VW: Und er läuft und läuft und läuft. Trotzdem.
Der VW-Konzern funktioniert, auch wenn er gegen alle Führungsgrundsätze verstößt. Jetzt verliert erneut ein Volkswagen-Chef einen großen Teil seiner Macht. Und dennoch ist VW der nach Zahlen erfolgreichste Autobauer der Welt. Sein Beispiel zeigt: Geld zu verdienen geht auch ohne gute Führung.
Die Stellung von Volkswagen unter den Autobauern dieser Welt ist unangefochten: Der Konzern gehört zu den erfolgreichsten Herstellern. Was seine schiere Größe anbelangt, landet das Unternehmen auf dem Spitzenplatz. Ein operatives Ergebnis, das im Jahr 2019 um knapp 13 Prozent auf 19,3 Milliarden Euro gestiegen ist, macht ihm so schnell keiner nach. Corona bedingt haben sich im ersten Quartal Rückgänge gezeigt, aber noch immer stand ein Betriebsgewinn von 0,9 Milliarden Euro in den Büchern. Auch das ist in der Autowelt ein akzeptabler Wert.
Die guten Ergebnisse stehen im Widerspruch zu einer Unternehmenskultur, die in vier Punkten von allem abweicht, was sonst als Erfolgsrezept gehandelt wird:
Erstens: Keine Nachhaltigkeit in der Führung
Am Montagabend war es bei Volkswagen wieder soweit: Ein Konzernchef wurde entmachtet. Fünf Jahre nach dem Abgang von Martin Winterkorn und zwei Jahre nach dem Rückzug von Matthias Müller verlor VW-Chef Herbert Diess seine Zuständigkeit für die Kernmarke des Konzerns: VW. Der Aufsichtsrat hat es so entschieden. An seine Stelle rückt mit Ralf Brandstätter der bisherige operative Chef der Marke. Der CEO hat damit eine entscheidende Runde im Machtkampf bei VW verloren.
Zweitens: Die Macht liegt beim Betriebsrat
Während die Konzernchefs bei Volkswagen offenbar keine lange Halbwertszeit haben, bleibt die Führung des Betriebsrats konstant: Bernd Osterloh hat sich vor 15 Jahren an die Spitze manövriert. Die Entmachtung von Diess, den er wegen seiner karierten Jacketts gern „Onkel Herbert“ nennt, hat er durch einen Brief unterstützt, in dem er den Volkswagen-Chef öffentlich Versagen bei der Entwicklung neuer Modelle vorwarf: E-Auto und neuer Golf können derzeit beide wegen ungelöster Probleme nicht ausgeliefert werden.
Drittens: Skandale werden nur zögerlich aufgeklärt
Wenn bei Volkswagen etwas schiefläuft, dann zieht sich die Aufarbeitung der Fehler hin. Prominentestes Beispiel: der Dieselskandal, bei dem der Autobauer vorsätzlich seine Kunden betrogen hat. Aufgeflogen ist er 2015, einer der damals Verantwortlichen Audi Chef Rupert Stadler wird erst am 30 September dieses Jahres vor dem Richter dafür zur Rechenschaft gezogen. Der damalige CEO Martin Winterkorn wartet noch immer auf den Beginn des Verfahrens gegen ihn. Hans-Dieter Pötsch dagegen, der Finanzchef bei VW war, während der Dieselskandal seinen Lauf nahm, sitzt heute dem Aufsichtsrat vor und entscheidet beispielsweise über die Zukunft von Managern wie Diess.
Viertens: Das Land regiert mit
Was in guten Zeiten als Tabu gilt und auch in einer Krise, wie sie die deutsche Wirtschaft derzeit wegen der Corona-Epidemie erfasst hat, nur im Notfall ein Mittel ist, ist bei VW Standard: Das Land sitzt als wichtigster Aktionär im Aufsichtsrat des Unternehmens. Gegen die Stimmen des Landes Niedersachsen, vertreten durch seinen Ministerpräsidenten, geht bei VW nichts. Die EU hat über Jahre versucht, diese unter Wettbewerbsgesichtspunkten zweifelhafte Konstruktion zu verbieten. Sie scheiterte damit am Widerstand deutscher Spitzenpolitiker, wie etwa dem aus Hannover stammenden „Autokanzler“ Gerhard Schröder.
Branchenbeobachter wie Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer antworten dennoch auf die Frage, welcher Autobauer für die Zukunft die besten Karten habe: „Der VW-Konzern“. Tesla sei vielleicht sexy, aber VW am besten aufgestellt. Das Beispiel VW zeigt damit: Es muss längst nicht alles wie im Lehrbuch verlaufen, damit sich der Erfolg einstellt. Es gilt der Webespruch für den VW-Käfer: „Er läuft und läuft und läuft.“ Trotzdem.
Oliver Stock
Lesen Sie auch: 5 Gründe, warum Laschet es versemmelt hat
09.06.2020 | 09:39