Erst provisorisch, jetzt dauerhaft: Thyssen-Krupp-Chefin Martina Merz muss die Industrieikone zukunftsfühig aufstellen.



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Macherin der Woche: Martina Merz

Die Thyssen-Krupp-Chefin soll die deutsche Industrieikone retten. Doch die Zukunft der Stahlsparte ist noch immer ungewiss. Während Arbeitnehmervertreter den Staatseinstieg fordern, verlangen Investoren einen strikten Sparkurs.

Ein bisschen was haben Martina Merz und Angela Merkel in diesen Tagen gemeinsam: Während die Kanzlerin ihr Volk auf Entbehrungen in der Pandemie einstimmt, deren Ende nicht wirklich absehbar ist, muss die Chefin des ehemaligen Industriegiganten Thyssen-Krupp eine Verlängerung der Durststrecke verkünden, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Job kosten kann und Investoren erschauern lässt: 7400 Stellen fallen in den kommenden drei Jahren weg, jedenfalls Stand diese Woche, in der Merz die Bilanz ihres ersten Geschäftsjahres bei dem Konzern gezogen hat. Verluste von 5,5 Milliarden Euro zwingen Merz zu dieser Ankündigung. Und in einer stillen Stunde müsste sie sich eingestehen, dass sie ein Katastrophenjahr gemanagt hat – für das sie zwar die Verantwortung trägt, ohne allerdings die Ursache des Problems zu sein. Auch da gleichen sich Merkel und Merz.

Ikone der Industriegeschichte

Merz hatte im Oktober des vergangenen Jahres nicht einfach einen gerade aus dem DAX ausgeschiedenen Konzern übernommen, sondern sie war an die Spitze eines Resteriesen gelangt, der einmal zu den Ikonen deutscher Industriegeschichte gezählt hatte. Die Stahlkonzerne Thyssen und Krupp stehen für die Montanindustrie an Rhein und Ruhr, von deren Wohlergehen ein Jahrhundert lang, ein Reich, eine Republik, eine Diktatur und schließlich der Wiederaufbau abhingen. Wie eng es geworden war, dokumentierten beide Unternehmen, als sie 1997 alles andere als freiwillig nicht mehr als Wettbewerber, sondern gemeinsam als ein Konzern auftraten.

Schmied dieser Vereinigung war Berthold Beitz, der 2013 mit einhundert Jahren starb. Wenn es einen schiefen Vergleich gibt, der dennoch erhellend ist, dann vielleicht den: Beitz war für die Bundesrepublik ein halbes Jahrhundert lang das, was Amazon-Chef Jeff Bezos heute für die USA ist: das personifizierte Selbstbewusstsein einer Wirtschaftsnation. Merz ist ein stückweit Beitz‘ Erbin. Doch während Bezos noch immer sein Reich erweitert, geht es für die Erben an der Spitze des deutschen Industriekonzerns mehr und mehr um reine Nachlass-Verwaltung. „Man kann nicht heute Apfelbäume pflanzen und schon im nächsten Jahr Früchte ernten“ – lautete einer der Sätze, mit denen Vorstandsassistenten von Berthold Beitz ihren Chef gern zitierten. Das Problem für Merz liegt heute darin, dass noch nicht einmal die Pflanzstellen für die neuen Bäume sichtbar sind.

Dauerhaftes Provisorium

Die 57-Jährige mit dem Kurzhaarschnitt kam vom Automobilzulieferer Bosch nach Essen in die noch immer gewaltige Konzernzentrale der ehemaligen Ruhrbarone. In ihren leuchtenden Kleidern steht sie in einen wohltuenden Kontrast zum blau-grau der sie umgebenden Vorstandskollegen. Sie war angetreten, den schlingernden Industrieriesen mit seinen 160.000 Mitarbeitern in Rekordzeit zu retten. Als vorherige Chefkontrolleurin von Thyssen-Krupp im Aufsichtsrat hatte sie kurzfristig CEO Guido Kerkhoff nach dessem plötzlichen Abgang beerbt. An sich nur provisorisch – doch sogar in Großkonzernen, die Stahl herstellen, hält manchmal nichts so lange wie ein Provisorium. Der Konzern schrieb bereits rote Zahlen. Merz setzte die Veräußerung der gut laufenden Aufzugssparte um, was finanziell Erleichterung brachte, aber auch nach Verkauf von Tafelsilber aussah. Dass die Geschäfte unter ihrer Führung jetzt nicht besser gelaufen sind, hängt auch mit Corona-Krise und Strukturwandel zusammen: Teile für die Autoindustrie, die nicht mehr auf den Verbrennungsmotor setzt, sind für Thyssenkrupp zu Ladenhütern geworden.

Während von unten der Druck von der Arbeitnehmerseite wächst, Stellen zu erhalten, kommt von der anderen Seite die klare Aufforderung an Merz, mehr Geld zu verdienen. Der schwedische Investmentfonds Cevian stellte bei Merz‘ Amtsantritt fest: „Wir erwarten, dass die neue Führung den so dringend benötigten Transformationsprozess beschleunigen und die Qualität der Umsetzung maßgeblich verbessern wird.“ Merz dämpfte in dieser Woche ein weiteres Mal die Erwartungen der Investoren: „Wir werden noch weiter in den roten Bereich gehen müssen, ehe wir Thyssenkrupp zukunftsfähig aufgestellt haben“, sagte sie. Zeit hat sie dafür nicht wirklich. Derzeit verliert der Konzern täglich eine zweistellige Millionensumme.

oli


20.11.2020 | 13:25

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