer pauschalen Vorgehensweise. Es gibt fünf zentrale Argumente gegen eine allgemeine Impflicht.
 
Das Grundrechts-Argument: Bislang hat - außer Österreich - keine westliche Demokratie eine allgemeine Corona-Impfpflicht eingeführt. Der Grund dafür liegt darin, dass jede Impfpflicht einen erheblicher Eingriff in das Grundrecht auf Privatleben und körperliche Integrität bedeutet – fast alle Demokratien des Westens haben darum aus Grundrechtsrespekt bislang auf eine Impfpflicht verzichtet. Denn der „erhebliche Eingriff“ ist auch dann gegeben, wenn kein physischer Zwang ausgeübt wird, sondern „nur" Geldstrafen drohen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erst kürzlich in einem Verfahren über die Impfpflicht in Tschechien ausdrücklich bestätigt, zugleich aber nationale Impfpflichten für zulässig erklärt.
 
In Deutschland steht auf den ersten Blick Artikel 2 des Grundgesetzes („Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.“) einer Impflicht entgegen. Allerdings sieht die Mehrheit der Juristen eine Impfpflicht dennoch für grundrechtskonform, wenn sie gut begründet sei und das Leben anderer Menschen schützt. Es gehe um eine Abwägung mehrerer Rechtsgüter, und auch in früheren Fällen von Impfpfllichten habe man Artikel 2 relativiert. So bestand bis Ende 1975 auch in der Bundesrepublik eine allgemeine Impfpflicht gegen die Pocken, bis die Virenkrankheit als ausgerottet galt. Der Oldenburger Rechtsprofessor Volker Boehme-Neßler hält hingegen eine Impfpflicht für „unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig, solange es Möglichkeiten zur Kommunikation gibt". Anders als Politiker behaupteten, „haben Staat und Politik keineswegs bereits genug mit den skeptischen Bürgern kommuniziert“.
 
Insgesamt dürfte die Impfpflicht mit Blick aufs Grundgesetz zwar durchsetzbar sein, aber die Verhältnismäßigkeit würde immer umstritten bleiben. Rechtspolitisch ist es daher unklug, ein scharfes Instrument zu zücken, das von einem Drittel der Bevölkerung abgelehnt wird (ZDF-Politbarometer). Die Tatsache, dass fast alle westlichen Staaten davor zurück schrecken, das Schwert zu zücken, ist auch ein Ausdruck für die politische Grundrechtssensibilität und Freiheitskultur von Demokratien. Deutschland sollte da keinen Sonderweg gehen.
 
Das Integritäts-Argument: Seit Beginn der Impfkampagne vor einem Jahr hat die politische Klasse fast unisono erklärt, eine Impfpflicht werde in Deutschland nicht kommen. Noch unmittelbar vor der Bundestagswahl wiederholten die Spitzenvertreter der Parteien dieses Versprechen. Nur wenige Wochen nach eine neuen Regierungsbildung die Position derart radikal zu wechseln, wird in Bevölkerung wahlweise als gebrochenes Versprochen, Umfallertum oder Ungeschicklichkeit wahrgenommen. In jedem Fall nähme die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik nachhaltig Schaden. Langfristig ist diese Beschädigung von Integrität und Vertrauen ein großer Fehler. Die Bevölkerung wird Zusagen der politischen Klasse auch bei anderen Themen kaum mehr trauen können. Vor allem aber in den Corona-Debatten, wo Vertrauen ein wichtiges kollektives Gut ist, richtet eine derart drastische Kehrtwende großen Flurschaden an und befeuert ein Milieu des Misstrauens auch jenseits von Querdenkern und Impfgegnern.
 
Das Polarisierungs-Argument: Eine Impfpflicht würde die Spaltung der Gesellschaft in Impfbefürworter und Gegner weiter vertiefen. Schon jetzt verfestigen sich die Gräben bis hin zu gewalttätigen Demonstrationen. Der Riss in der Gesellschaften durchzieht alle Milieus und Landesteile bis hinein in einzelne Familien. Es ist eine vergiftete Stimmung entstanden im Deutschland. Die gesetzliche Impfpflicht würde diese Spaltung vertiefen, die Minderheit der Impfskeptiker würde sich als Gesetzesbrecher stigmatisiert fühlen. Eine erfolgreiche Bekämpfung der Pandemie aber braucht mehr Einigkeit und weniger Spaltung.
 
Das Sanktions-Argument: Eine Impflicht wäre in der Praxis nur schwer durchsetzbar. Wie wird sanktioniert? Welche Strafen sind angemessen? Will man ängstliche Impfbesorgte wirklich mit hohen Geldbußen belegen? Braucht das Land ein zentrales Impfregister? Lohnt sich der Aufwand? Der Verfassungsrechtler Walther Michl von der Universität der Bundeswehr warnt vor einem „kaum zu bewältigenden bürokratischen Aufwand“. „Die Bürger müssten wahrscheinlich innerhalb einer gewissen Frist ihren Impfstatus an die Gesundheitsämter übermitteln, die dann wiederum nach Ablauf der Frist an diejenigen ohne ausreichenden Nachweis Bußgeldbescheide herausschicken“, skizziert er das umständliche Prozedere. Bundesjustizminister Marco Buschmann warnt vor einem Impfregister: „Bei nationalen Registern, die Daten über die gesamte Bevölkerung speichern, bin ich stets zurückhaltend.“ Datenschützer befürchteten „hier den Einstieg in einen umfassenden Zugriff des Staates auf alle Gesundheitsdaten der Bürgerinnen und Bürger“. Die Freiheit der Bürger würde in jedem Fall massiven eingriffen ausgesetzt. Deutschland würde an Liberalität deutlich verliert, die Blaupause für andere Freiheitseingriffe wäre gelegt.
 
Das Nutzen-Argument: In Anbetracht der Omicron-Variante bezweifelt immer mehr Fachleute, das eine Impfpflicht nutzbringend sei. Die Wirkung der Impfstoffe sei viel kürzer als vor einem halben Jahr noch gedacht. Wie aber will man bei Impfwirkungen von wenigen Monaten Impfpflichten definieren? Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, lehnt eine Impfpflicht unter diesen neuen Umständen ab: „Man kann den Leuten nicht ernsthaft eine Impfpflicht auferlegen und dann feststellen, dass die Wirkung des Impfstoffes immer nur ein paar Monate hält.“ Durch die Impfpflicht werde man „letztlich keine relevante Erhöhung der Impfquote im Vergleich zu einer intensiven Impfkampagne, flankiert von Maßnahmen wie 2G, erreichen“, so Gassen. Der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, unterstützt Gassen: „Andreas Gassen hat recht…Ärzte werden Bürger nicht gegen deren Willen impfen und auch Ärzten steht das Recht zu, selbst nicht zu impfen.“ Ähnlich argumentierte Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein: „Solange die Impfung nicht ausreichend lange vor einer Infektion schützt, macht eine Impfpflicht keinen Sinn. Die Kontrolle weiterer notwendiger Booster-Impfungen würde Staat und Bürger stark belasten“, sagt Preis.

Wolfram Weimer

25.01.2022 | 08:44

Artikel teilen: