Wolfgang Langhoff, Vorstandsvorsitzender von BP Europa SE, möchte den Konzern in eine klimaneutrale Zukunft führen (Foto: BP Europa SE).



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„Die Welt braucht so viele grüne Unternehmen wie möglich“

Ob Elektromobilität, grüner Wasserstoff oder nachhaltige Luftfahrt: Wolfgang Langhoff, Vorstandsvorsitzender von BP Europa SE, spricht im Interview über die neue Klimapolitik des Konzerns.

WirtschaftsKurier: Im Frühjahr gab es für Ihre Branche ein historisches Urteil: Der Ölkonzern Shell wurde im Mai in Den Haag dazu verurteilt, seinen CO₂-Ausstoß deutlich zu reduzieren. Geklagt hatten Umweltschützer. Das Urteil verpflichtet das Unternehmen dazu, seine Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2019 um 45 Prozent zu verringern. Shell müsse „seinen Beitrag leisten im Kampf gegen gefährlichen Klimawandel“, lautete die Entscheidung der Richter. Der Richterspruch könnte einen bedeutenden Präzedenzfall schaffen, auch für Ihr Unternehmen. 

Wolfgang Langhoff: Ich kann das Urteil nicht im Detail kommentieren, das im Übrigen niederländischem Recht unterliegt und nur inter partes Wirkung entfaltet, also nur die an dem Rechtsstreit beteiligten Parteien rechtlich bindet. Unabhängig davon nehme ich Shell als progressives Unternehmen wahr, das sich Klimaneutralität auf die Fahnen geschrieben hat. Ob das Urteil auch deutschen Gerichten Argumentationsmaterial liefern wird, muss abgewartet werden. Die Energiewende ist allerdings auch eine sehr komplexe Angelegenheit für Unternehmen und die Gesellschaft insgesamt. Wäre es einfach, hätten alle Beteiligten schon längst den idealen Weg gefunden. Ich bin aber zutiefst davon überzeugt, dass Unternehmen wie wir große Anstrengungen unternehmen, um das Problem zu lösen.

Wie hat sich der CO₂-Ausstoß bei BP, bezogen auf Europa und Deutschland, in den vergangenen Jahren entwickelt?

Seit vielen Jahren arbeiten wir daran, unsere Produktion so energieeffizient und CO₂-arm wie möglich zu gestalten. Dazu setzen wir modernste Technologien ein, nutzen die Möglichkeiten der Digitalisierung oder prüfen den Einsatz alternativer Energieträger und Rohstoffe. Unsere Experten in den Raffinerien in Gelsenkirchen und Lingen konnten in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte realisieren, Energie einzusparen und CO₂ und andere Emissionen zu senken. Ein Beispiel ist die Initiative GET H2. BP und Partnerunternehmen wollen 2024 eine Wasserstoffwirtschaft mit Erzeugung, Transport, Speicherung und industrieller Abnahme von klimafreundlichem grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien starten. Damit ließen sich über alle gebündelten Projekte der Initiative bis zu 16 Millionen Tonnen CO₂ bis 2030 vermeiden.

Der Umsatz von BP Europa ging 2020 im Vergleich zu 2019 zurück: von 41 Millionen Euro auf 31 Millionen Euro. Sind die Gründe beim Thema Nachhaltigkeit oder Corona zu suchen oder bei beidem?

Das Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens hat zu einer niedrigeren Nachfrage und einem geringeren Mobilitätsaufkommen gesorgt. Der Kraftstoffabsatz an unseren Tankstellen und auch der Absatz im Luftfahrtbereich war beispielsweise aufgrund der Covid-19-Pandemie deutlich niedriger als 2019. Das hatte Einfluss auf verschiedene Geschäftsbereiche. Wir haben aber auch gesehen, dass gleichzeitig in der Corona-Krise unter anderem unsere Aral-Tankstellen als Teil der sogenannten kritischen Infrastruktur gefordert waren, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Damit stellen unser Unternehmen und die Branche insgesamt nicht nur ihre Relevanz, sondern auch ihre Nähe zum Kunden unter Beweis. Obwohl sich die Nachfrage permanent abhängig von neuen Regelungen dynamisch änderte und Handelsketten mitunter unterbrochen wurden, war die Versorgung von Verbrauchern und Unternehmen mit Kraftstoffen und Mineralölprodukten jederzeit gesichert. Auch unsere Raffinerien in Deutschland haben ohne Unterbrechung rund um die Uhr weiterproduziert. Die Mobilität von Menschen und Waren ist für unser modernes Leben essenziell. Oder anders gesagt: Mobilität und Energie sind systemrelevant. Wir sind deshalb sehr zuversichtlich, die Talsohle durchschritten zu haben, und blicken deutlich optimistischer auf das Jahr 2021.

Die neue BP-Strategie lautet: Vom internationalen Öl- und Gasunternehmen zum integrierten Energieunternehmen. BP will bis spätestens 2050 klimaneutral werden. Dabei steht an erster Stelle, bei allen operativen Tätigkeiten, also der gesamten Öl- und Gasförderung, eine Netto-Null bei den Emissionen zu erreichen. Wie soll das konkret gelingen?

Seit Verkündung der neuen Strategie im Februar 2020 durchläuft BP die größte Transformation in der über 100-jährigen Unternehmensgeschichte. Unser Ziel ist, bis 2050 oder früher klimaneutral auf absoluter Basis zu werden. Vor diesem Hintergrund werden wir Investitionen in CO₂-arme Geschäftsbereiche erhöhen, uns auf eine hochwertige Öl- und Gasförderung fokussieren und Emissionen reduzieren. Wir wollen jährlich fünf Milliarden US-Dollar in emissionsarme Aktivitäten investieren – zehnmal mehr als heute. Auch deswegen verzehnfachen wir bis 2030 unsere Ladepunkte für E-Autos und bauen unsere Wasserstoff-Initiativen massiv aus. In Deutschland entstehen immer mehr Ladepunkte in unserem Aral-Tankstellennetz. Die Zielmarke 500 bis Ende 2021 ist nur eine Etappe, viele weitere Ladepunkte kommen in den nächsten Jahren dazu. Dazu tragen auch Kooperationen mit Volkswagen, Daimler und BMW bei. Zugleich investieren wir in grünen Wasserstoff, um die Herstellung von Kraftstoffen CO₂-ärmer zu machen und um synthetisches, grünes Kerosin herzustellen. Wenn alles nach Plan läuft, können wir es schaffen, in unserer Raffinerie in Lingen bis zur Mitte des Jahrzehnts nur noch grünen Wasserstoff zu nutzen.

Zum Stichwort Aral pulse: Wie ist der Fortschritt?

Wir haben damit begonnen, massiv in den Ausbau eines schnellen Ladenetzes an unseren Aral-Tankstellen zu investieren. Unser Fokus liegt auf ultraschnellem Laden mit einer Leistung bis zu 350 kW. Abhängig vom Fahrzeug ist eine Weiterfahrt innerhalb weniger Minuten möglich. Der Ladevorgang wird damit fast so schnell und unkompliziert wie das Tanken. Zudem bietet die Tankstelle weitere Annehmlichkeiten wie Einkaufsmöglichkeiten, Autowäsche, Sanitärräume sowie nachts Helligkeit und damit Sicherheit im Vergleich zu Ladestationen auf verlassenen Parkplätzen. Unter der neu geschaffenen Marke Aral pulse wollen wir der führende Anbieter von ultraschnellem Laden unterwegs werden.

Wie wird das Angebot angenommen?

Bis Ende des Jahres wächst unser Netz auf rund 500 ultraschnelle E-Ladepunkte an. Die entsprechende Batterietechnik vorausgesetzt, lädt das Fahrzeug innerhalb von zehn Minuten Strom für eine Reichweite von bis zu 350 Kilometern. Die Auslastung unserer Säulen hat sich von Januar bis Juli vervierfacht. Und wir haben im Juli zehnmal mehr Strom verkauft als noch im Januar, bei einer zweieinhalbfachen Erhöhung unserer Ladepunkte. Zudem planen wir gemeinsam mit VW – zusätzlich zu den zuvor genannten initiierten Ladepunkten – europaweit rund 8000 Ultraschnellladepunkte in den nächsten zweieinhalb Jahren an unseren Tankstellen aufzubauen, davon ein beachtlicher Teil an Aral-Tankstellen in Deutschland. Dazu kommen Ladestationen an anderen Orten, zum Beispiel Einkaufsmärkten oder Systemgastronomie, aber die Tankstelle ist unser Schwerpunkt für die Ladestationen. Wir sind davon überzeugt, dass sich damit in absehbarer Zeit ein wirtschaftlich tragfähiges Geschäft aufbauen lässt.

Dennoch ist auch Elektromobilität nicht frei von Kritik, insbesondere wegen der Batterieproduktion und -entsorgung. Bleibt aber trotz einiger Kritikpunkte angesichts des Klimawandels letztlich keine andere Wahl?

Neue Technologien bringen sicher auch immer neue Herausforderungen mit sich. Fakt ist aber, dass E-Autos aus dem zukünftigen Mobilitätsmix nicht mehr wegzudenken sind, wenn wir die CO₂-Reduktionsziele im Verkehrssektor erreichen wollen. Mehr E-Mobilität ist somit ein wichtiger Faktor für mehr Klimaschutz und saubere Fortbewegung. Kunden laden bei Aral pulse zudem ausschließlich mit 100 Prozent regenerativem Strom, was die Klimabilanz weiter verbessert.

Wie sieht daher BP die Chancen des Wasserstoffs? Sie arbeiten ja daran, eine öffentlich zugängliche Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen. Wie soll diese aussehen?

Wir setzen konsequent auf grünen Wasserstoff als notwendige Säule des industriellen Strukturwandels und sind Vorreiter beispielsweise beim Projekt GETH2, um in einem ersten Schritt den Kern für eine bundesweite Wasserstoffinfrastruktur zu etablieren – mit einem CO₂-Einsparpotenzial von bis zu 16 Millionen Tonnen in den kommenden neun Jahren. Nur mit grünem oder blauem Wasserstoff wird es uns gelingen, industrielle Prozesse, in denen zwangsläufig CO₂-Emissionen anfallen, klimaneutral zu gestalten. Ein entscheidender Taktgeber sind unsere Raffinerien, in denen Kraftstoffe für Pkw, Lkw und Flugzeuge sowie petrochemische Vorprodukte für die chemische Industrie produziert werden. In Raffinerien kommen heute bereits 40 bis 45 Prozent des gesamten Wasserstoffs in Deutschland zum Einsatz. Für den Markthochlauf von grünem Wasserstoff spielen sie deshalb eine wichtige Rolle. Zugleich hilft grüner Wasserstoff, die Herstellung von Kraftstoffen CO₂-ärmer zu machen und synthetisches, grünes Kerosin zu erzeugen.

Welches Potenzial steckt zudem in nachhaltiger Luftfahrt? Air BP, der Luftfahrtbereich der BP-Gruppe, kooperiert nun mit Airbus, um nachhaltigen Flugturbinenkraftstoff zu liefern.

Klimafreundliches Fliegen ist eines der wichtigen Zukunftsthemen in der Mobilität. Nachhaltige Flugkraftstoffe, sogenanntes Sustainable Aviation Fuel (SAF), sind deshalb essenziell für die Energiewende in der Luftfahrt. Deshalb treiben wir den Ausbau nachhaltiger Flugkraftstoffe in Deutschland voran, denn im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen reduziert SAF die CO₂-Emissionen deutlich. Insbesondere grünes, klimaneutrales Kerosin, also synthetisch mithilfe der sogenannten Power-to-Liquid Technologie hergestellter Flugkraftstoff auf Basis von grünem Wasserstoff und erneuerbarem Strom, hat großes Potenzial. Allerdings spielen die richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen gerade bei der Entwicklung neuer synthetischer Flugkraftstoffe eine entscheidende Rolle. Daher setzen wir uns auf globaler Ebene für die Einführung einer Quote für synthetische Flugkraftstoffe ein.

Welche Visionen in Richtung Nachhaltigkeit haben Sie für die nahe Zukunft?

Ich bin davon überzeugt, dass wir alle, Gesellschaft, Unternehmen und Politik, an einem Strang ziehen müssen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Wir sollten deshalb nicht nur bereits grüne Unternehmen unterstützen, sondern auch solche Unternehmen wie unseres, die auf dem Weg sind, grün zu werden („greening companies“). Das sind Unternehmen wie BP aus dem CO₂-intensiven Sektor mit Größe und Know-how, die über ehrgeizige und glaubwürdige Strategien zur Dekarbonisierung verfügen und diese umsetzen möchten. Wir werden in den kommenden Jahren daher ganz konkret unsere emissionsarmen Aktivitäten erheblich ausweiten und unsere Mobilitäts- und Convenience-Angebote verändern. Denn letztendlich braucht die Welt so viele grüne und grünende Unternehmen wie möglich.

Vera König

08.10.2021 | 13:03

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