(Bild: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)



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Robert, da geht noch mehr!

„Mangelhaft“ – das ist die Note, die Aktivisten dem Sofortprogramm des grünen Wirtschafts- und Klimaschutzministers Robert Habeck geben. Der Spitzengrüne könnte das ignorieren. Das aber ist gefährlich. Denn die, die ihn da kritisieren, sind genau diejenigen, die ihm ins Amt verholfen haben.

Schonungslos sollte die Bilanz von Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) sein. Ambitioniert sein Programm. Doch nach 6 Wochen an der Regierung wird bereits klar: Seine härtesten Fans hat der Spitzengrüne enttäuscht. Mag auch seine Bestandsaufnahme der deutschen Klimapolitik nach 16 Jahren unter CDU/SPD-Führung ernüchternd und deutlich ausgefallen sein, die Schlüsse, die er zog, begeistern die Aufrechten unter den Klimaschützern weniger. Nicht weitgehend genug, zu langsam. Offenbar verliert der Mann, der die Energiewende managen will, die Unterstützung derjenigen, die ihn in die Regierung gewählt haben.

Das Klimaschutzgesetz der alten schwarz-roten Bundesregierung stellt eine Neutralität beim Treibhausgasausstoß und seiner Kompensation bis 2045 in Aussicht. Das geht den Klimaaktivisten von Fridays for Future deutlich zu langsam. Sie fordern 2035. Dabei ist schon die bestehende Aufgabe, wie Habeck sagte, groß, ja: gigantisch. Bisher ist aus seiner Sicht zu wenig passiert, man müsse dreimal besser werden. Den Klimaaktivisten reicht das aber nicht.

Vor allem Fridays for Future zeigt sich wenig beeindruckt. Beim Kurznachrichtendienst Twitter verwandelten sie ein Foto Habecks, auf dem er ein Diagramm hält, das die Treibhausgasemissionen in Deutschland bis 2045 als ambitioniertes Ziel zeigt, mit einer Linie und der Jahreszahl 2035 in ein wirklich ambitioniertes Vorhaben. Zumindest aus ihrer Sicht. „Fixed it vor you #Habeck“ stand darüber. Darunter: viel Zustimmung. Und jene Schreiber, die schon vermutet hatten, dass die Grünen die Energiewende nur gebremst angehen, wenn sie erst einmal in der Regierung sind, sahen sich bestätigt. Aktivistin Carla Reemtsma schrieb gar von einem „Bruch der Versprechen“.

Pauline Brünger, auch bei Fridays for Future aktiv, sagte auf Anfrage: „Um Deutschland noch auf den 1,5 Grad Pfad zubringen, müssen die Emissionen jetzt sofort drastisch reduziert werden. Solange das Klimasofortprogramm dabei jedoch wichtige Bereiche, wie Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude ignoriert, bleibt das Vorhaben ein Scheitern mit Ansage.“ Sie forderte einen Plan für jeden Bereich.
 
Habeck will bis Sommer zunächst zwei Gesetze einbringen, die den Ausbau Erneuerbarer Energien deutlich beschleunigen soll. Fallen sollen Regeln, die blockieren: etwa die Abstandsvorgaben für Windräder wie in Bayern, die den Bau solcher Anlagen bisher de facto verhindern. Bis 2030 sollen 80 Prozent der deutschen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien stammen und 15 Millionen E-Autos auf den Straßen unterwegs sein. Den Aktivisten geht das alles zu langsam, ihre von Enttäuschung geprägte Reaktion ließe sich zusammenfassen in Worten wie: Robert, da geht noch mehr!

Neben den Klimaaktivisten wirkt auch die kämpferische Deutsche Umwelthilfe eher wenig überzeugt von Habecks Plänen: „Insgesamt geht das Maßnahmenpaket leider über die unzureichenden Klimaschutzversprechen aus dem Koalitionsvertrag nicht hinaus“, sagt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe. „Konkrete Maßnahmen vor allem für die Bereiche Verkehr, Kreislaufwirtschaft und Landwirtschaft fehlen.“ Kritik gibt es auch für die Entscheidung der rot-gelb-grünen Bundesregierung, die Förderung „von Klimakiller-SUV mit Plug-In-Antrieb“ zu verlängern. Das gehe eindeutig in die falsche Richtung. Aus Sicht der Umwelthilfe gelten die beliebten Fahrzeuge mit Verbrenner-Motor und kleinem E-Antrieb als Mogelpackungen, die zwar gefördert werden, wegen des großen Verbrennungsmotors aber weiter Klimagase in die Luft blasen.

Die Denkfabrik Agora Energiewende hatte schon Tage vor Habecks Auftritt gefordert, die Bundesregierung müsse schnell ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg bringen. Ein Grund sind demnach die Emissionen 2021: „Mit einem Plus von rund 33 Millionen Tonnen CO₂ beziehungsweise 4,5 Prozent gegenüber 2020 droht die Bundesrepublik den Anschluss an ihr 2030-Klimaziel zu verlieren.“ Zugleich verfehlte Deutschland das Ziel, 40 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 auszustoßen. Es war pandemiebedingt 2020 eingehalten worden. 2021 betrug das Minus wegen der wirtschaftlichen Erholung nur noch 38 Prozent, wie Agora Energiewende berechnet hat. „Einerseits ist 2021 das Jahr, in dem sich Deutschland die ambitioniertesten Klimaziele seiner Geschichte gesetzt hat“, sagt Simon Müller, Direktor Deutschland, bei Agora Energiewende. „Andererseits wächst die Umsetzungslücke weiter, die die neue Bundesregierung jetzt dringend mit wirksamen Klimaschutzmaßnahmen schließen muss.“ Interessant bei dieser Kritik ist der Absender: Habecks Staatssekretär für die Energiewende, Patrick Graichen, war bis zum Start der Regierung noch Chef von Agora Energiewende.

Auch die Aktivisten von Germanwatch fordern umgehend vom Klima- und Wirtschaftsminister Habeck ein „sehr ambitioniertes Klimaschutz-Sofortprogramm“. Und schärfere Maßnahmen: Was 2021 und 2022 zu viel in die Luft geblasen wurde und wird, soll zusätzlich eingespart werden. Der Verein kämpft für mehr globale Klimagerechtigkeit und half unter anderem, im Pariser Klimaschutzabkommen den Ausstieg aus Kohle, Gas und Öl bis Mitte des Jahrhunderts festzuschreiben.

Björn Hartmann

13.01.2022 | 11:49

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