Mercedes hat „zu viel Cash“ – aber Kurzarbeitergeld vom Staat fließt trotzdem
Mercedes-Benz verdient so gut wie nie. Gewinn, Dividende, Prämie für die Mitarbeitenden – alles ist auf Rekordniveau. Das Werk in Bremen allerdings meldet Kurzarbeit an, weil Teile fehlen. Und Mercedes lässt sich die Löhne teilweise vom Staat bezahlen.
Mercedes-Benz fährt von Rekord zu Rekord. Im vergangenen Jahr hat der Stuttgarter Autokonzern Fahrzeuge für 150 Milliarden Euro verkauft und dabei vor Zinsen und Steuern einen Gewinn von 20,5 Milliarden Euro eingefahren. Der Konzern verdiente damit 28 Prozent mehr als 2021, das bisher als erfolgreichstes Jahr der Stuttgarter galt. Die Dividende für die Aktionäre fällt entsprechend üppig aus: 5,6 Milliarden Euro sollen es dieses Jahr werden. Damit auch die Mitarbeiter etwas davon haben, erhalten sie eine Prämie. Mehr als 7000 Euro extra gibt es für den einen oder andere. Es läuft also.
Um so mehr verwundert, dass der Konzern für sein Werk in Bremen jetzt Kurzarbeit angemeldet hat. Betroffen sind von Anfang März an 700 Mitarbeiter für zunächst elf Tage. Dem Vernehmen nach hat die SL Roadster-Produktion in der Halle 3 Probleme mit fehlenden Teilen. Die Produktion des Modells soll deswegen in den ersten beiden März-Wochen unterbrochen werden. Zusätzliche 18 geplante Sonderschichten wurden parallel abgesagt. Das Werk in der Hansestadt zählt mit 12.550 Beschäftigten zu den größten des Konzerns.
„Gegenwärtig besteht weltweit ein Lieferengpass an bestimmten Komponenten“, teilt der Konzern dazu mit. Die Gesamtsituation sei nach wie vor von Aufs und Abs gekennzeichnet. Auf Schwankungen reagiere man „bestmöglich“ und stehe diesbezüglich „in engem Austausch mit unseren Lieferanten“. Die Fertigung in Bremen, wo unter anderem die C-Klasse montiert wird, stottert seit der Corona-Pandemie immer wieder, weil Teile fehlen. Im vergangenen Jahr wurde mehrmals Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt: Allein im Oktober waren es 2.500 Beschäftigte, die jeweils fünf Tage lang verkürzte Schichten zu absolvieren hatten. Seinerzeit begründete Mercedes den Schritt mit Nachschubproblemen bei Halbleitern.
Der Betriebsrat hat mit dem Schritt kein Problem und spricht von einer „Unternehmensentscheidung“. Außerhalb des Konzerns gibt es aber auch eine andere Sicht auf die Entscheidung von Konzernchef Ola Källenius und seinem Team. „Mercedes-Benz nutzt den Sozialstaat zum wiederholten Mal als Selbstbedienungsladen. Kurzarbeit ist ein sinnvolles Instrument für Unternehmen, die schwierige Zeiten durchmachen. Wenn Konzerne wie Mercedes-Benz es jedoch auch dann nutzen, wenn sie gleichzeitig Rekordgewinne einfahren und Dividenden ausschütten, bringen sie dadurch die gesamte Architektur der Staatshilfen in Misskredit. Staatshilfen sind dazu da, Insolvenzen zu verhindern und Jobs zu sichern - und nicht dazu, die Taschen von Aktionären zu füllen“, kritisiert Konrad Duffy von der Bürgerbewegung Finanzwende, einer Gruppe aktiver und ehemaliger überwiegend linker Finanzpolitiker, die immer wieder auf Missstände im Sozialstaat und der Finanzindustrie aufmerksam machen.
„Kurzarbeit und Milliardengewinne passen nicht zusammen“, meint allerdings auch Dennis Radtke, stellvertretender Vorsitzender des CDU-Sozialflügels. Das Instrument solle eingesetzt werden, um Fachkräfte in schwierigen Zeiten im Unternehmen zu halten. „Öffentliche Gelder für die Gewinnmaximierung zu verwenden, ist unanständig“, stellt er in einem Zeitungsinterview fest. „Die Bundesregierung muss endlich dafür sorgen, dass nur Unternehmen Staatsgelder erhalten können, die keine Boni für Vorstände und keine Dividenden ausschütten. Das würde sicherstellen, dass nur diejenigen Hilfe erhalten, die sie auch wirklich brauchen“, fordert Duffy.
Kein Einzelfall in Bremen
Mercedes-Mitarbeiter haben bereits im vergangenen Jahr Kurzarbeitergeld in zweistelliger Millionenhöhe erhalten. Gleichwohl kann man die Aufregung nicht nachvollziehen. Man prüfe den Einsatz von Kurzarbeit „sehr sorgfältig unter Einhaltung der geltenden Kurzarbeiterregelungen.“ Gestörte Lieferketten und dadurch entstehende Schichtausfälle gehören zu den Anforderungen, wonach bis Mitte dieses Jahres Kurzarbeit möglich ist. Die Stuttgarter rechnen vor, dass der Konzern und seine Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren einen niedrigen einstelligen Milliardenbetrag in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hätte. Im Gegenzug bezogen die Beschäftigten im vergangenen Jahr nur einen zweistelligen Millionenbetrag aus der Kurzarbeitskasse. Außerdem habe Mercedes-Benz „in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang Steuern gezahlt“. So seien 2021 allein an Ertragssteuern 3,3 Milliarden Euro überwiesen worden, „ein Großteil in Deutschland“.
„Wir sind uns unserer Verantwortung als Unternehmen gegenüber der Gesellschaft sowie unseren Aktionären bewusst“, heißt es aus Stuttgart weiter. Der eher pauschal klingende Satz verbirgt jedoch einen bedeutsamen rechtlichen Fallstrick, den der Vorstand einer Aktiengesellschaft beachten muss. Das Führungsgremium ist gesetzlich verpflichtet die Möglichkeiten, die sich bieten, Optimal auszunutzen. Der Vorstand macht sich also strafbar, wenn er die Kurzarbeit nicht nutzt, beispielsweise mit dem Argument, das Unternehmen habe genug verdient. Aus diesem Grund haben während der Pandemie auch erfolgreiche Konzerne reihenweise Kurzarbeit angemeldet, obwohl sie möglicherweise die Belegschaft auch aus den eigenen Kassen finanzieren konnten. Insgesamt hat die Bundesagentur in den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 mehr als 42 Milliarden Euro für Kurzarbeit ausgegeben.
Die gesetzlichen Voraussetzungen sind für den Antrag der Stuttgarter gegeben. „Kurzarbeit muss nicht für den gesamten Betrieb eingeführt und angezeigt werden. Sie kann auch auf einzelne Betriebsabteilungen beschränkt sein“, heißt es von der Bundesagentur für Arbeit.Gleichwohl beweisen Mercedes-Führung samt Betriebsrat wenig Fingerspitzengefühl, wenn kurz nach der Präsentation der Spitzengewinnen die öffentlichen Kassen bemüht werden, um ein Lieferproblem zu lösen. Wie hatte Finanzchef Harald Wilhelm doch gleich begründet, warum man Aktien im Wert von vier Milliarden Euro zurückkaufen will: „We have to much cash.“
Andreas Kempf
23.02.2023 | 16:06