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Macher der Woche: Jack Dorsey

Masseur, Eisbad-Fan und Diät-Freak: Der Mitgründer von Twitter und Chef des digitalen Finanzdienstleisters Square kauft für 29 Milliarden Dollar einen australischen Konkurrenten, der noch niemals einen Cent verdient hat. Ist er jetzt total verrückt geworden? Es sieht nicht danach aus.

Mal trägt er den Kinnbart so lang, dass er bei jeder Passkontrolle zweimal begutachtet wird, mal tritt er kurzgeschoren und im dunklen T-Shirt auf, als huldigte er der Apple-Ikone Steve Jobs: Jack Dorsey ist einer der exaltiertesten IT-Milliardäre, die das Silicon Valley hervorgebracht hat. Tägliches Fasten – „Ich esse nur sieben Mahlzeiten in der Woche“, sagt Dorsey - regelmäßige Eisbäder, bekennender Punk-Rock-Fan und praktizierender Masseur – all das lenkt den 44jährigen Mitgründer und Chef des Nachrichtendienstes Twitter nicht davon ab, sein derzeitiges Kerngeschäft voranzutreiben: Es geht um den Ausbau der Banking App Square. Und dabei ist ihm jetzt ein großer Sprung gelungen: Für 29 Milliarden Dollar wird Dorsey den australischen Konkurrenten After Pay kaufen. Die Geschichte hinter diesem Milliarden Deal ist so ungewöhnlich, wie Dorsey selbst.

Willkommen im 21. Jahrhundert

Denn Afterpay hat in seiner gesamten Existenz als Unternehmen bislang keinen einzigen Cent verdient. Und auch Square schreibt im Verhältnis zum stark wachsenden Milliarden Umsatz bescheidene Millionen-Gewinne, und das auch erst seit drei Quartalen. Die 29 Milliarden Dollar sollen komplett in Aktien von Square gezahlt werden. „Willkommen im 21. Jahrhundert“, rief ein australischer Bankanalyst aus, als er den Deal bewerten sollte: Zwei Unternehmen, die mit rosigen Erwartungen an ihre eigene Zukunft hausieren gehen, schließen sich zusammen und zahlen mit Papieren, die einzig diese Erwartungen widerspiegeln. Man könnte auf die Idee kommen, dass hier Minus plus Minus Plus ergeben soll.

Aber solche Rechnungen machen vielleicht promovierte Analysten auf, nicht aber Studienabbrecher wie Dorsey, der die Universität von New York ohne Abschluss verließ, um sich damals ganz der Entwicklung eines digitalen Leitsystems für Taxen und Krankenwagen zu widmen. Nebenbei erfand er Twitter und damit eine der mächtigsten globalen Kommunikationsplattformen, die sogar mit ihren mitunter eratischen Regeln zur Veröffentlichung von Nachrichten über das Wohl und Weh von US-Präsidenten entscheiden können. Donald Trump kann davon berichten. Als er allzu offensichtlich fernab jeder Wirklichkeit twitterte, sperrte ihn Dorsey kurzerhand als Nutzer. Inzwischen darf sich der Ex-Präsident wieder äußern.

Mache Dinge perfekt

Doch zurück zu Dorsey. Der verließ seinen aktiven Chefposten bei Twitter bereits nach zwei Jahren, wechselte ins weniger arbeitsintensive Aufsichtsgremium, um sich 2009 unter anderem der Gründung von Square zu widmen – einer digitalen Plattform, die Schritt für Schritt alle Dienstleistungen, die Banken für Privat- und Geschäftskunden anbieten, zu vereinfachen und selbst unters Volk zu bringen. „Mache Dinge perfekt und begrenze die Zahl der Dinge, die Du perfektionieren willst“, lautet eine seiner Devisen.

Mithilfe von Square können kleine Firmen alle Arten von Zahlungen akzeptieren via Smartphone, Kreditkarte, Direktüberweisung oder was auch immer. Nutzer können auch Geld über eine dazugehörige Visakarte an Geldautomaten abheben und sogar Bitcoin innerhalb der App kaufen und verkaufen. Die steigende Popularität von Kryptowährungen hat dazu geführt, dass die Cash App zuletzt deutlich schneller gewachsen ist als die konkurrierende Venmo App von Paypal. An die 40 Millionen Mal wurde sie inzwischen heruntergeladen.

Grund dafür sind aber auch geschickte Werbeaktionen. Dorsey gibt deutlich weniger Geld für Neukunden aus als traditionelle Bankhäuser. Jeden Freitag wirbt Square natürlich auf Twitter, in dem Nutzer, die einen Tweet kommentieren, eine Chance auf den Gewinn von 10.000 Dollar haben. Die Aktion fädelte Dorsey mit Dorsey ein, denn der Unternehmer übernahm 2015 wieder selbst den CEO-Posten bei Twitter. Der Gewinner des Spiels auf Twitter erhält den Geldbetrag via Cash App überwiesen. Ähnliche Marketingkampagnen unternimmt Square mit Burger King und bekannten Podcasts.

Kein Wunder also, dass die Square App ein rasantes Wachstum verzeichnet. Analysten schätzen, dass der Markt für digitale Geldbörsen, sogenannte Wallets, allein in den USA ein Volumen von 700 Milliarden Dollar erreichen könnte. Die Akquisitionskosten pro Kunde spielen eine zentrale Rolle, wenn es um das Wachstum geht. Dorsey hat offenbar die richtige Mischung gefunden. Das daraus resultierende Wachstum dürfte sich irgendwann auch in der Gewinnentwicklung niederschlagen. Nicht zuletzt der deutsche Tech-Investor Frank Thelen setzt deswegen auf Square und rechnet mit weit überdurchschnittlichen Wachstums- und Gewinnraten.

Erwarte das Unerwartete

Und nun soll ein zusätzlicher Turbo diesen Trend befeuern: Dorsey ist sich mit dem Ratenzahlungsspezialisten Afterpay handelseinig und will die Australier bis zum Beginn des nächsten Jahres komplett übernommen haben. „Zusammen können wir unsere Cash-App- und Verkäufer-Systeme besser miteinander verbinden, um Händlern und Verbrauchern noch überzeugendere Produkte und Dienstleistungen zu bieten“, sagt er.

Afterpay, das seit seiner Gründung 2014 noch keinen Gewinn gemacht hat, bietet Online-Händlern eine Ratenzahlungsfunktion für deren Kunden an: Diese können ihre Käufe zinslos in Raten begleichen. Für die Abwicklung und die Übernahme des Ausfallrisikos berechnet Afterpay eine Gebühr bei den Online-Händlern. Der rechtliche Clou: Da das Unternehmen bei rechtzeitigen Zahlungseingängen keine Zinsen verlangt, umgeht es die rechtlichen Vorgaben für das herkömmliche Kreditgeschäft und muss auch die Kreditwürdigkeit der Kunden nicht prüfen.

Dorsey dürfte diese Funktion jetzt Square hinzufügen und so den Zahlungsdienstleister noch attraktiver machen. Er hat damit den Überraschungscoup des Jahres in der Fintech-Szene gelandet. Getrau seinem Motto: „Erwarte das Unerwartete. Und sei, wann immer es geht, selbst der Unerwartete.“

Oliver Stock

06.08.2021 | 12:09

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