Laut Robert Mayr, CEO von Datev, hat bei Unternehmern aufgrund der Krisen ein Umdenken stattgefunden (Foto: Datev).



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„Die Genossenschaft erlebt eine Renaissance“

WirtschaftsKurier: Corona, Fachkräftemangel, Klimakrise, Energiekrise, Inflation und Krieg stürzen die Wirtschaft in eine enorme Krise. Hinzu kommt für den steuerberatenden Berufsstand die Neubewertung der Grundsteuer. Wo liegt hier die größte Herausforderung?

Robert Mayr: Mit das größte Problem bei der Grundsteuer war die Frist. Dem steuerberatenden Berufsstand beziehungsweise den Steuerpflichtigen wurde eine Frist von vier Monaten eingeräumt – zum Glück wurde nun kurzfristig noch einmal um drei weitere Monate verlängert. Es gibt rund 36 Millionen Grundstücke, nach zwei Monaten waren aber erst 15 Prozent der Feststellungserklärungen eingereicht worden. Die Neuberechnung der Grundsteuer muss neben all den anderen Themen wie zum Beispiel den Corona-Schlussabrechnungen für die Wirtschaftshilfen und dem Fachkräftemangel in der Branche laufen.

Und eine Krise überlagert die nächste.

Die Krisen überlagern sich nicht nur, sondern verstärken sich auch noch gegenseitig. Es ist eine unglaublich komplexe Situation, in der wir uns befinden. Wir warten als Unternehmen, welche Leitplanken wir von der Bundesregierung gesetzt bekommen. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit bei den Energiekosten, insbesondere die energieintensiven Betriebe. Weiteres zentrales Thema sind die Lieferketten mit vollkommen neuen Paradigmen, da wichtige Komponenten in der Wertschöpfungskette wegfallen oder nicht in der nötigen Zeit geliefert werden. Hinzu kommt die Inflation. Man kann sich auf keine Kalkulationsgrundlage mehr verlassen, weil sich die Preise in einer ungeahnten Dynamik entwickeln. Es geht momentan für Unternehmer darum, den Markt zu beobachten und diese Parameter abzuschätzen, weil klare Strukturen fehlen und alles sehr volatil ist.

Viele Unternehmer haben festgestellt, dass die Digitalisierung resilient gegen Krisen macht. Einen Anhaltspunkt dazu bietet der „DATEV-Digitalisierungsindex“.

Während der gesamten Corona-Pandemie haben wir alles getan, um unsere Mitglieder, die Steuerberaterinnen und Steuerberater, arbeitsfähig zu halten. Wir haben zum Beispiel pro Woche rund 10.000 Arbeitsplätze in Kanzleien virtualisiert und Apps für die Corona-Fördermittel erstellt und damit die IT-Unterstützung geliefert. Fest steht, dass eine Korrelation zwischen Digitalisierungsgrad und Resilienz besteht. Das haben auch diverse Studien unterstrichen. Aber insbesondere kleine und mittlere Kanzleien haben während der Pandemie das Thema Digitalisierung ein Stück weit hintenanstellen müssen, weil diese auch Ressourcen bindet. Unser „Digitalisierungsindex“ hat gemessen, dass sich der Digitalisierungsgrad seit Herbst 2021 nicht mehr groß verändert hat. Das laste ich aber nicht dem Berufsstand an, sondern das ist der Situation geschuldet. Wenn kein Angriffskrieg auf die Ukraine stattgefunden hätte, dann hätte man nach der Pandemie wieder Gas geben müssen.

Aufgrund des Ukraine-Krieges ist auch das sensible Thema Datensicherheit drängender geworden. Stichwort Cyber-Security: Wie nimmt man insbesondere kleinen Unternehmen Ängste?

Erst einmal muss man Transparenz schaffen. Datenschutz und Datensicherheit sind meiner Meinung nach Chefsache – ob es das große, internationale Unternehmen oder das Kleinstunternehmen ist.

Und wo sind die Daten am sichersten?

Es ist klar, dass ein zertifizierter, zentraler Cloud-Anbieter ein höheres Sicherheitsniveau hat als es der kleine Unternehmer mit eigenen Mitteln zur Verfügung stellen kann. Und das vielleicht sogar zu einem vernünftigeren Kostensatz. Rechenzentren werden häufig als Stromfresser bezeichnet. Natürlich verbrauchen Rechenzentren Strom, aber eine zentrale Datenhaltung ist effizienter im Vergleich zu vielen verteilten eigenen Systemen, die trotzdem laufen müssen, obwohl die Ressourcen nicht voll ausgenutzt werden und dennoch entsprechend gebunden sind. Wir sensibilisieren stark für Cyber-Security. Verbunden damit ist der Aufruf an die Mitglieder und Kunden, die eigenen Mitarbeiter aufzuklären. Sie können ein System noch so absichern, das Problem ist der Faktor Mensch, der sogenannte „Innentäter“. Die Gefahr geht nicht nur von Viren und Malware aus, sondern auch von „Social Engineering“. Das muss noch nicht einmal vorsätzlich oder böswillig sein, in den meisten Fällen werden Menschen hereingelegt, um Daten abzugreifen. Und diese Methoden werden immer subtiler.

Rund 40.300 Mitglieder zählen Sie als Genossenschaft für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte, Tendenz steigend.


Wir wachsen in der Tat. Wir haben Mitglieder, mit denen wiederum Mandanten oder Kunden einhergehen. Bei den Kundenzahlen haben wir in diesem Jahr die 500.000 geknackt. Um die Zahlen einzuordnen: Über unser Rechenzentrum werden im Monat über 14 Millionen Löhne abgewickelt. Die Mitglieder erstellen die Löhne für ihre Mandanten, die selbst keine Genossenschaftsmitglieder sind.

Warum wurde bei der Gründung 1966 diese Rechts- und Wirtschaftsform gewählt?


Der Grundimpuls in Nürnberg war damals, dass die Arbeitslast im Berufstand sehr hoch war, insbesondere im Bereich Buchhaltung, und auf der anderen Seite ein extremer Fachkräftemangel herrschte. Die Lösung bot, rein auf der technischen Seite, eine entsprechende IT-Unterstützung. Das Problem damals war jedoch, dass die Maschinen dafür auf dem Markt extrem teuer waren. Man hat sich zusammengeschlossen, um die Anschaffungskosten auf breitere Schultern zu verteilen.

Hat sich das Genossenschaftsmodell bewährt?


Die Stärke der Rechtsform ist: Man kann nicht gekauft werden. Es ist nicht möglich, in irgendeiner Form Mehrheitsanteile zu erwerben, jeder hat den gleichen paritätischen Anteil. Das hat sicherlich auch dazu geführt, dass es immer auch einen ausgleichenden Impuls über die Jahre gegeben hat und dass nicht der bloße Shareholder Value, sprich eine kurzfristige Maximierung des Unternehmenswerts, dominieren konnte. So hat sich das Unternehmen in den letzten 56 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt. Das Genossenschaftsmodell ermöglicht eine langfristigere strategische Sicht als das quartalsbezogene Denken für Investoren. Ich glaube, dass die Genossenschaft im Augenblick sogar eine Renaissance erlebt, weil man merkt, dass Beständigkeit in der schnelllebigen Zeit kein Widerspruch ist. Im Gegenteil: Sie ist sogar eher die Lösung der Probleme.

Frustriert es Sie als Unternehmer, dass Sie aktuell kaum mehr agieren, sondern nur noch auf die Entwicklungen reagieren?


Mit Sicherheit hat ein Umdenken bei den Unternehmern stattgefunden. Man muss in Szenarien denken und die Planungsintervalle anders auflegen als in der Vergangenheit sowie die Volatilität in den Planungsprozess integrieren. Das hat aber nichts mit Frust zu tun, das gehört für mich zum Handwerkszeug. Wenn sich die Rahmenbedingungen schneller verändern, muss ich auch meine Strategie entsprechend anpassen. Ich bin daher diesbezüglich immer ein Zweck-Optimist. Natürlich würde ich mir auch andere Rahmenbedingungen wünschen.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir diese Krise gemeinsam überwinden werden. Was ich mir schon immer gewünscht habe: Wir brauchen weniger Bürokratie und mehr Standardisierung. Standards, damit ich als Unternehmer genau weiß, womit ich arbeiten kann, und auf der anderen Seite deutlich weniger Bürokratie, damit ich innerhalb dieser Leitplanken einfacher zurechtkomme.

Das Gespräch führte Vera König.

18.10.2022 | 12:22

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