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Was es für die Menschen bedeutet, wenn die Kirchen weniger Geld haben

Jahr für Jahr finanzieren die Steuerzahler die Kirchen über die Kirchensteuer hinaus mit rund einer halben Milliarde Euro. Seit 1919 stehen diese Staatsleistungen auf dem Prüfstand. Jetzt ist es wohl soweit. Was das für die Kirchen und diejenigen bedeutet, die von ihren Leistungen profitieren.
 
Überraschend ist es nicht, dass ausgerechnet der erste konfessionslose Bundeskanzler, den Deutschland je hatte, die Staatsleistungen an die Kirche einstellen will. Nun darf man Olaf Scholz (SPD) abnehmen, kein ein Atheist zu sein: „Als Politiker trete ich dafür ein, dass wir die christliche Prägung unserer Kultur wertschätzen", sagte er einst. Aber das Wertegerüst, das ihm „die Kirche mitgegeben“ habe, hinderte ihn nicht daran, einen Passus in den Koalitionsvertrag zu schreiben, der jetzt von der Regierung angegangen wird: die Ablösung der sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen.

Dabei geht es um eine – man könnte es Gewohnheit nennen –, die ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert hat und gedacht war als Entschädigung für die Enteignung kirchlicher Güter und Grundstücke im Zuge der Säkularisierung. Rund eine halbe Milliarde Euro zahlt der Statt Jahr für Jahr an die Kirchen. Seit mehr als 100 Jahren steht diese Zahlung immer mal wieder auf dem Prüfstand – tatsächlich gab es 1919 den ersten Gesetzentwurf, der die Leistungen abschaffen wollte. Doch seitdem geht der Kelch stets dann doch an der katholischen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) vorbei.

Nun aber droht den Staatsleistungen das letzte Abendmahl, die Ampel-Koalition mit ihrem konfessionslosen Kanzler macht ernst. Da wird die Seite 88 des Koalitionsvertrages wörtlicher ausgelegt als die Bibel: „Die Regierung will im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen schaffen.“ Zumindest die EKD sah es wohl kommen. Deren Bevollmächtigte Anne Gidion gab an, man stehe „kooperativ bereit, im vollen Bewusstsein um die Schwierigkeiten, die das für alle Seiten bedeutet.“

Diese Flexibilität kann damit zu tun haben, dass nun eher die Zeit für Verhandlungen und nicht für Predigten gekommen ist. Denn die Formulierung „Ablösung“, die im Koalitionsvertrag steht, ist nicht synonym zu verstehen mit „es fließt von einen Tag auf den anderen kein Geld mehr“. Die Kirchen werden vermutlich alles andere als leer ausgehen. Es gibt allem Anschein nach eine finale Abschlagszahlung vom Staat, womit die Kirchen ihre Aufgaben eine Zeit lang weiter finanzieren können. Das sagte zumindest Lars Castellucci, religionspolitischer Sprecher der SPD. Die Höhe der Summe ist noch nicht bekannt und ist wohl noch zu besprechen. Sie dürfte die jährlichen Staatsleistungen allerdings bei Weitem übersteigen.

Leistungen drohen wegzufallen

Nun ist es ganz und gar nicht christlich, Drohungen auszusprechen. Erst recht nicht rund um profane Dinge wie Finanzen. Aber geschickt verhandeln wird ja noch erlaubt sein. So machte Anne Gidion von der EKD schonmal öffentlich die „Rechnung“ auf, dass mit dem Wegfall der Überweisungen einige „Dienste an der Gesellschaft“ reduziert werden müssten. Dazu gehörten zum Beispiel die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Flüchtlingen, Seelsorge und Begegnungsstätten: „Wenn die Haushalte kleiner sind, wird auch die Arbeit kleiner“, sagte Gidion. Was diese pauschale Rechnung konkret bedeutet, ist noch nicht absehbar.

An dieser Stelle muss man die halbe Milliarden Euro, die die Kirchen bisher pro Jahr vom Staat bekommen, in Kontext setzen: Auf der einen Seite gibt der Staat ungefähr das 100-fache für Verteidigung aus – selbst ohne Zeitenwende und 100-Milliarden-Sondervermögen. Auf der anderen Seite nehmen die katholische und evangelische Kirche allein rund 12 Milliarden Euro durch Steuern ein – so zumindest 2020, aktuellere Zahlen sind noch nicht verfügbar. Dazu kommen diverse weitere Erlösquellen. Der Anteil der Staatsleistungen bedeutet für die EKD gut zwei Prozent des jährlichen Budgets. Das klingt verschmerzbar, allerdings schlägt auch bei den Kirchen die Inflationsrate von knapp acht Prozent in 2022 und weiteren fünf bis sechs Prozent in diesem Jahr zusätzlich ins Kontor. Steigende Energiekosten machen vor Gottes Haus nicht halt.

Heißt also: Die Kirchen müssen zusätzlich sparen – aber damit kennen sie sich notgedrungen schon aus. Zwar profitiert auch die Kirchensteuer von der enorm hohen Beschäftigungsquote, die aktuell in Deutschland herrscht. Aber immer mehr Menschen verlassen die Kirche: Rund 300.000 waren es in den vergangenen Jahren im Durchschnitt, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) errechnet hat. 2021 traten sogar 360.000 aus, vermutlich weil sich in der Phase die Skandale bei der katholischen Kirche häuften.

Vor- und Nachteile des Kirchenaustritts

Wer es mit Olaf Scholz hält und aus finanziellen Gründen austritt, braucht keine Kirchensteuer zahlen, die neun Prozent von der Lohn- und Einkommenssteuer ausmacht. Die Gebühren für den formalen Akt sind mit zehn bis 60 Euro verkraftbar, in Brandenburg und Bremen ist der Austritt kostenlos. Welche Intuition zuständig ist, ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Für die Ausgetretenen entfallen Dienstleistungen wie die Trauung vor dem Altar und weitere kirchliche Zeremonien. Nun hat sich hier aber auch schon einer Ersatzindustrie entwickelt – es gibt in der Regel also weltlichen Ersatz für die, die das möchten.

Wenn die Kirche aufgrund von den wegfallenden Staatsleistungen Leistungen nicht mehr erbringen kann, werden Bürger im Notfall auch gezwungen sein, auf private Akteure auszuweichen. Anbieter von Seelsorge finden sich zum Beispiel fix im Internet. Eine 50-minütige Sitzung kostet rund 65 Euro und wird „nicht von der Krankenkasse getragen“, wie dort immer wieder zu lesen ist. Gerade bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wäre die Kirche als Institution und Organisator von ehrenamtlicher Arbeit nicht so ohne weiteres wegzudenken.  

Wer sein Kind in einem katholischen und evangelischen Kindergarten hat, braucht sich keine Gedanken zu machen: Die werden zwar auch vom Staat bezuschusst, aber das sind keine Staatsleistungen, sondern sogenannte öffentlichen Subventionen. Diese haben nicht die Kirche als Religionsgemeinschaft zum Adressaten, sondern als Träger zum Beispiel Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, Behinderteneinrichtungen oder Beratungsstellen. Sie erfolgen zweckgebunden und fließen in gleicher Weise auch an nichtkirchliche Träger. Umgekehrt betont die Kirche hier zurecht, dass ihr Eigenbeitrag eine erhebliche Entlastung der öffentlichen Haushalte darstellt und „eine Leistung der Kirchenmitglieder an die Allgemeinheit“. Der konfessionslose Bundeskanzler kann sich da zumindest nicht mit brüsten.  
 
Thorsten Giersch

09.02.2023 | 08:28

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